“Der Weg zu Gott ist nicht weit”

Vor 900 Jahren begann in Kloster Kamp, dem Mutterkloster von Neuzelle in Brandenburg, zisterziensisches Leben auf deutschem Boden. Über die Anfänge des Ordens berichtet der heilige Bernhard von Clairvaux, dessen Fest die Kirche am 20. August feiert

Quelle
Die Gemeinschaft · Abtei Hauterive (abbaye-hauterive.ch)
Kloster Kamp – Start (kloster-kamp.eu)
Kloster Neuzelle

20.08.2023

Niklaus Kuster OFM

Bernhard, mein 20. Geburtstag führte mich zu dir. Ich weilte als Student in der Abtei Hauterive! Was verbindet Dich mit diesem Kloster?

Die Hauterive, eine Gehstunde südlich von Fribourg! Das Kloster wurde ab 1132 unter meiner Aufsicht gegründet: als Tochter meines Filialklosters Cherlieu. Tatsächlich erinnert “Altaripa” im Flusstal der Sarine einzigartig an die Frühzeit meines Ordens und unser Ideal: ein schlichtes Leben, abgeschieden in Wäldern, ohne Kontakt zu umliegenden Dörfern und der nächsten Stadt, an einen Fluss gebaut, geprägt von tiefer Stille, mit den tragenden Rhythmen von sieben Gebetszeiten am Tag und einer mitten in der Nacht, schweigender Tischgemeinschaft und Handarbeit aller Mönche. Ein Leben, wie es die Benediktsregel vorsieht! Wir kehrten zurück zur monastischen Reinheit!

Du kommst ins Schwärmen, Bruder!

Vielleicht deshalb, weil ich dieses Leben damals Tausenden von Mönchen ermöglicht habe, selber jedoch allzu oft unterwegs und mit vielfältigen Missionen in kirchlichen und weltlichen Konflikten belastet war.

Was hat dich dazu bewegt, mit 22 Jahren in die noch junge Reform der “weißen Mönchen” einzutreten?

Ich kam als Adeliger in Fontaines-lès-Dijon zur Welt. Als dritter Sohn war für mich eine kirchliche Karriere vorgesehen. So sandte mich mein Vater Tescelin le Roux in eine Schule der Kanoniker von Châtillon-sur-Seine, 80 km von unserer Burg entfernt. Mit 15 verlor ich meine spirituell sensible Mama Aleth de Montbard. Damals machte ein neues Kloster von sich reden, das nur gerade einen halben Tagesritt südlich von Dijon aufblühte. Robert de Molesme hatte Cîteaux 1098 mit Mönchen gegründet, die das benediktinische Leben in seiner Reinheit und Strenge führen wollten. Mein Weg führte auf einem Umweg dahin: Ich lebte zunächst in Châtillon mit Freunden nach dem Vorbild des Kirchenvaters Augustinus in einer religiösen Hausgemeinschaft. 1112 entschlossen wir uns, in Cîteaux um Aufnahme zu bitten. Wir klopften gleich zu dreißig an die Klosterpforte!

Was motivierte deinen Wechsel aus der Stadt in die Stille?

Sehnsucht! Lass mich dazu aus einer Predigt über die zwei verlorenen Söhne zitieren: “Ein großer Hunger ist über die Erde gekommen (Lukas 15, 14). Wir alle sind in äußerste Not geraten und … haben unseren unstillbaren Hunger mit den Schweineschoten zu sättigen gesucht. Ich kenne Menschen, die … diese Welt satthaben. Bei jedem Gedanken an sie befällt sie der Überdruss. Ich kenne Menschen, die das Geld satthaben und ebenso den Ruhm. Ich kenne Menschen, die die Vergnügungen und Späße der Welt satthaben. Nicht nur ein wenig, sondern bis zum Ekel” (De conversione XIV).

Du bist nicht lange in Cîteaux geblieben! Wie ging Dein Weg weiter?

Allzu kurz, tatsächlich! Das Kloster wurde von Novizen überrannt. So sandte mich Abt Stephan Harding nach drei Jahren zur Gründung des Tochterklosters Clairvaux, in einem “hellen Tal” unweit von Troyes. Schon drei Jahre später gründeten wir 1218 ein erstes Tochterkloster in Trois-Fontaines. Zu meinen Lebzeiten entstanden weitere 67 Filialklöster von Clairvaux. Sie spannten meine Horizonte über das ganze Abendland: Rievaulx gründeten wir 1132 in England, Eberbach 1136 in Deutschland, Tre Fontane 1140 in Rom, Alvastra 1143 in Schweden und Alcobaça 1152 in Portugal.

Du hast dich bald in weltliche Geschäfte eingemischt – und hast Päpste und Könige bewegt! Wie hast Du diese Etappe Deines Lebens wahrgenommen?

Du sprichst eine Entwicklung an, die zum Drama meines Lebens wurde. Bald nach der Gründung von Clairvaux intervenierte ich mit Briefen, später auf zahlreichen Reisen in allerlei Konflikten. Der Gottessohn erwählte sich seine Jünger ja aus, “damit sie mit ihm seien und er sie sende” (Markus 3, 14). Dabei hatten sie Frieden in die Häuser, “Dörfer und Städte zu tragen” (Lukas 10, 1–16). Das monastische Leben verschließt nicht, sondern schärft den Blick in die Welt. Mein Freund Aelred von Rievaulx hat das wunderbar ausgedrückt: “Umfasse die ganze Welt mit deiner umarmenden Liebe! Denke an alle Guten in der Welt und freue dich über sie! Denke an alle Bösen, halte sie dir vor Augen und weine! Halte dir das Elend der Armen gegenwärtig, das Weinen der Waisen, die Verlassenheit der Witwen, … die Entbehrungen der Pilgernden, die Gefahren der Seereisenden, … die Verantwortung der Prälaten, die Strapazen der Soldaten. Allen öffne dein liebendes Herz, für sie trage deine Bitten vor Gott. […] Es stört nicht die Ruhe des Herzens, sondern bewahrt sie.” (Reklusenregel c. 46) In meinem Fall blieb es nicht beim Gebet: Ich ritt Tausende von Meilen, um in kirchlichen und weltlichen Konflikten Brücken zu bauen.

Modern gesagt: Du hast deine Mystik mit Politik verbunden!

Richtig! Schon damals warfen mir Gegner und auch Mönche Verrat an der monastischen Berufung vor. Viele priesen mich für meine Auslegung des Hoheliedes. Mit dem Kirchenvater Origenes verstand ich die biblischen Liebeslieder als Bilder für die glühende Liebe zwischen Christus und der menschlichen Seele. Was kann sich Liebe mehr wünschen als Intimität und Zweisamkeit? Doch hört die Geliebte des Hoheliedes, “sie solle sich aufmachen und eilen! Zweifellos, um andere Menschen zu gewinnen. Denn der wahren Kontemplation ist es eigen, den Geist, am göttlichen Feuer zu heller Glut entfacht, mit allem Eifer … dazu zu drängen, dass er Menschen für Gott gewinne. Sie sollen den Liebenden ebenso lieben. Dieser Verkündigung zuliebe unterbricht er die Ruhe der Beschauung gern” (Hoheliedpredigt 57, 9).

Du hast mehr als nur verkündet; Du hast Politik gemacht und Könige zum zweiten Kreuzzug mobilisiert. Auf welche Weise geschah das?

Meine Zeit war tatsächlich von großen Konflikten geprägt. Im Papstschisma verhalf ich mit Petrus Venerabilis von Cluny und Suger von St-Denis Innozenz II. zum Durchbruch. Der rechtmäßige Papst dankte es mir denn auch 1131 mit einem Besuch in meinem Kloster Clairvaux. Auf seinen Wunsch hin reiste ich dreimal nach Italien. Auf der ersten Reise vermittelte ich zwischen den zerstrittenen Städten Pisa und Genua Frieden. Bei der zweiten Reise (1135) nahm ich am Konzil von Pisa teil und erlebte auf der Rückweg in Mailand einen enthusiastischen Empfang. Bei der dritten Reise gelang mir die Aussöhnung des neuen Gegenpapstes Viktor IV. mit Innozenz II., und in Lucca entschärfte ich einen Konflikt der Stadt mit den kaiserlichen Truppen.

Dein Engagement für einen neuen Kreuzzug dagegen war ziemlich militant …

Mit Eugen III. ist einer meiner Schüler Papst geworden. Die Eroberung Edessas durch die Muslime und die Abschlachtung der ganzen Stadt war ein Schock für die christliche Welt. Wir fürchteten das Schlimmste für das Heilige Land. Und so berief Papst Eugen mich zum Kreuzzugsprediger. Im Frühling 1146 gewann ich weite Kreise Frankreichs, in den Weihnachtstagen in Speyer den deutschen König Konrad III. für die Teilnahme am Kreuzzug. Dass dieser Heilige Krieg (1147–1149) dann in einer militärischen Katastrophe endete und viele Kreuzritter das Leben kostete, war die Schuld der Strategen unterwegs. Ich handelte damals nach bestem Wissen und Gewissen (De consideratione II, 1–4). Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, Muslime als Gottesfeinde zu bezeichnen und schon früh gegen sie zu hetzen (Ad milites templi). Doch gelang es mir wenigsten, im Vorfeld des Kreuzzugs die Judenhetze des Mönchs Radulf in Mainz zu beenden (Epistula 363).

Ein Letztes: Du schaust auf reiche Erfahrungen in der Gottesfreundschaft zurück. Welchen Rat möchtest du modernen Menschen geben, die Gott heute suchen?

“Du musst nicht über die Meere reisen, musst keine Wolken durchstoßen und brauchst nicht die Alpen zu überqueren. Der Weg, der dir gezeigt wird, ist nicht weit. Du musst deinem Gott nur bis zu dir selbst entgegengehen. Denn Gottes Wort ist dir nahe: Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen (Römer 10,8)“ (Adventspredigt I 10).

Literaturtipps:

Die von Bernhard erhaltenen 10 Traktate, Predigten, über 500 Briefe und weitere kleinere Werke finden sich in:
Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke. Lateinisch/Deutsch, hg. von Gerhard Winkler. 1-10, Innsbruck 1990–1999.
Das Leben des heiligen Bernhard von Clairvaux (Vita prima), hg., eingeleitet und übersetzt von Paul Sinz, Düsseldorf 1962; lateinisch: Vita prima Sancti Bernardi Claraevallis abbatis, (CCCM 89B), hg. von Paul Verdeyen Turnhout 2011.
Peter Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, Darmstadt 1998.
Jean Leclercq, Bernhard von Clairvaux. Ein Mann prägt seine Zeit, München 1990.
Kurt Ruh, Geschichte der Abendländischen Mystik. 1: München 22001 , 226-354.

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