Auf der Suche nach dem, was Gewissheit gibt

Comunione e Liberazione in Rimini

Die Tagespost, 29.08.2011

Das Meeting von Comunione e Liberazione in Rimini stellte den Krisen und Bedrohungen der heutigen Zeit das christliche Weltbild gegenüber. Von Guido Horst

An im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdigen Begegnungen hat es auf dem diesjährigen Meeting der Bewegung Comunione e Liberazione in Rimini nicht gefehlt. Wenn etwa Usamah Elabed, der Präsident der Al Azhar-Universität in Kairo, der obersten Lehrautorität der muslimischen Welt, mit Kardinal Antonios Naguib, dem Patriarchen der katholischen Kopten in Alessandria, auf einem Podium zusammen sass. Oder wenn der islamische Literaturprofessor Abdel Fattah Hassan, zugleich Abgeordneter der ägyptischen Muslimbrüder, mit dem Mailänder Hochschulseelsorger Ambrogio Pisoni über das Konzept der christlichen Erziehung debattierte.

Oder wenn italienische Oppositionspolitiker mit Ministern der Regierung Berlusconi Diskussionsveranstaltungen über die Finanzkrise oder die Steuerpolitik bestritten. Wie immer war das “Meeting für die Freundschaft unter den Völkern” – so der vollständige Name – auch in diesem Jahr ein buntes Kaleidoskop. Und ein paar besonders bunte und glitzernde Steinchen gab es gleich am Anfang.

So etwa Staatspräsident Giorgio Napolitano, der alte Kommunist, der – inzwischen zum allgemein anerkannten Vater der italienischen Nation gewandelt – seinen meist jugendlichen Zuhörern einen Vortrag über Wahrheit und Aufrichtigkeit in der Politik hielt. Die Medien, wie immer sattsam auf dem Meeting vertreten, lasen das als Kritik an der derzeitigen Regierung. Hat Italien nicht einen Ministerpräsidenten, der monatelang in die Kameras lächelte und von einer Wirtschafts- und Finanzkrise absolut nichts wissen wollte, dann aber Mitte Juli und einen Tag vor Ferragosto zwei Sparpakete schnüren liess, die vor allem dem Normalbürger an die Gurgel gehen? Wie dem auch sei, Silvio Berlusconi gehörte auch in diesem Jahr wieder nicht zu den Gästen des Meetings, stattdessen setzte sich Roberto Formigoni, Präsident der Region Lombardei, Edel-CLer und Mitglied im Vorstand der Berlusconi-Partei “Volk der Freiheit”, gemeinsam mit dem neuen Generalsekretär dieser Formation, dem ehemaligen Justizminister Angelino Alfano, als Protagonisten der Zeit nach dem Cavaliere in Szene. Ein Schuss Politik hat immer zum Meeting gehört.

Wie auch die Wirtschaft. Nach Napolitano betraten zwei weitere Glitzersteinchen die Bühne der Messehallen von Rimini: Sergio Marchionne, der “Mann mit dem Pullover” an der Spitze des Fiat-Chrysler-Konzerns, und John Elkann, als Enkel und Nachfolger von Gianni Agnelli, Präsident des Fiat-Imperiums. Elkann strahlte mit seinem Bubengesicht auch dann noch Charme aus, wenn er Allgemeinplätze wie den von sich gab, dass man – Wirtschaftskrise hin, Wirtschaftskrise her – auch noch in zehn oder zwanzig Jahren Autos bauen werde. Wesentlich nachdenklicher machte da schon der Vortrag von Clara Gaymard, Tochter des berühmten Genetikers und Wojtyla-Freunds Jérôme Lejeune sowie Präsidentin von General Electric France, die über die Demut des Unternehmers in Zeiten der Krise sprach.

“Und die Existenz wird erfüllt von einer unerschütterlichen Gewissheit” lautete der etwas geheimnisvolle Titel des diesjährigen Meetings, der Lichtstrahl eines Leuchtturms in der Finsternis war dieses Mal das in allen Hallen prangende Symbol des Treffens. Und bei allen grossen und kleinen und bunten Steinchen im Programm der Meeting-Woche, die am vergangenen Samstag zu Ende ging, wussten die Erfahrenen unter den Hunderttausenden von Besuchern wie aber auch die alten Hasen unter den Berichterstattern doch ganz genau, wann man wirklich gut zuhören musste.

Zwei der Hauptvorträge, zu denen es dann auch keine Parallelveranstaltungen gab, hielten in diesem Jahr der Professor für Geschichtsphilosophie an der Universität Bari, Costantino Esposito, und der französische Philosoph und Schriftsteller Fabrice Hadjadj, der Atheist und Anarchist gewesen war, bis er sich 1998 vor einem Kruzifix in der Pariser Kirche Saint-Séverin bekehrte. Hadjadj stellte Überlegungen über die Moderne an, Espositos Vortrag hatte das Generalthema des Meetings zum Gegenstand. Als sie sprachen, sassen Zehntausende im grössten Auditorium der Messehallen der Adria-Stadt – und viele schrieben mit. Beide Redner kennzeichneten in ihren umfangreichen Referaten die moderne Neuzeit als Epoche, in der der Mensch versucht habe, durch die Technik, durch rechtliche und soziale Organisationsformen und einen immer grösseren Fortschritt in Wirtschaft und Industrie Sicherheiten zu schaffen, das Weltbild nicht mehr auf Gott zu gründen, sondern den Mensch zum Mass der Dinge zu machen. Genau aber am Ende der Moderne, an der Schwelle zur Postmoderne, habe die Welt ihre existenziellen Sicherheiten verloren. Wie Hadjadj ausführte, sei der Mensch seit der Ursünde von Unsicherheiten umgeben gewesen. “Aber unsere Zeit ist von einer besonderen Unsicherheit gezeichnet, die mit dem Ende der Moderne zusammenfällt und die man als Zusammenbruch des Progressivismus oder auch als Tod des Humanismus bezeichnen könnte. Die Moderne konnte ausrufen: “Gott ist tot”, und sich an der Herrschaft des Menschen erfreuen. Aber der Rausch ist vorüber.” Seit dem ersten Atombombenabwurf vom 6. August 1945 über Hieroshima, so der französische Philosoph mit Verweis auf den Schriftsteller Arthur Köstler, lebe die Menschheit nicht mehr mit der Aussicht auf weitere Fortschritte, sondern in der Erwartung der Auslöschung der eigenen Art.

Hadjadj wie auch Esposito setzten dem vergeblichen Versuch der Moderne, selber existenzielle Sicherheiten zu schaffen, das christliche Weltbild gegenüber, wo es Gott ist, der dem Menschen Sicherheit über seine Bestimmung und den Sinn seines Lebens gibt. Während sich Esposito durch die Philosophiegeschichte arbeitete, glänzte der Franzose durch provokante Zuspitzungen, etwa als er sich dem Hang der Postmoderne zuwandte, jeder Mode hinterherzulaufen: “Die Mode ist der Kult des Antiquierten, des Alten, des Vergangenen. Wenn ihr ein iPhone 4 oder 5 in der Hand habt, ist auch dieses ein zukünftiges Fossil. Aber wenn ihr ein Kreuz oder einen Rosenkranz in der Hand habt, werden die nie veralten, sondern sind immer aktuell.”

Dass umfassende Vorlesungen wie die von Hadjadj oder Esposito nicht abstrakt im Raume stehen blieben, dafür sorgten auf dem Meeting viele Zeugnisse aus allen Teilen der Welt, so etwa von Paul Jacob Bhatti, Berater des pakistanischen Ministerpräsidenten und Bruder von Shahbaz Bhatti, der am vergangenen 2. März von den Taliban umgebracht wurde. Nun führt Paul Jacob die Aufgabe des Ermordeten weiter, den katholischen Christen in dem weitgehend muslimisch geprägten Land ein Minimum an rechtlicher Sicherheit zu verschaffen.

Neben den zentralen Vorträgen waren auch dieses Jahr wieder die zahlreichen Ausstellungen das zweite, “programmatische” Standbein des Treffens. Auch hier zunächst wieder eine Vielfalt, die an ein Kaleidoskop erinnert: In den Ausstellungspavillons ging es um Boris Pasternak und Doktor Schiwago, über den Propheten Ezechiel und das Atom, über das Heilige Land zur Zeit Jesu oder über die Eucharistie, über 150 Jahre nationale Einheit Italiens und die Subsidiarität oder über Kardinal John Henry Newman und die tausendjährige Geschichte des Spitals Santa Maria della Scala in Siena. Hier war dann oft längeres Warten angesagt. Wer die Exponate und Bilder sehen wollte, wurde in Gruppen geführt. Wobei nicht immer auszumachen war, was nun wichtiger war: Die Fotos und Abbildungen der Ausstellung – oder die engagierte Weise, mit der die meist jugendlichen Führer in den Sinn und die Bedeutung des Ausgestellten einführten. Auch hier kreiste alles um die existenzielle Sicherheit im Leben.

Und allmählich schälte sich für die Besucher des Meetings heraus, dass das bunte Kaleidoskop an Eindrücken doch einer hintergründigen Regie und damit einer Botschaft folgte: Trotz aller Krisen und Bedrohungen der heutigen Zeit gibt es einen Gott, der das Leben jedes Einzelnen mit einer unerschütterlichen Gewissheit erfüllen kann.

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