Das Symbol Kobane

Im Kampf um die kurdische Enklave zeigt sich, woran der Kampf gegen den IS krankt

Von Oliver Maksan

Die Tagespost, 10. Oktober 2014

Kobane, die vom Islamischen Staat umzingelte kurdische Grenzstadt nahe der Türkei, ist zum Symbol geworden. In Echtzeit gehen Livebilder des erbarmungslos umkämpften Ortes um die Welt. Hinter der türkischen Grenze nah genug aufgestellt, zoomen Kameras die Kampfhandlungen heran. Die Welt fragt sich, wie es möglich sein kann, dass vor ihren Augen und trotz amerikanischer Luftschläge mit dem Fall der Stadt zu rechnen ist. Tatsächlich verdichtet sich hier, wie es um die Koalition bestellt ist, die dem IS den Kampf angesagt hat.

Hier zeigt sich aber auch, worin gleichzeitig die Stärke der islamischen Gotteskämpfer liegt, die es sich zum Ziel gemacht haben, den Nahen Osten aus den Angeln zu heben.

Amerika, das das bunte Anti-Terror-Bündnis anführt, hat von Anfang an klar gemacht, dass der Kampf gegen den IS kein leichter sein und Zeit erfordern werde. Von Jahren war die Rede. Jetzt machte ein Pentagonsprecher angesichts Kobanes darauf aufmerksam, dass man künftig wohl noch weitere Städte fallen sehen werde. Unverblümt geben die Strategen des Kampfes in Washington damit zu, dass dem IS durch Luftschläge allein nicht beizukommen ist. Der Einsatz von Drohnen und Kampfflugzeugen kommt da an seine Grenzen, wo den Alliierten einerseits eine genaue Bodenaufklärung fehlt, und sie es andererseits mit einem taktisch sehr flexiblen und beweglichen Gegner zu tun haben. Kampfhubschrauber wären da besser geeignet. Doch Amerika setzt sie derzeit – und auch erst seit kurzem – nur im Irak ein. Angesichts der mit Flugabwehrraketen ausgestatteten IS-Kämpfer steigt so aber das Risiko, eigene Verluste zu erleiden. Und die will Amerika unbedingt verhindern. Nicht zuletzt deshalb sucht Washington die strategische Bedeutung Kobanes herunterzuspielen und die Zahl der verbliebenen Zivilisten möglichst niedrig anzusetzen. Man will nicht durch humanitäre Umstände wie im August im irakischen Sindschar-Gebirge zur Intervention gezwungen werden.

US-Präsident Obamas Strategie gegen den IS ist in allererster Linie von innenpolitischen Motiven diktiert. Diese schliessen den Einsatz von US-Bodentruppen kategorisch aus. Nach einhelliger Meinung von Militärexperten wird es aber ohne eine robuste Komponente am Boden nicht gelingen, den IS einzudämmen, geschweige denn zu vernichten. Die von den Amerikanern in Aussicht gestellte Ertüchtigung der nicht-dschihadistischen syrischen Opposition durch Training und Bewaffnung wird noch Monate brauchen, ehe es zur ersten Bewährungsprobe im Kampf gegen den IS kommen kann.

Eigentlich käme hier die Türkei ins Spiel, deren Panzer in Sichtweite der Kämpfe um Kobane stehen. Kürzlich liess sich die türkische Regierung vom Parlament auch grundsätzlich einen Militäreinsatz in Syrien und der Türkei mandatieren. Und Erdogan sprach selbst davon, dass eigentlich nur eine Bodenoffensive Kobane retten könne.

IS profitiert vom Armdrücken der Türkei mit den USA

Doch der Nato-Partner Ankara greift trotz massiven Drucks aus Washington nicht ein. Das hat vor allem mit den unterschiedlichen Prioritäten zu tun, die Washington und der Westen einerseits, Ankara und die sunnitischen Kräfte andererseits verfolgen. Der Türkei geht es noch immer vor allem um die Beseitigung des Assad-Regimes. Von der ehemaligen Männerfreundschaft zwischen Erdogan und Assad ist nichts geblieben, seit die Türkei die syrische Krise nutzen wollte, ihr regionalpolitisches Gewicht zu vergrössern.

Zwar hat auch Amerika über Assad schnell politisch den Daumen gesenkt, aber daraus letztlich nie die militärischen Konsequenzen gezogen. Angesichts zweifelhafter Alternativen für den Fall eines Sturz des Regimes zögerte Obama. Die Welt wird derzeit deshalb Zeuge einer Art regionalpolitischen Armdrückens zwischen Amerikanern und Türken um die richtige Strategie. Ankara will eine Intervention seinerseits überhaupt nur für den Fall erwägen, dass der alliierte Anti-IS-Kampf gleichzeitig Assads Sturz nicht aus den Augen verliert. Denn derzeit ist Assad tatsächlich der Gewinner der Anti-IS-Allianz.

Zum einen erscheint sein Regime als einzig effektiver Widerpart gegen den IS. Überhaupt scheint sich das Narrativ des Regimes zu bestätigen, man stehe im Abwehrkampf gegen eine dschihadistische Rebellion und nicht gegen das eigene Volk. Zum anderen nutzt Assad durch alliierte Militärschläge freigewordenen lokale Vakuen, um sich die so genannte moderate Opposition in Idlib, Aleppo oder Vororten von Damaskus vorzunehmen.

Ankara, das aufgrund seiner Anti-Assad-Strategie Dschihadisten jahrelang gewähren liess, fürchtet den IS mittlerweile dabei durchaus auch. Das Land trägt infolge der vom IS ausgelösten Flüchtlingsströme bedeutende humanitäre Lasten. Doch Erdogan weiss auch, dass ein direktes Eingreifen seinerseits den Zorn des IS gegen die Türkei lenken könnte. Dem Land könnte daraus ein terroristisches Problem erwachsen. Längst hat der IS auch Anhänger in der Türkei. Zudem ist die lange Grenze zu Syrien und dem Irak nicht leicht zu überwachen. Doch die klassische Zauberlehrlingsgeschichte, die die Türken mit dem IS verbindet, fürchtet Ankara offenbar noch immer weniger als eine mögliche Stärkung der syrischen Kurden. Deren Enklaven direkt an der türkischen Grenze wie Kobane sind den Türken ein Dorn im Auge. Dafür scheint Erdogan selbst die Gefährdung der Friedensgespräche mit der kurdischen PKK in der Türkei in Kauf zu nehmen. Auf keinen Fall will Ankara, dass die PKK durch einen Einsatz in Syrien weiter an Popularität gewinnt, und lässt deshalb weder kurdische Kämpfer noch Material passieren.

Gewinner dieser Konstellation ist derweil zweifelsohne der IS. Die Gruppe steigt in der Gunst des weltweiten dschihadistischen Publikums weiter stark an. Und auch in der Region festigt sich der Ruf der Terrormiliz, es selbst mit einem internationalen Bündnis aufnehmen zu können.

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