Syrien zwischen Krieg und Frieden
Aleppo war vor dem Krieg das Handels- und Wirtschaftszentrum des Landes, heute leiden seine Bewohner größte Not
Quelle
Syrien: Neuer Erzbischof für Damaskus – Vatican News
Syrischer Patriarch Aphrem II. in Israel und Palästina – Vatican News
Maalula
03.12.2023
Stefan Maier
Die Einreise nach Syrien auf dem Landweg verläuft ziemlich unspektakulär. Wir waren in die libanesische Hauptstadt Beirut geflogen und dort mitten in der Nacht von einem syrischen Bus abgeholt und zur Grenze gebracht worden, die wir sehr früh am Morgen problemlos passierten. Wir, das ist eine Delegation des Hilfswerks Initiative Christlicher Orient (ICO), mit dem Bischof von Linz, Manfred Scheuer.
In der syrischen Hauptstadt Damaskus erwartet uns in seinem Bischofssitz in Bab Scharqi, direkt an der biblischen “Geraden Straße” gelegen, der syrisch-katholische Erzbischof von Damaskus, Youhanna Jihad Battah. In der Stadt sind auf den ersten Blick keine Spuren des Kriegs zu entdecken. Das Leben geht seinen Gang. Am Abend sind die Straßen im Zentrum rund um die Omajjadenmoschee mit Menschen gefüllt. Auffällig ist nur, dass westliche Ausländer fast völlig fehlen; im Lauf der Reise werden wir mehrfach für Russen gehalten. Moskau ist ja ein enger Verbündeter der syrischen Regierung und hat Soldaten im Land stationiert, die die Regierungstruppen nach wie vor durch Luftangriffe im Kampf gegen Rebellen im Nordwesten Syriens unterstützen.
Ein kurzer Abstecher in die Außenbezirke und Vororte von Damaskus zeigt dann ein anderes Bild: Ganze Straßenzüge bestehen nur noch aus ausgebombten, zerstörten und teils eingestürzten Häusergerippen und Ruinen. Fotografieren ist hier wegen der vielen Militär-Checkpoints kaum möglich.
Fehlende Zukunftsperspektiven für die Jugend
Der syrisch-orthodoxe Patriarch Aphrem II., der in Maarat Saidnaya in der Nähe von Damaskus residiert, berichtet von den schwierigen Lebensbedingungen der syrischen Bevölkerung und den fehlenden Zukunftsperspektiven für die Jugend, durch die der Druck zur Auswanderung massiv verstärkt wird. Beim Mittagessen wird uns das ganze Dilemma des Wertverlusts der syrischen Währung klar: Der Geldstapel, mit dem wir unser einfaches Essen bezahlen, ist mehr als 15 Zentimeter hoch. In diesem Land wird nur noch in Millionen gerechnet. Bevor wir in Richtung Aleppo weiterfahren, machen wir in Maalula Halt. Maalula ist ein kleiner christlicher Ort an den Hängen des Qalamun-Gebirges, gut 50 Kilometer von Damaskus entfernt, zusammen mit einem Nachbarort die letzte Sprachinsel des Westaramäischen, jener Sprache, die einst Jesus sprach. 2013, am Beginn des Kriegs in Syrien, wurde Maalula mehrfach von Kämpfern der islamistischen al-Nusra-Front angegriffen und eingenommen, aber jedes Mal bald darauf wieder von syrischen Regierungstruppen – beim letzten Befreiungskampf verstärkt durch verbündete Kämpfer der Hisbollah aus dem Libanon – zurückerobert.
Die Bevölkerung von Maalula hatte damals viele Opfer zu beklagen, einerseits durch Exekutionen seitens der Rebellen, andererseits bei den Kämpfen, da sich Dorfbewohner den regulären Soldaten anschlossen, um bei der Befreiung ihres Dorfes mitzuhelfen. Viele der alten, nur aus Holz und Lehm gebauten Häuser in den verwinkelten Gassen sind damals ausgebrannt und zerstört worden.
Auch ein Dutzend Nonnen des griechisch-orthodoxen Thekla-Klosters wurden damals von den Terroristen entführt und verschleppt, kamen aber einige Monate später im Rahmen eines Gefangenenaustauschs wieder frei. Heute ist von all dem – abgesehen von einigen wenigen noch immer zerstörten Gebäuden – im Ortsbild kaum noch etwas zu sehen. Das geplünderte und schwer beschädigte Thekla-Kloster konnte 2018 wiedereröffnet werden. Nur ein Mosaik an der Wand des Klosters wurde – wohl als Erinnerung und Mahnung – unverändert gelassen: Hier wurden der Kopf des Jesu-Kindes und das Gesicht der Muttergottes von den Islamisten brutal aus der Wand geschlagen. An Stelle der zerstörten Ikonen im Kloster gibt es dort jetzt Ikonen aus Russland, die von russischen Offizieren und Soldaten gespendet wurden.
Zerstörung durch Islamisten
Auch im zweiten Kloster des Ortes, dem Sergius-Kloster, haben Islamisten gewütet und zahlreiche wertvolle Ikonen zerstört oder gestohlen. Diese sind heute durch Nachbildungen ersetzt. Die Klosterkirche der Heiligen Sergius und Bacchus aus dem vierten Jahrhundert ist eine der ältesten Kirchen der Welt und wurde in den Jahren 313 bis 325 unter dem römischen Kaiser Konstantin dem Großen errichtet. In der Kirche befindet sich einer der ältesten erhaltenen Altäre der Christenheit, dessen Altarplatte von den Islamisten entzweigeschlagen, nach deren Vertreibung jedoch von den Dorfbewohnern wieder zusammengeklebt wurde. Eine Fremdenführerin erinnert wehmütig an die vielen Besucher und Touristen, die früher hierherkamen, während es jetzt nur eine handvoll Personen pro Tag sei. Auch das nur einen Steinwurf entfernte Hotel Safir, das früher von christlichen Pilgern und Touristen genutzt wurde, im September 2013 aber als Basis der islamistischen Rebellen diente und bei den Kämpfen fast völlig zerstört wurde, liegt immer noch in Trümmern.
Die große Metropole Aleppo war in diesem Konflikt lange umkämpft und hat schwer gelitten. Unsere Fahrt geht auf Höhe der immer noch umkämpften Provinz Idlib über viele Kilometer durch eine entvölkerte Gegend, mit zerstörten Geisterdörfern auf beiden Seiten der Straße und zerstörten Brücken. Unser Fahrer erklärt, dass die Straße nun in der Hand der Regierungstruppen und sicher sei, aber nur fünf Kilometer ins Hinterland seien die ersten Stellungen der Rebellen. Über manchen Militärposten, an denen wir vorbeifahren, weht die grün-weiß-rote Fahne des Iran – ein weiterer Verbündeter der syrischen Regierung im Kampf gegen die Rebellen.
In Aleppo nehmen wir Quartier in der römisch-katholischen Pfarrei Sankt Franziskus, die von den Franziskanern geleitet wird. Pater Bahjat Karakach, der Pfarrer, weiß, welche der zerstörten Häuser den jahrelangen Kämpfen zum Opfer gefallen sind und welche bei dem schlimmen Erdbeben vom 6. Februar 2023 zerstört wurden, das nach den schlimmen Kriegsereignissen ein neues traumatisches Ereignis für die leidgeprüften Aleppiner war. Für Außenstehende sehen die Ruinen ziemlich gleich aus. Rund um das historische Stadtzentrum mit der mächtigen Zitadelle ist das Ausmaß der Zerstörungen atemberaubend. Auch die Zitadelle selbst, Teil des Weltkulturerbes, ist nicht zugänglich – sie wurde sowohl bei den Kampfhandlungen als auch durch das Erdbeben beschädigt.
Traurige Überreste des historischen Basars
Sprachlos ist unsere Delegation beim Spaziergang durch die traurigen Überreste des historischen Basars, der einst als der größte und schönste der islamischen Welt galt. Vor dem Krieg war ich oft alleine oder mit Reisegruppen durch diesen Basar flaniert, der ganz den Vorstellungen eines typisch orientalischen Marktes entsprach, denn er war nur auf die Bedürfnisse der Einheimischen, nicht auf die der Touristen ausgerichtet. Jetzt sieht man hier nur Trümmer, soweit das Auge reicht. Die meisten Geschäfte sind geschlossen. Pater Bahjat kauft dem einzigen Händler, der vor seinem winzigen Laden sitzt, eine Kleinigkeit ab – wohl aus Mitleid und um ihn für seinen Optimismus zu belohnen.
Aleppo war vor dem Krieg das Handels- und Wirtschaftszentrum des Landes, heute leiden seine Bewohner größte Not. Von den einst 250 000 Christen aller Konfessionen leben heute höchstens noch 25 000 in der Stadt. Ihnen gelten in erster Linie die vielfältigen humanitären und sozialen Aktivitäten der Pfarrei. Mit Unterstützung der ICO wurde 2021 eine Sozialküche gegründet, die aktuell weit über tausend Bedürftige und alte Menschen mit einer warmen Mahlzeit pro Tag versorgt. Schon am späten Vormittag finden sich die ersten Menschen am Standort der Küche, gegenüber der katholischen Kirche, ein und warten geduldig auf den Beginn der Verteilung. Die Menschen, die alle mittellos sind, sind dennoch gut gekleidet – diesen letzten Rest an Würde wollen sie sich trotz der widrigen Umstände nicht nehmen lassen. Kranke und bettlägerige Personen bekommen ihre Mahlzeit durch ein Team von Freiwilligen nach Hause geliefert. Die Pfarrei hilft auch bei der Reparatur von Wohnungen, die durch das Erdbeben beschädigt wurden.
Über die Küstenstadt Latakia, wo wir ein beeindruckendes Bildungsprojekt für Mädchen der lokalen NGO “People of Mercy” besuchen, geht die Fahrt weiter in die zentralsyrische Region Homs, wo wir mit dem neuen syrisch-katholischen Erzbischof Jacques Mourad zusammentreffen. Er war Priester und Mönch, als er im Mai 2015 von Dschihadisten aus dem Kloster Mar Elian in Qaryatayn entführt und fünf Monate lang gefangen gehalten wurde. Der IS drohte ihm mehrmals mit der Hinrichtung, sollte er nicht zum Islam konvertieren, doch er blieb standhaft. Später gelang ihm mithilfe von Muslimen die Flucht – einige seiner Fluchthelfer wurden deshalb später vom IS ermordet.
Anhaltende Auswanderung christlicher Familien
Jacques Mourad zeigt sich sehr besorgt über die anhaltende Auswanderung christlicher Familien. Auch wenn dies angesichts der großen Not verständlich sei, so schwäche es doch die christliche Präsenz im Land. Auch seine Diözese habe – wie alle anderen Kirchen im Land – in den vergangenen Jahren einen heftigen Aderlass erfahren, und zähle nun noch etwa 2 000 Familien. In der nahen Ortschaft Masskaneh wohnt Pfarrer Iyad Ghanem, der als Projektkoordinator der syrisch-katholischen Diözese Homs zahlreiche Projekte in der Region umgesetzt hat, die nicht nur Christen, sondern auch den muslimischen Bewohnern von Masskaneh und Umgebung zugute kommen. Dazu zählt etwa die Unterstützung der kleinen Baby-Klinik, der einzigen Behandlungsmöglichkeit für Babys und Kleinkinder in dieser Region, oder die regelmäßige Verteilung von Windeln an Familien mit behinderten Familienangehörigen. Zu unserer Überraschung werden wir bei der Ankunft nicht nur von der Familie von Iyad Ghanem, sondern auch von einer großen Abordnung muslimischer Bürger mit dem örtlichen Scheich an der Spitze erwartet. Sie wollen sich für eben diese Projekte bedanken. Ein Hoffnung gebendes Zeichen für das zumindest hier gute Zusammenleben der Religionen und Konfessionen in diesem vom langjährigen Krieg gezeichneten und verwundeten Land.
Der Autor ist Projektkoordinator des österreichischen Hilfswerks Initiative Christlicher Orient (ICO).
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