Die stillen Vermittler

Hochrangige Vertreter der Weltreligionen beteten in Berlin für Frieden und berieten über gewaltfreie Wege zur Beendigung von Konflikten. Dieses von von Sant’Egidio iniitiierte Weltfriedenstreffen bleibt nicht folgenlos

Quelle

23.09.2023

Oliver Gierens

Es war eine Mischung aus kirchlicher Basisbewegung und einem Stelldichein deutscher Politprominenz. Am Ende steuerte auch Papst Franziskus ein Grußwort bei zum 37. Internationalen Friedenstreffen von Sant’Egidio, das Mitte September in Berlin stattfand. Dass der Wunsch nach Frieden nichts Abstraktes ist, sondern ein konkretes Anliegen, war in der deutschen Hauptstadt mit Händen zu greifen: Nur ein paar hundert Kilometer weiter östlich, in der Ukraine, tobt seit über einem Jahr wieder ein Krieg – mitten in Europa, entfacht vom russischen Machthaber Wladimir Putin.

Das wurde auch in der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Friedenstreffen deutlich: Er nannte den Rückzug der russischen Truppen als Bedingung für Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Es gehe nicht, “dass der Raubzug legitimiert wird”, machte Scholz deutlich – und verteidigte erneut deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, die er auch friedensethisch für geboten halte.

Damit erntete Scholz allerdings nur verhaltenen Applaus bei den Teilnehmern des Friedenstreffens der katholischen Laiengemeinschaft, das nach Aachen (2003), München (2011) und Münster sowie Osnabrück (2017) zum vierten Mal in Deutschland stattgefunden hat. 1968 nach den Umbrüchen des des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom gegründet, gehören Sant’Egidio heute nach eigenen Angaben rund 60 000 Mitglieder an – davon gut 5000 in Deutschland –, die gemeinsam ein Netzwerk in über 70 Ländern weltweit bilden. Elemente der Gemeinschaft sind das gemeinsame Gebet, der Einsatz für Arme sowie der Einsatz für den Frieden. Sant’Egidio will dabei vor allem in Konfliktgebieten zwischen Bürgerkriegsparteien vermitteln, wirkt dabei oft still im Hintergrund.

Mauer auf friedlichem Wege beseitigt

Pfarrer Matthias Leineweber aus dem Bistum Würzburg ist der Geistliche Begleiter und zweite Vorsitzende der Gemeinschaft in Deutschland – und auch er war in Berlin dabei. “Es war ein besonderes Treffen, weil es mit Berlin eine besondere Symbolik hatte”, sagte Leineweber im Gespräch mit der “Tagespost”. Hier sei einer Mauer auf friedlichem Wege beseitigt worden – durch viele Bürger, durch Friedensgebete und Politiker wie Michail Gorbatschow, die eine neue Politik eingeleitet hätten. Und er erinnerte an die Verdienste des heiligen Papstes Johannes Paul II., der immer für ein Ende des Kommunismus gekämpft habe. Auf ihn geht auch die Anerkennung von Sant’Egidio als katholische Laiengemeinschaft 1986 zurück, – also just in dem Jahr, in dem der damalige Papst das erste Weltgebetstreffen der Religionen für den Frieden in Assisi ausrief.

Gerade die Erinnerung an die Wendezeit sei daher ausschlaggebend gewesen, um im Angesicht des Ukraine-Krieges nach Berlin zu gehen, so Pfarrer Leineweber. Man habe zeigen wollen, dass man auch durch Gebete und Bürgerengagement eine Mauer friedlich und ohne Gewalt zum Einsturz bringen und eine neue Zukunft in Frieden und Freiheit vorbereiten könne. Trotzdem sei es nicht einfach gewesen, in dieser großen und polarisierten Stadt ein solches Treffen vorzubereiten. Umso zufriedener zeigt sich der Geistliche Leiter mit dem Ergebnis: Die drei Tage seien auf großen Anklang gestoßen, viele Würdenträger verschiedener Religionen seien vor Ort gewesen.

Sachlich unterwegs für Dialog und Frieden

Zu ihnen gehörte auch Kardinal Matteo Zuppi, der als eine Art Vermittler zwischen den Kriegsparteien Ukraine und Russland vermitteln soll und eine Art humanitäres Abkommen in die Wege leiten soll. Dass auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung kam und damit neben dem Kanzler ein weiterer hochrangiger deutscher Politiker der Gemeinschaft seine Aufwartung machte, sei ein Glücksfall gewesen, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, der Bevölkerung und der Medien nochmals stärker auf das Friedenstreffen gelenkt habe, so Leineweber.

Dass sich die Religionen für Dialog und Frieden einsetzen würden, sei dabei eine wichtige Botschaft gewesen. “Es waren hochrangige, gute und sachliche Dialoge”, so der Geistliche Begleiter. Genau das brauche man in einer Zeit, in der so viel Polemik, so viele Emotionen immer wieder die Debatte bestimmten.

Jeder kann etwas zum Frieden beitragen

Auch die Themen der insgesamt 20 Foren seien sehr vielfältig gewesen: Debatten beispielsweise über Künstliche Intelligenz oder Kinderrechte, die Folgen des Krieges oder über Gemeinsinn und Individualismus unter dem Motto “Vom Ich zum Wir” hätten viele gute Gespräche auch mit dem Publikum ausgelöst.

Über 3000 registrierte Teilnehmer hätten sich vorab angemeldet, aber die Veranstaltungen waren für alle Interessierten offen – zum Beispiel seien über 1000 Schulen überwiegend von kirchlichen Schulen aus Berlin dabei gewesen. Bei einem Forum hätten die Jugendlichen mit Zeitzeugen sprechen können, die über die Auswirkungen von Kriegen und Konflikten berichteten. “Dass jeder etwas für den Frieden tun kann, dass war eine wichtige Botschaft”, so der Geistliche Leiter von Sant’Egidio Deutschland.

Player in der internationalen Friedensdiplomatie

Und das versucht auch die Gemeinschaft selbst. Spätestens seit dem Friedensabkommen von Rom im Oktober 1992, als Sant’Egidio nach 16 Jahren Bürgerkrieg in Mosambik für das Land ein Friedensabkommen vermittelte, ist die Gemeinschaft ein Player in der internationalen Friedensdiplomatie. Auch in Richtung Ukraine bestehen zahlreiche Gesprächskanäle, sagt Pfarrer Leineweber.

Politisch unterstütze Sant’Egidio die Vermittlungsinitiative von Kardinal Zuppi, der mit der Gemeinschaft verbunden, aber in diesem Fall im Auftrag des Papstes unterwegs sei. Es sei wichtig, dass er gerade Gespräche mit der Regierung in China geführt habe, das wiederum einen gewissen Einfluss auf Russland habe, so Leineweber. “Das ist unsere große Hoffnung, dass sich da wieder ein neuer Kanal auftut.”

Religionen treten für Versöhnung, Frieden und gegenseitigen Respekt ein

Gerade der friedliche Dialog der Religionen sei gleichsam der “Urimpuls” von Papst Johannes Paul II. beim ersten Weltfriedenstreffen in Assisi gewesen, so Pfarrer Leineweber. Die große Problematik sei ja, dass die Religionen in die Kriege mit hineingezogen würden und sie teilweise – wie der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill in Moskau – auch unterstützten. Der Sinn des Geistes von Assisi sei, dass die Religionen für Versöhnung, Frieden und gegenseitigen Respekt eintreten sollten. “Ich glaube, wir haben in Berlin festgestellt, dass sich da viel bewegt hat.”

So habe die größte Autorität des sunnitischen Islam, der Großimam der al-Azhar-Moschee im ägyptischen Kairo, Ahmad al-Tayyib, bereits an mehreren Friedenstreffen teilgenommen und sei auch in Berlin wieder dabei gewesen. Er habe ganz eindeutig gesagt, dass jeder, der Gewalt im Namen der Religion ausübe, nicht im Namen Gottes handle und zu verurteilen sei – auch, wenn es sich um Muslime handle. “Solche Aussagen sind einfach extrem wichtig, weil es von ihm kommt. Das ist für muslimische Gläubige nochmals etwas anderes, wenn das ihr eigenes Oberhaupt sagt.”

Von Gewaltunterstützung zum Friedensbringer

Und al-Tayyibs Entwicklung sei eine Geschichte, so Leineweber. “Er hat eine Geschichte durch die vielen Friedenstreffen durchgemacht von einem Mann, der eher die Gewalt mit unterstützt hat und jetzt ein entschiedener Gegner der Gewalt im Namen der Religion ist.” Das sei für die Christen in Ägypten enorm wichtig.

So seien die Treffen von Papst Franziskus mit islamischen Führern auch eine Frucht vieler Friedenstreffen, auf denen Dialoge entstanden seien. “Das ist wenigstens eine kleine Hilfe für die ohnehin schon sehr bedrängten Christen im Nahen Osten und ein Kanal bei den vielen fundamentalistischen Strömungen, die dort aktiv sind.” So müsse man weiterarbeiten, sagt Leineweber. “Das ist eine geduldige Arbeit, und die hängt sehr stark von den persönlichen Beziehungen ab.”

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