Zwischen den Fronten

Wohl kaum ein Zeitpunkt der Kirchengeschichte ist so sehr von enttäuschten Hoffnungen geprägt wie die Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Quelle
Heribert Schauf: Emsig, aber im Hintergrund
Louis Bouyer – Wikipedia
Oratorium (Kongregation) – kathPedia
Hl. Philip Neri
Konzil (278)

25.04.2023

Dirk Weisbrod

Wohl kaum ein Zeitpunkt der Kirchengeschichte ist so sehr von enttäuschten Hoffnungen geprägt wie die Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. 1969 hatte Papst Paul VI. eine internationale Theologenkommission als Beratungsorgan einberufen, die das mehr als deutlich machte. Denn die Herren Theologen waren uneins. Der Graben verlief entlang der Auslegung der Konzilsbeschlüsse. Der spätere Papst Benedikt beschrieb diese theologische Frontstellung mit den Begriffen einer “korrekten Hermeneutik der Reform” und einer “Hermeneutik des Bruchs” zwischen vorkonziliarer und nachkonziliarer Kirche. Er musste es wissen! Der junge Joseph Ratzinger war Mitglied dieser Kommission, ebenso wie der Oratorianerpater Louis Bouyer. Sie waren befreundet und setzten sich gemeinsam für die Interpretation des Konzils im Lichte der Tradition ein.

Der 1913 in Paris geborene Bouyer hatte schon ein Jahr zuvor ein Buch veröffentlicht, mit dem er gegen den Bruch polemisierte – was der Titel “La Décomposition du catholicisme” mehr als deutlich macht. “Décomposition”, das bedeutet Zersetzung oder Verwesung, der – so Bouyer – die Kirche nunmehr ausgesetzt sei.

Anti-Modernisten und Progressive als Bedrohung

Allerdings beklagte er keine falsche Hermeneutik, sondern sah die Erneuerung gleich von zwei Seiten bedroht: Während die Integralisten – ein Begriff, den man auch mit Anti-Modernisten übersetzen könnte – das vorkonziliare Kirchenbild verteidigten und jedwede Reform sowie auch das Konzil ablehnten, förderten die Progressiven radikale liturgische Reformen, gaben der historisch-kritischen Bibelwissenschaft den Vorzug und redeten einer umfassenden Politisierung zugunsten linker Positionen – Stichworte: Marxismus, Existenzialismus und soziale Gerechtigkeit – das Wort. Zunächst habe nur eine kleine, abgehobene Elite mit wenig Einfluss diese Agenda verfolgt. Nach dem Konzil gelang es ihnen aber, “den Leib der Kirche für sich zu gewinnen, da sie ihren Führern aufgezwungen wurde.”

Es bedarf keiner Erläuterung, dass Bouyer 1969 die zersetzende Wirkung der Progressiven als besonders bedrohlich empfand – darin war er sich mit Joseph Ratzinger einig. Pikant ist, dass Bouyer der Doktorvater eines der prominentesten Exponenten der Progressiven gewesen ist: Hans Küng. Ihn hatte er 1957 am Institute Catholique in Paris mit der Arbeit “Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung” promoviert, die von Barth ausdrücklich gelobt wurde. Er war zwischen die Fronten geraten. Die Ökumene blieb ebenso wie die römische Liturgie das Lebensthema Bouyers, der aus einer protestantischen Familie stammte und nach dem Theologiestudium 1936 Pastor der lutherischen Kirche in Paris wurde. Aber schon während des Studiums begann er sich für die Kirchenväter und die liturgischen Traditionen der Kirche zu interessieren – ganz im Gegensatz zu dem von Luther geforderten “sola scriptura”.

Henri de Lubac nahm ihn in die Kirche auf

Eine besondere Rolle spielten dabei auch die Schriften des Jesuitenpaters Henri de Lubacs, der ihn schließlich 1939 in die Kirche aufnahm. Bouyer trat in das Kloster Saint-Wandrille ein, wurde zum Priester geweiht und Mitte der 1940er Jahre Professor am Institut Catholique de Paris, wo er schließlich auf Heinz Küng traf. Zugleich engagierte er sich in der liturgischen Bewegung. Bald galt er über Frankreich hinaus als Experte für Liturgie sowie für katholische und protestantische Spiritualität, was sich auch an seiner langen Publikationsliste ablesen lässt. Johannes XXIII. berief ihn in die konziliare Vorbereitungs-Kommission für Seminare und Universitäten. 1964, gegen Ende des Zweiten Vatikanums, nominierte ihn Paul VI. für das “Consilium zur Ausführung der Liturgiekonstitution”. Noch im selben Jahr hatte Bouyer die Konstitution “Sacrosanctum concilium” zustimmend begrüßt. Die Teilnahme an ihrer Umsetzung sollte für ihn zu einer großen Enttäuschung werden. Geradezu albtraumhaft muss für Bouyer die Begegnung mit Annibale Bugnini gewesen sein. In seinen posthum erschienenen Memoiren bezeichnet er den Sekretär des Consilums als “Gauner”.

Das zweite Hochgebet entstand in einer Kneipe

Insbesondere dessen Leiter, Kardinal Lercaro, sei unfähig gewesen, Bugninis Manöver und die Entschlossenheit. mit dem dieser die Liturgiereform durchsetzte, zu durchschauen. Sie sei nicht zuletzt deswegen unter beklagenswerten Bedingungen und übereilt durchgeführt wurden. So übereilt, dass Bouyer das zweite Hochgebet zusammen mit dem Benediktiner Bernard Botte in einer Nachtsitzung fertigstellen musste – in einer Kneipe in Trastevere. Botte war es auch, der Bouyer davon abhielt, seine Arbeit zu quittieren – solange er mitarbeite, könne er das Schlimmste verhindern.
“La Décomposition du catholicisme” zeugt davon, dass dies nicht gelang. Mit großer Verbitterung zog der enttäuschte Bouyer einen Vergleich zwischen der vorkonziliaren Liturgiepraxis, die er als verkrustet empfand, und dem, was nach 1965 geschah: “Es gibt heute in der katholischen Kirche praktisch keine Liturgie, die diesen Namen verdient. Die Liturgie von gestern war kaum mehr als eine einbalsamierte Leiche. Was man heute Liturgie nennt, ist kaum mehr als dieselbe Leiche, die nun aber verwest ist.”

Nicht besser fiel sein Urteil über die Ökumene aus. Deren eifrigste Verfechter seien vor kurzem noch gegen eine Verständigung gewesen, jetzt aber interessierten sie sich gar nicht für ein fundiertes Gespräch mit den Protestanten: “Das Gegenteil ist der Fall. Es ist das, was am Rest des Christentums am unordentlichsten, unorganischsten und amorphsten ist, das sie plötzlich und mit Freude entdeckt haben. Aber auch das befriedigt sie nicht und sie wollen mit jeder Form des Glaubens und vor allem des Unglaubens flirten.” In seinen Memoiren bezeichnete er diese Form der Anbiederung an die Welt als “Alice-im-Wunderland-Ökumenismus.” Kein Zweifel: Louis Bouyer war Freund einer drastischen und manchmal beleidigenden Ausdrucksweise. Wohl auch deswegen konnte er nach 1970 in Rom keine Karriere mehr machen. Das Kardinalsrot, für das er durchaus im Gespräch war, blieb ihm verwehrt. Trotz allem sind seine Bücher und insbesondere die Memoiren für das Verständnis der Folgen des Zweiten Vatikanums sehr aufschlussreich – und glänzend, wenn auch polemisch, geschrieben. Bouyer zog sich schließlich nach Saint-Wandrille zurück. Am 22. Oktober 2004 starb er in Paris. Seine Freundschaft mit Joseph Ratzinger hielt bis zum Ende.

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