Kirche in der Versuchung

“Der Einfluss des Bösen kann ganz tief im Dunkeln am Werk sein; es entspricht ja seinen Interessen, unerkannt zu bleiben”

Quelle
Der Rauch Satans ist in die Kirche eingedrungen – gloria.tv

05.10.2023

Uwe Wolff

Einen Engel erkennt man erst, wenn er vorübergegangen ist. So lautet ein altes Sprichwort, das auch für den gefallenen Engel gelten mag. War es ein Zufall, dass Papst Paul VI. (1963-1978) recht entschieden vom Teufel raunte, der sein Unwesen in der Kirche treibe? Er sprach von der Gegenwart des Jahres 1972. Sie ist längst Geschichte geworden. Doch erst Jahrzehnte später verstand man den Subtext des Bekenntnisses: dass “durch eine Ritze der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen” sei. Da war vom Missbrauch die Rede: “da qualche fessura sia entrato il fumo di Satana nel tempio di Dio” (Osservatore Romano Nr. 150, 30. Juni/1. Juli 1972).

Statt Weihrauch der Rauch des Satans: Was war geschehen? Einer Eingebung des Heiligen Geistes folgend, hatte Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil (1962 1965) nach Rom einberufen, um über eine weltweite Erneuerung der Kirche zu beraten. Frischer Gottesbraus sollte die alten Gemäuer durchwehen und neuer Glaubenseifer aufflammen. Die Kirche war aufgefordert, sich vorsichtig der modernen Welt zu öffnen, ohne sich ihr anzupassen. Durch diese Öffnung sollte die Ausbreitung des Christentums und eine Vertiefung der Einheit gefördert werden. Johannes XXIII. starb am 3. Juni 1963. Er hatte nur die erste von vier Sitzungsperioden des Konzils erlebt. Jetzt trat Paul VI. seine Nachfolge auf dem Stuhl Petri an. Unter den Bischöfen, Kardinälen und Beratern saß auch der Schweizer Hans Küng. Nach Abschluss des Konzils glaubte Paul VI. feststellen zu müssen, dass mit diesem Streithahn und anderen Besserwissern der Widersacher selbst unter den Vätern des Konzils gesessen habe.

Der Verdammte galt als der Erwählte

Kaum war das Konzil beendet, zeigte es Wirkungen, die der Papst nicht gewünscht hatte. Liberale Kräfte in der katholischen Kirche beriefen sich in einer Weise auf das Konzil, dass sich der Vatikan zu Korrekturen genötigt sah. Der Rauch des Satans war in den Tempel Gottes eingedrungen: Statt ökumenischer Einheit hatte das Konzil Unruhe in die Weltkirche gebracht. Die Schleifung der Bastionen begann. Theologen beanspruchten im Namen der Wissenschaft Unfehlbarkeit. Konservative Priester beharrten auf dem Althergebrachten. Den einen gingen die Reformen des Konzils zu weit, den anderen nicht weit genug. Es begann die Zeit der großen Lehrprüfungsverfahren und Abgrenzungen gegen Traditionalisten und allzu liberale Theologieprofessoren. Marcel Lefebrve wurde die Befugnis, Priester zu weihen, entzogen. Er hielt sich nicht an das Verbot. Offener Ungehorsam gegen Rom an allen Fronten: Das Buch “Abschied vom Teufel” (1969) des Tübinger Theologieprofessors Herbert Haag wurde abgelehnt, dann kamen die Werke von Hans Küng, später der “Fall Drewerman”.

Küngs Bücher “Die Kirche” (1967) und “Unfehlbar? Eine Anfrage” (1970) wurden Gegenstand eines römischen Lehrverfahrens, das am 15. Februar 1975 mit dem Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis endete. Mit der Erklärung “Mysterium ecclesiae” (24. Juni 1973) hatte die Glaubenskongregation die Unfehlbarkeit der Kirche erneut betont und Küng widersprochen. Eine Umwertung der Werte hatte sich vollzogen. Der Verdammte galt als der Erwählte. Der Ketzer wurde zum Medienstar. Er schwieg nicht und beugte sich nicht unter die römischen Anordnungen. Bedeutete in früheren Zeiten die Indizierung eines Buches oder der Entzug der Lehrerlaubnis eine Schmach für den Autor, so wurde sie jetzt zum unfreiwilligen Werbefeldzug, der die Verkaufszahlen hochtrieb und aus theologischer Literatur Bestseller machte. Die großen Zeitungen und Magazine standen mit diabolischer Freude hinter den Gemaßregelten.

Sämtliche Tabus schienen gebrochen. Es begann die Zeit einer Papst-Schelte, wie sie die Öffentlichkeit seit der Reformation nicht mehr vernommen hatte. Paul VI., den die Medien gerne als “Pillen-Paule” verspotteten und dessen Enzyklika “Humanae vitae” (25. Juli 1968) wie ein Fels von der Brandung der sexuellen Befreiung umspült wurde, hatte am Nachmittag des 29. Juni 1972 aus doppeltem Anlass eine Messe im Petersdom gefeiert. Es war das Fest der Apostel Petrus und Paulus, also der Grundpfeiler der katholischen Kirche, kurz nach dem neunten Jahrestag (21. Juni) seiner eigenen Ernennung zum Papst. Er blickte zurück auf das Konzil und erinnerte an die Hoffnungen, die es begleitet hatten. Einen neuen Morgen hatte man für die Kirche erhofft, gekommen waren Tage, wo schwarze Vögel über dem dunklen Himmel kreisten. Zweifel und Unsicherheit hätten sich in der Kirche ausgebreitet. Der Papst sah den Widersacher Christi und der Kirche, den “Durcheinanderwerfer” Satan am Werk, und er war überzeugt, “dass etwas Außernatürliches in die Welt gekommen ist, gerade um die Früchte des Ökumenischen Konzils zu stören und zu ersticken, und um zu verhindern, dass die Kirche in den Hymnus der Freude ausbreche, das Bewusstsein ihrer selbst in Fülle wieder erlangt zu haben”.

Der Teufel aus Rockmusik, Horrorfilm und Roman

Knapp fünf Monate später vertiefte Paul VI. diese Einsichten in die Lage der Kirche durch eine Pilgeransprache im Rahmen der Mittwoch-Generalaudienzen (15. November 1972). Sie wurde in deutscher Übersetzung am 24. November 1972 im “Osservatore Romano” veröffentlicht und fand weltweite Aufmerksamkeit. Die Ansprache beginnt mit einer Frage:
“Was braucht die Kirche heute am dringendsten?” Ein Drittes Vatikanisches Konzil, mögen viele Gläubige darauf antworten. Oder eine Reform der Sexualethik, die Freigabe der Pille, die Aufhebung des Pflichtzölibates, die Frauenordination, eine neue Maria und überhaupt neue Wege. Der Papst weiß, dass er eine unpopuläre Antwort geben wird und macht deshalb eine vermittelnde Einleitung. “Unsere Antwort soll euch nicht erstaunen, nicht einfältig oder geradezu abergläubisch und unrealistisch vorkommen: Eines der größten Bedürfnisse der Kirche ist die Abwehr jenes Bösen, den wir den Teufel nennen.” Da sind die Reaktionen der Öffentlichkeit vorweggenommen: Unverständnis, Kopfschütteln, Vorwurf des dunklen Aberglaubens, antiaufklärerischen Denkens, der Dummheit und Ignoranz.

Anfang der siebziger Jahre kennt man den Teufel aus der Rockmusik, aus Horrorfilmen und Romanen, aber man versteht die Sprache des Glaubens nicht mehr. Es geht dem Papst nicht um eine Verteufelung der Moderne, um Ablehnung der Psychoanalyse, Soziologie und anderer Wissenschaften, die eigene Theorien über das Böse aufstellen, sondern um eine Rückbesinnung auf die gegengöttliche Macht, die bereits Jesus selbst verführen wollte.

Deshalb erinnert Paul VI. ausführlich an die biblischen Aussagen vom Wesen und Wirken des Teufels, dem “Gott dieser Welt” (2. Korintherbrief 4, 4), dem “Vater der Lüge” und “Mörder von Anfang an” (Johannes 8, 44 45). Die Rede vom Teufel, da stimmt Paul VI. mit Luthers Theologie überein, ist keine Marginalie im Christentum. Leider fliehe die Theologie vor der wichtigen Aufgabe, die Teufelslehre neu und zeitgemäß zu formulieren. Sie sei “ein sehr wichtiger Abschnitt der katholischen Lehre”. Immerhin wagt der Papst einige Hinweise auf die Bereiche, wo der Teufel in den Siebziger Jahren sein Unwesen treibe. Sein Wirken sei überall dort anzunehmen, “wo die Leugnung Gottes radikale, scharfe und absurde Formen annimmt, wo die Lüge sich heuchlerisch und mächtig gegen die offenkundige Wahrheit behauptet, wo die Liebe von einem kalten, brutalen Egoismus ausgelöscht wird, wo der Name Christi mit bewusstem und aufrührerischem Hass bekämpft wird, wo der Geist des Evangeliums ins Reich der Märchen verbannt und verleugnet wird, wo die Verzweiflung das letzte Wort behält”. Wie kann sich die Kirche gegen die Versuchungen des Teufels wehren? Die päpstliche Antwort steht erneut in ökumenischem Einklang mit lutherischer Lehre:

“Die Gnade ist und bleibt die entscheidende Verteidigung.”

Der Einfluss des bösen Geistes kann ganz tief verborgen sein

Am 13. August 1986 nimmt der Nachfolger Paul VI. direkten Bezug auf die Ansprache. Johannes Paul II. zitiert ausführlich dogmatische und biblische Aussagen über den Teufel, unter anderem den ersten Johannesbrief: “Die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen” (5, 19) und beschreibt die Lage der Kirche in den achtziger Jahren. Der “Zustand des Kampfes” gehöre “zum Leben der Kirche”. Ihr Gegner, der Teufel, zähle zu jenen Geistern, “die radikal und unwiderruflich Gott und sein Reich zurückgewiesen, sich Gottes Herrscherrechte angemaßt und versucht haben, die Heilsökonomie und die Ordnung alles Geschaffenen umzukehren”. Der Teufel ist also da am Werk, wo der Mensch der “Haltung der Rivalität, der Widersetzlichkeit und der Opposition gegen Gott” verfallen sei, wo die Wahrheit Gottes abgelehnt werde. Der Papst erinnert daran, dass der Teufel gerne unerkannt bleiben will, um untergründig gegen Gott zu arbeiten. “Der Einfluss des bösen Geistes kann ganz tief im Dunkeln verborgen am Werk sein; es entspricht ja seinen Interessen, unerkannt zu bleiben. Die besondere Gewandtheit des Teufels in dieser Welt besteht darin, die Menschen dazu zu verführen, seine Existenz zu leugnen, und zwar im Namen des Rationalismus und eines jeden derartigen Denksystems, das alle möglichen Ausflüchte sucht, um ja nicht das Wirken des Teufels zugeben zu müssen.”

Wie nicht anders zu erwarten, reagierten die Gegenpäpste auf den akademischen Lehrstühlen mit scharfer Ablehnung. Vom Rückfall ins Mittelalter war die Rede, und in vertrauter Weise spottete der “Spiegel” (22. Dezember 1986): “Wojtyla, des Teufels neuer General”, nannte den Papst “Schreckenswandmaler Johannes Paul II.” und “schwärmerischer Parteigänger einer Satanologie”. Die Kirche hat den Teufel nicht erfunden. Sie kann ihn nicht ins Museum des Aberglaubens schicken, ohne das Fundament der biblischen Lehre zu zertrümmern. In dem berühmtesten Gebet der Christenheit, das Jesus selbst seine Jünger gelehrt hatte, wird Gottes Schutz gegen die Versuchungen des Teufels erbeten: “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.” Nicht das Böse, sondern der Böse ist hier gemeint, wie bereits Martin Luther in seinem “Der Große Katechismus” (1529) dargelegt hat. Deshalb haben Benedikt XVI. und Franziskus zu verschiedenen Anlässen an den Rauch des Satans erinnert, den Paul VI. wahrgenommen hatte. Benedikt XVI. sah sogar einen direkten Zusammenhang zwischen dem Bekanntwerden von Missbrauchsskandalen und dem “Jahr des Priesters” (2010), als er in einer Predigt betonte: “Es war zu erwarten, dass dem bösen Feind dieses Leuchten des Priestertums nicht gefallen würde, das er lieber aussterben sehen möchte, damit letztlich Gott aus der Welt hinausgedrängt wird.”

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