Fehldiagnosen

Kirche als Herrschaftsinstrument des Klerus?

Quelle
Trotz Kirche an Christus glauben?
Studienhaus – SJM – Servi Jesu et Mariae (sjm-online.org)
Der Ruf des Königs

10.08.2023

Markus Christoph SJM

Ja, die Kirche muss alles Menschenmögliche tun, um Missbrauch zu verhindern. Ja, auch für Amtsträger braucht es Kontrollmechanismen, die die Einhaltung geltender Gesetze garantieren. Und ja, in der Kirche ist mehr Transparenz nötig, um Machtmissbrauch zu unterbinden. Die Beschlüsse des Synodalen Wegs enthalten diesbezüglich manch sinnvollen Reformvorschlag. Aber es gibt auch irritierende Forderungen, nämlich wenn zwischen Forderung und Missbrauchsprävention kein kausaler Zusammenhang erkennbar ist. Beim Thema “Gewaltenteilung in der Kirche”, das die Synodaltexte als roter Faden durchzieht, sei dies an drei Beispielen aufgezeigt.

These 1: Geteilte Macht schafft Transparenz

Im synodalen Grundtext “Macht und Gewaltenteilung in der Kirche” heißt es: “Geteilte Verantwortung schafft nicht zuletzt Transparenz im Gebrauch kirchlicher Macht.” (Nummer 4; alle folgenden Nummern beziehen sich auf diesen Grundtext.) Offen bleibt, warum die Teilung von Macht zu Transparenz führen soll. In der EU, einem Muster an Gewaltenteilung, bleibt Transparenz oft ein bloßes Desiderat. Auch beim Synodalen Weg, dessen Verantwortung ausdrücklich zwischen Bischöfen, Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und sonstigen Vertretern aufgeteilt war, blieb manche Entscheidung intransparent, angefangen von der Auswahl der Synodalen bis hin zur Auslegung der Geschäftsordnung.
Dabei wäre ein Mehr an innerkirchlicher Transparenz wichtig. Betroffene Opfer erleben kirchliche Verfahren, denen sie machtlos ausgeliefert sind, als Retraumatisierung. Priesteramtskandidaten, deren Weihe ohne Begründung abgelehnt wird, erleiden eine Form von Machtmissbrauch, ebenso Gläubige, die die Inhalte von Ad-Limina-Besuchen ihrer Bischöfe erst durch die Veröffentlichung von Kurienkardinälen erfahren. Die Forderung nach mehr Transparenz in der Kirche ist legitim und wichtig. Dass Gewaltenteilung dazu ein effektiver Weg ist, wäre erst zu zeigen.

These 2: Leitung braucht Mitbestimmung

Mehrfach fordert der Synodaltext, „dass Leitung immer auch von denen mitbestimmt werden muss, über die bestimmt wird.“ (15) Damit ist schwerlich ein allgemeingültiges Leitungsprinzip gemeint. Der Kirchenchor wird vom Dirigenten verantwortet, die Fußballmannschaft vom Trainer. Hoffentlich. Ein Dirigent mag die Meinung seiner Sänger einholen, aber Wehe dem Chor, dessen Sänger über Piano und Forte entscheiden. Mitbestimmungsformen können bei passender Gelegenheit das Engagement von Mitgliedern stärken, sind jedoch nicht Voraussetzung legitimer Leitung.

Auch hier bleibt unklar, wie Mitbestimmungsrechte Missbrauch verhindern könnten. Warum sollte die Beteiligung der Gläubigen bei der Bestellung ihres Bischofs möglichem Missbrauch vorbeugen? Damit gäbe es gleichzeitig neue Möglichkeiten für Manipulation und Beeinflussung. (War das 14-köpfige Gremium der versuchten Laienbeteiligung bei der Bischofsernennung in Paderborn aus-gewogen?) Ein Blick auf Verbände, Schulen und Sportvereine, wo überall Mitbestimmungsstrukturen etabliert sind, zeigt, dass damit Missbrauch nicht wirksam ausgeschlossen wird. Der Kampf gegen Missbrauch braucht Kontrolle und Transparenz; sich die Lösung von Mitbestimmungsrechten zu erhoffen, bleibt unverständlich.

These 3: Nur mit konsequenter Gewaltenteilung bleibt die Kirche glaubwürdig

Die synodalen Texte beschreiben Gewaltenteilung als notwendigen Schritt einer Inkulturation des Evangeliums in demokratisch geprägte Gesellschaften. “Eine Veränderung der kirchlichen Machtordnung ist (…) aus Gründen gelingender Inkulturation in eine demokratisch geprägte freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaft geboten.” (6) Hier wird nicht mehr der Anspruch erhoben, die geforderte Maßnahme selbst diene der Missbrauchsprävention. Vielmehr könne die Kirche nur so verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. “Deshalb ist Macht an Legitimität zu binden: An Verfahren, vor allem an kommunikative Verständigung.” (45) Kirchliche Leitungsentscheidungen seien dann legitim, wenn sie in gemeinsamer Absprache getroffen würden. Fehlt diese Verständigung, fehlt die Legitimität.

An anderer Stelle wird der gleiche Gedanke theologisch formuliert: Aus der “wahren Gleichheit der Gläubigen aufgrund der Taufe” ergebe sich für Kirchenmitglieder ein Anrecht “gleichberechtigter Teilhabe und gemeinsamer Verantwortung für ihren Sendungsauftrag” (66) Oder in politischen Begriffen ausgedrückt: Wichtig sei, “im Sinne von “checks and balances” die (…) bei kirchlichen Leitungsämtern unumgängliche Machtasymmetrie mit (…) Mitentscheidungsrechten zu verbinden.” (62)

Welches Verständnis von kirchlicher Leitungsvollmacht liegt den Texten des Synodalen Wegs eigentlich zugrunde? Gibt es diese “gleichberechtigte Teilhabe” aller Gläubigen an der Verantwortung des kirchlichen Sendungsauftrags?

Zweites Vatikanum definiert kirchliche Leitungsvollmacht

Das katholische Verständnis von kirchlicher Leitungsvollmacht wurde vom Zweiten Vatikanum präzise ausformuliert:”„Der Amtspriester bildet kraft seiner heiligen Gewalt (sacra potestas), die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar. Die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.” (LG 10) “Die Bischöfe sind vom Heiligen Geist eingesetzt und treten an die Stelle der Apostel als Hirten der Seelen. (…) Die Bischöfe sind durch den Heiligen Geist, der ihnen mitgeteilt worden ist, wahre und authentische Lehrer des Glaubens, Priester und Hirten geworden.” (CD 2) “Die Priester üben entsprechend ihrem Anteil an der Vollmacht das Amt Christi, des Hauptes und Hirten, aus. (…) Wie zu den übrigen priesterlichen Ämtern wird auch zu diesem eine geistliche Vollmacht verliehen, die zur Auferbauung gegeben wird.” (PO 6)

Kurz: Dem geweihten Amt kommt die gnadenhaft geschenkte Vollmacht zu, in persona Christi zu handeln. Jesus hat den Aposteln eine sacra potestas übertragen, die seither im Sakrament der Weihe weitergegeben wird. Diese Vollmacht kommt nicht im Sinn neuzeitlicher Gewaltenteilung dem ganzen gläubigen Volk zu, sie wird dem Amtsträger nicht von den Laien verliehen, sie ist auch nicht an kommunikative Verständigung gebunden, sondern gründet in der sakramentalen Anteilnahme des Amtsträgers am Hirtendienst Christi. Diese Vollmacht befähigt den Amtsträger nicht nur, an Christi Stelle zu heiligen, das heißt, Sakramente zu spenden, sondern auch an seiner Stelle die Kirche zu lehren und zu leiten. Durch das sakramentale Amt leitet Christus selbst seine Kirche. In der amtlichen Vollmacht wird sichtbar, wie die Kirche eine “komplexe Wirklichkeit bildet, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.” (LG 8)

Kirche als Herrschaftsinstrument des Klerus

Dass die Träger des kirchlichen Amtes sündhafte Menschen bleiben und ihre Vollmacht auf erschreckende Weise missbrauchen können, war der Kirche immer bewusst – wenngleich versäumt wurde, entsprechende Sicherungsmechanismen zu entwickeln. Der Missbrauchsskandal hat deutlich gemacht, wie wichtig Kontrolle und Transparenz sind. Beides, Kontrolle und Transparenz, ist mit der sakramentalen Leitungsvollmacht des Amtes vollauf vereinbar. Eine kleine Gruppe von Synodalen hat dazu bereits 2021 unter dem Titel “Vollmacht und Verantwortung – Thesen zur Kirchenreform” gute Reformvorschläge veröffentlicht.

Der Handlungstext des Synodalen Wegs dagegen erwähnt zwar kurz die von Christus eingesetzte Leitungsvollmacht, sie spielt aber bei den weiteren Überlegungen keine Rolle. Im Gegenteil: Die Kirche wird als Herrschaftsinstrument des Klerus gezeichnet, dringend nötig sei eine “Veränderung der kirchlichen Machtordnung” (6) mit “einklagbaren Beteiligungsrechten” (4) – womit in der Sache die sakramentale Grundstruktur der Kirche geleugnet ist.

Bei all dem bleibt unklar, in welchem kausalen Zusammenhang Gewaltenteilung mit einer wirksamen Missbrauchsprävention stehen soll. Marianne Schlosser hat es sinngemäß wie folgt auf den Punkt gebracht: Aus demokratischer Sicht wäre es vielleicht “gerechter”, dass nicht nur der Klerus, sondern alle Gläubigen Macht missbrauchen können sollen. Besser würde die Sache dadurch nicht.

Der Autor ist Dozent für Moraltheologie im Studienhaus St. Petrus Canisius der Ordensgemeinschaft Servi Jesu et Mariae.

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