Syrien

Syrien: „Wir brauchen humanitäre Korridore in Aleppo!“

Quelle
Malteser International

Die Nachrichtenlange zu humanitären Korridoren in Aleppo ist widersprüchlich. Während von russischer Seite darauf verwiesen wird, dass es bereits Hilfskorridore aus der belagerten Oppositionshochburg gebe, richteten erst an diesem Mittwoch 40 internationale Hilfsorganisationen einen Appell an die Internationale Gemeinschaft, die Einrichtung „wirklicher“ humanitärer Korridore und die Einhaltung von Feuerpausen zu überwachen.

Janine Lietmeyer ist die Ländergruppenleiterin für die Region Nahost beim Hilfswerk Malteser International. Sie kam erst vor Kurzem von einer Reise in die Region zurück und berichtet im Radio Vatikan-Interview: „Es wäre aus humanitärer Sicht absolut wünschenswert und auch notwendig, humanitäre Korridore zu haben, um die eingeschlossenen Menschen entweder versorgen zu können oder ihnen zu ermöglichen, aus der Stadt heraus zu kommen. Das ist aber ein schwieriges Thema, denn die Einrichtung dieser Korridore hängt natürlich davon ab, wie die syrische Regierung sich dazu stellt.“ Es scheine nicht so, als hätten Zivilisten die Stadt verlassen können. Dies liege auch daran, dass die Menschen stark verunsichert wären: „Denn man muss sich vor Augen halten, dass diese Korridore ja nicht vom Oppositionsgebiet ins Oppositionsgebiet gehen, sondern die Menschen hätten ausschließlich die Möglichkeit, von der Oppositionsseite auf Regimeseite zu wechseln und da gibt es große Ängste, wie die Bevölkerung dort aufgenommen würde und auch da gestaltet sich die Versorgungslage als sehr schwierig.“

Kinderkrankenhaus in Schwierigkeiten

Insbesondere das Kinderkrankenhaus von Aleppo werde seit vergangenem Jahr durch die Malteser unterstützt. Die zunehmende Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur in der Stadt, aber auch im Norden Aleppos, bereite den Verantwortlichen große Sorge. „Zur allgemeinen Konfliktsituation kommt nun hinzu, dass das, was lange befürchtet worden ist, eingetreten ist, nämlich dass die östlichen Stadtteile Aleppos vollständig abgeschnitten sind.“ Die syrische Armee habe mittlerweile einen Ring um die Stadt gezogen, so dass es keine Möglichkeit mehr gebe, Hilfsgüter in die Stadt zu schaffen oder Zivilisten sicher aus der Stadt zu bekommen.

„Erstaunlicherweise gibt es immer noch Ärzte, Krankenschwestern und medizinisches Personal, das in der Stadt ausharrt und sich mit großem Engagement für die Patienten einsetzt um das wenige, das noch zur Verfügung steht, zum Einsatz zu bringen.“ Wenn man von Krankenhäusern spreche, so Leitmeyer, dürfe man sich in Aleppo allerdings nicht die Arten von Krankenhäusern vorstellen, die es in Syrien vor Ausbruch des Bürgerkriegs durchaus gegeben habe: Gut ausgestattete und moderne Zentren, an denen Menschen professionell und adäquat geholfen werden konnte. Heute sehe die Situation etwas anders aus: „Das sind behelfsmäßige Privathäuser, die ummöbliert wurden und behelfsweise ausgestattet wurden, um dort Patienten versorgen zu können. Im Falle des Kinderkrankenhauses ist es so, dass keine andere medizinische Einrichtung in Aleppo mehr spezialisierte Pflege insbesondere für Frühgeborene, die Intensivpflege oder Beatmung brauchen, anbietet.“

Im Laufe des vergangenen Jahres, als Hilfslieferungen die Stadt von Norden aus noch erreichen konnten, habe Malteser International entsprechende Geräte nach Aleppo eingeführt. Doch auch hier dürfe man nicht von einem Krankenhaus ausgehen, wie wir es vor unserem inneren Auge hätten: aus Sicherheitsgründen habe die Einrichtung bereits dreimal ihre Position wechseln müssen, weil es seit Beginn des Krieges im Jahr 2012 gezielte Angriffe auf zivile Einrichtungen wie das Kinderkrankenhaus gegeben habe, berichtet die Länderverantwortliche der Malteser. Mittlerweile habe das Krankenhaus aus Sicherheitsgründen seine Tätigkeit in den Keller des Gebäudes verlegen müssen, während  beispielsweise Brutkästen mit Frühchen und andere schwere Fälle aufgrund der notwendigen ständigen Stromversorgung nicht evakuiert werden könnten.

Motivierung örtlicher Ärzte und Pfleger

„Eine große Herausforderung seit mehr als drei Jahren, die wir mittlerweile in der Region aktiv sind, ist gerade die, medizinisches Personal zu motivieren, weiter innerhalb Syriens zu arbeiten, weil es eben so gefährlich ist.“ Die Malteser leisteten finanzielle und materielle Hilfe, zahle aus Hilfsmitteln der Bundesregierung Gehälter für das medizinische Personal und betreibe selbst Krankenstationen: „Wir haben ein Feldkrankenhaus eingerichtet, das mittlerweile eine sehr große Referenzstruktur ist, dadurch dass mehr und mehr Krankenhäuser zerstört worden sind, kommen mittlerweile über 1.000 Patienten monatlich in dieses Krankenhaus, das in einem der Vertriebenenlager errichtet worden ist. Außerdem betreiben wir mit unseren syrischen Partnern vier Basisgesundheitsstationen, zwei davon sind mobile Container, die immer dann eingesetzt werden können, wenn es neue Wellen von Binnenvertriebenen gibt, die in die Region fliehen.“

Eine Prognose über die weitere Entwicklung der Situation abzugeben, sei sehr schwierig und fehleranfällig, gibt Lietmeyer zu bedenken. Auch die Belagerung Aleppos selbst sei lange Zeit als nicht wahrscheinlich angesehen worden, doch der Einsatz der russischen Luftwaffe habe die Karten noch einmal völlig neu gemischt.  Die Komplexität des syrischen Bürgerkriegs, bei dem mehrere Parteien gegeneinander stünden, unter ihnen Regierungstruppen, Oppositionelle, IS-Kämpfer und kurdische Peshmerga, die ihre im Rahmen des Konfliktes neu gewonnene Autonomie nach dem Ende des Bürgerkriegs sicher nicht leichten Herzens an eine Zentralregierung abtreten würden, verheiße aber vor allem eines: „Unsere Befürchtung ist, dass der Konflikt und damit auch die humanitäre Notlage noch sehr, sehr lange das Tagesgeschehen bestimmen werden.“

rv 03.08.2016 cs

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