Syrien/Türkei – Christen als Opfer und Retter

Das Erdbeben vom 6. Februar hat auf alten christlichen und jüdischen Siedlungsgebieten verheerende Spuren hinterlassen. Helferteams aus aller Welt sind im Katastrophengebiet im Einsatz

Quelle
Assad ist der große Profiteur | Die Tagespost (die-tagespost.de)

Bodo Bost -18. Februar 2023

Das Gebiet zwischen Adana und Urfa, in dem das verheerende Erdbeben vom 6. Februar stattfand, ist altes christliches und jüdisches Siedlungsgebiet. In Urfa (türk. Sanliurfa), in der Hochebene von Harran, soll Urvater Abraham geboren sein, der von Christen, Juden und Muslimen gemeinsam verehrt wird. Die Gegend um Adana, Kilikien, hieß einst auch Kleinarmenien. Hier stellten die Armenier und andere christliche Gruppen bis zum Völkermord 1914 fast ein Drittel der Bevölkerung. Die heute Hatay/Iskenderum genannte türkische Provinz, war noch bis 1939 französisches Treuhandgebiet, hier leben auch heute noch viele nationale und religiöse Minderheiten, wie Aleviten, Suryanis, Assyrer und Armenier.

In diesem Gebiet liegt auch die alte Stadt Antiochien/Antakya, in der die Christen ihren Namen erhielten. Diese Stadt wurde besonders stark vom Erdbeben getroffen, obwohl sie fern vom Epizentrum liegt, weil dort sehr spät Hilfstrupps ankamen. Viele Menschen haben keine Nachricht von ihren Angehörigen. Man schätzt, dass 100 Mitglieder der antiochenisch-christlichen Gemeinde unter den Trümmern liegen. Über Shaul Cedioğlu, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Antakya, und seine Familie gibt es keine Nachrichten. Es wird geschätzt, dass auch seine Familie unter den Trümmern liegt. Auch die Synagoge von Antakya, der erste Ort außerhalb Palästinas, an dem einst die christliche Botschaft verkündet wurde, wurde beschädigt. In Antakya wurde die im Jahr 638 auf einem heidnischen römischen Tempel errichtete “älteste Moschee Anatoliens” zerstört. Auch die historische griechisch-orthodoxe Kirche in Antakya wurde durch die Erdbeben schwer beschädigt.

Soforthilfe aus dem Erzbistum Köln

Wie in Antakya wurde auch in der in der Nähe liegenden Stadt Alexandrette/Iskenderum das staatliche Krankenhaus zerstört, entsprechend schwierig war die Versorgung der Verletzten in beiden Städten. Das Erzbistum Köln leistete als größtes deutsches Bistum eine Soforthilfe von 300 000 Euro für die Erdbebenopfer, die dortige Diözesanstelle Weltkirche-Weltmission unter Nadim Ammann pflegt enge Kontakte nach Syrien und in die Türkei. Er berichtete, dass in Iskenderum die Kathedrale des Lateinischen Vikariats von Anatolien eingestürzt ist. “Die zerstörte Kathedrale ist nur ein Symbol für die Zerstörung, die das Erdbeben angerichtet hat, das so vielen Menschen das Leben oder die Existenz genommen hat”, erklärt Nadim Ammann. Auch die armenische und griechisch-orthodoxe Kirche von Iskenderun Karasun Mangants wurden beschädigt. In vielen Kirchen der Region wurden Hilfszentren für Erdbebenopfer eingerichtet.

In der Erklärung des armenischen Patriarchats der Türkei heißt es, dass die armenische Gemeinde in Malatya insgesamt vier Opfer, davon drei Personen aus derselben Familie zu beklagen hat. In Vakıflıköy, dem letzten rein armenischen Dorf in der Türkei, direkt an der Grenze zu Syrien am legendären Musadag gelegen, war das Erdbeben stark zu spüren. Viele Gebäude wurden beschädigt, die Kirche und die Menschen blieben unversehrt. Nach Angaben des Ökumenischen Patriarchats wurde die griechisch-orthodoxe Kirche in Altınözü Tokaçlı vollständig zerstört.

Armenien bietet Hilfe an

Der armenische Premierminister Nikol Pashinyan sowie der griechische Ministerpräsident Mitsotakis führten am Tag des Erdbebens Telefongespräche mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Beide Länder boten ihre Hilfe an. Obwohl Armenien keine diplomatischen Beziehungen zur Türkei hat, schickte Armenien als eines der ersten Länder ein Hilfsteam in die Region Adıyaman. Adıyaman ist eine der Regionen, die am stärksten von dem verheerenden Erdbeben betroffen ist, die Bevölkerung dort besteht fast ausschließlich aus Kurden. Armenien hat auch als eines der wenigen Länder ein Such- und Rettungsteam nach Syrien entsandt. Armenien hatte selbst 1988 in Spitak ein schlimmes Erdbeben mit 25 000 Toten zu beklagen und wurde damals nicht allein gelassen. Beide Länder, Griechenland und Armenien, denen der türkische Präsident Erdogan noch kurz zuvor mit Krieg gedroht hatte, hoffen jetzt auf eine Erdbebendiplomatie, zur Verbesserung ihrer Beziehungen. Der HDP- (Kurdenpartei)Abgeordnete für Diyarbakır, Garo Paylan, einer der wenigen armenischen Abgeordneten im türkischen Parlament, hat die Helfergruppe aus Armenien in armenischer Sprache auf Twitter begrüßt.

Christliche Hilfe in Nordsyrien ist schwierig

Besonders dramatisch ist die Lage in Syrien, weil das Land seit 12 Jahren Bürgerkriegsgebiet ist und durch den Krieg stark zerstört ist. Der vom Erdbeben betroffene Landesteil gehört teilweise zum dschihadistischen und kurdischen Rebellengebiet gegen Präsident Assad. Neben den kalten Temperaturen erschwert dieser Umstand die Lage massiv. Bereits am ersten Tag nach dem Erdbeben wurden nach Angaben von “France-Armenie” in Syrien rund 35 armenische Opfer ausgegraben, davon 24 in der Stadt Aleppo. Nach Informationen von “Kirche in Not”, das über seine Projektpartner stark in Syrien vertreten ist, sind in Aleppo 21 Gebäude zusammengestürzt. Auch der emeritierte melkitische (griechisch-katholische) Erzbischof von Aleppo, Jean-Clement Jeanbart, sei nur knapp dem Tod entronnen und werde nun in einem Krankenhaus behandelt, meldete das päpstliche Hilfswerk. Neben Aleppo sind die Schäden auch in Kessab und Latakia, wo sich die christlich-armenische Gemeinschaft Syriens außerhalb der Hauptstadt Damaskus konzentriert, beträchtlich. In vielen christlichen Schulen, Gemeindezentren und Kirchen in Syrien wurden Erste-Hilfe-Zentren eingerichtet.

In Aleppo wurden das armenische Guiligia College und die armenische Mkhitarian-Schule schwer beschädigt und sind nicht mehr benutzbar. Die armenische Kirche der Heiligen Jungfrau in Kessab wurde ebenfalls getroffen. Angesichts der dramatischen Lage in Syrien haben die drei ökumenischen Patriarchen von Damaskus und die internationale Friedens-Gemeinschaft Sant‘ Egidio eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen das Land gefordert. Am schlimmsten ist die Lage im Dschihadistengebiet der Provinz Idleb. Dort harren zwei syrische Franziskaner-Patres der Custodia Terra Sancta seit mehr als zehn Jahren mit 300 christlichen Familien in den Dörfern Knayeh und Jacoubieh, recht- und besitzlos, unter dem islamischen Gesetz der Scharia aus. In diese Region hat sich kein internationales Rettungsteam hineingetraut, weil es keine Sicherheit gibt. Auch die christlichen Rettungs- und Hilfwerke benötigen für ihre Mitarbeiter Mindeststandards an Sicherheit, die in Idleb nicht gewährleistet sind. Hier konnte allein die einheimische Hilfsorganisation Weißhelme helfen. Im Gegensatz zu den Technischen Hilfswerken des Katastrophenschutzes haben die christlichen Hilfswerke keine Teams aus Deutschland in die Katastrophengebiete geschickt.

Kampf mit Temperaturen und Nachbeben

So berichten die Malteser davon, dass mithilfe von syrischen Partnerorganisationen Zelte, Betten, Decken und Lebensmittel an Bedürftige in Nordwestsyrien verteilt werden. “Die Verletzten, Kranken, Älteren und die Kinder brauchen jetzt besonders Schutz und eine gute Versorgung. Jeder Euro wird gebraucht, weil es so viele und massiv Betroffene gibt”, teilt ein Hilfskoordinator von Malteser International, der die Nothilfe für die Türkei und Syrien von der türkischen Grenzstadt Kilis aus koordiniert, mit. Auch Caritas international ist mit lokalen Partnern in der Türkei und Syrien im Einsatz. Man konzentriert sich eher auf die Hilfen für die Überlebenden, erste Verteilungen von Hilfsgütern sind angelaufen. Zu kämpfen haben die Helferinnen und Helfer unter anderem mit den niedrigen Temperaturen und den zahlreichen Nachbeben. Caritas-Büros sind teilweise zerstört oder können nicht betreten werden. Außerdem gibt es eine anhaltende Cholera-Epidemie in Syrien, und die Gesundheitsstrukturen des Landes sind zerstört. Im syrischen Latakia, einer Stadt unter der Kontrolle der Assad-Regierung, sind vier ehrenamtliche Ärzte der Caritas von den Trümmern einstürzender Gebäude erschlagen worden, wahrscheinlich weil sie nicht die notwendigen technischen Geräte hatten, über die die westlichen Helferteams verfügen.

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