Kann denn Liebe Sünde sein? UPDATE

Im Vorfeld zur Bischofssynode in Rom steht in Deutschland die katholische Sexualmoral auf dem Prüfstand

Bistum Augsburg 

Die Verunsicherung ist gross – Dabei geht es der Kirche nicht um weltfremde Prüderie, sondern um die Freiheit des Menschen. Von Weihbischof Florian Wörner

Die Tagespost, 12. Februar 2014

Papst Franziskus hat für Oktober zu einer ausserordentlichen Bischofssynode nach Rom eingeladen. Ihr Thema wird sein: “Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung”. Als Leiter unseres diözesanen Instituts für Neuevangelisierung bewegt mich das Thema sehr, vor allem auch wegen der Resonanz, die es im Zuge der Fragebogenaktion erhalten hat. Es bewegt mich aber auch deshalb, weil es in Kirche und Gesellschaft zu grosser Verunsicherung geführt hat.

Kann denn Liebe Sünde sein? Plötzlich scheint die gesamte katholische Sexuallehre auf dem Prüfstand zu stehen. Dabei frage ich mich: Soll das, was bislang auf Ebene der Weltkirche Gültigkeit hatte, auf einmal seine Bedeutung für uns als Katholiken verloren haben? Ist das, was bisher richtig war, plötzlich falsch und das, was falsch war, richtig? Muss der Katechismus der Katholischen Kirche völlig neu geschrieben werden?

Ich bin der festen Überzeugung: Nein, das muss er nicht. Weil er das wiedergibt, was der menschlichen Natur entspricht. Nur Mann und Frau können neues Leben zeugen. Sie haben damit auf einzigartige Weise Anteil an der Schöpfung Gottes. Die Geschlechtlichkeit des Menschen ist deshalb auf die eheliche Liebe von Mann und Frau hingeordnet. So lautet, knapp formuliert, die Position der Kirche (Katechismus der Katholischen Kirche, KKK; Nr. 2360). Und die Eheleute sollten in eigener Verantwortung und freier Entscheidung über die Zahl ihrer Kinder entscheiden (vgl. KKK, 2368).

Neu ist die jetzige Diskussion übrigens nicht. Sie reicht bald fünfzig Jahre zurück, bis zur Veröffentlichung der Enzyklika “Humanae vitae” von Papst Paul VI. im Juli 1968. Seit dieser “Pillenenzyklika” ist es zu einer grossen Entfremdung zwischen dem Lehramt der Kirche und vielen Gläubigen gekommen.

Alles soll “Bio” oder “Öko” sein, wozu dann die Pille?

Dabei hat die Enzyklika “Humanae vitae” über die Weitergabe des menschlichen Lebens für mich etwas geradezu Visionäres. Etwas, das dem Zeitgefühl der Menschen eigentlich sehr entgegenkommen müsste. Wir wollen im Supermarkt kein Fleisch aus Massentierhaltung. Es könnte ja mit Antibiotika belastet sein, fürchten wir. Und mit Pestiziden behandelte Lebensmittel wollen wir auch nicht. Alles muss heute “Bio” und “Öko” sein. Aber wenn es um die eigene Familienplanung geht, dann ist uns plötzlich jedes Mittel recht, auch chemische Verhütung – trotz der nicht zu unterschätzenden gesundheitlichen Folgen und Risiken für viele Frauen, die sich immer mehr abzeichnen. In Frankreich sind inzwischen bestimmte Präparate sogar verboten. Ich verstehe diesen Gegensatz nicht. Kann ihn mir jemand erklären? Was soll so schlimm an einer Familienplanung sein, wie sie damals Paul VI. den Ehepaaren nahelegte: Sie folgt den Gesetzen der Natur, entspricht eigentlich gerade dem Lebensgefühl vieler heutiger Menschen und ist nachweislich genauso sicher wie künstliche Verhütung. Ökologischer geht es eigentlich nicht. “Darüber habe ich in der Kirche noch nie etwas gehört”, hat mir neulich jemand erzählt. Und das scheint mir beim Blick auf die Ergebnisse der Familienumfrage auch leider kein Einzelfall zu sein. Haben wir da in den vergangenen Jahrzehnten nicht vieles in unserer Pastoral versäumt? Waren wir zu feige, war es uns unangenehm, dieses Thema in einer Gesellschaft, die ansonsten weithin “sexualisiert” ist, aufzugreifen? Diese Frage müssen wir uns selbstkritisch gefallen lassen.

Einer, der sich ihr bewusst gestellt hat, war der selige Papst Johannes Paul II., mit dem ich aufgewachsen und gross geworden bin. Von 1979 bis 1984 hat er sich in weit über hundert Katechesen während der Generalaudienzen mit der “Theologie des Leibes” befasst – mit dem also, was Mann und Frau ausmacht. Die Deutlichkeit mancher seiner Ansprachen hätte es dabei mit den Ratschlägen eines Doktor Sommer aus der “Bravo” aufnehmen können.

Was der bald Heilige Johannes Paul II. damals seinen Zuhörern nahebringen wollte, war eine Sexualität, die den Menschen ohne weltfremde Prüderie zur wahren Freiheit führen kann. Weil sie sich aus der Leiblichkeit des Menschen von seiner Natur her erklärte. Ich war lange in der Jugendarbeit des Bistums Augsburg tätig und weiss: Diese Botschaft spricht auch heute junge Menschen an. Sie suchen durchaus eine moralische Orientierung für ihr Leben, die die Kirche uns auf der Grundlage des Evangeliums gibt.

Von der Kunst, die Sünde richtig anzupacken

Braucht es dann aber noch die Rede davon, dass “Verstösse” gegen die Sexualmoral der Kirche Sünden sind? Ich finde schon. Man darf sie nur nicht isoliert sehen. Wenn ich aus Zorn das Auto des Nachbarn zerkratze, wenn ich aus Geiz Geld ins Ausland transferiere und Steuern hinterziehe, dann ist das offenkundig moralisch falsch. Und das nennen wir Sünde. In der Kunst sind sie noch bekannt, diese Laster, von denen die christlich-abendländische Tradition immerhin sieben ausmacht und als “Todsünden” bezeichnet.

Wir alle sind schwache Menschen. Deshalb bietet uns die Kirche in der Beichte das Sakrament der Versöhnung mit Gott an. Nicht, weil sie uns damit in irgendeiner Weise unter Druck setzen oder gar mit der Hölle drohen wollte. Sondern in erster Linie darum, dass wir mit Gott, mit uns selbst, aber auch den Mitmenschen ins Reine kommen können.

Und hier schliesst sich für mich auch wieder der Kreis zum zentralen Thema der Familiensynode. Es wird im Herbst ja um die pastoralen Herausforderungen gehen. Ein neues Verständnis für die Beichte scheint mir für unsere Pastoral dringlich zu sein. Ausserdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die grundlegenden Werte zu Ehe und Familie, Liebe und Sexualität in einer für die heutigen Menschen verständlichen Sprache neu vermitteln können. Mit dem TeenStar-Programm machen wir diesbezüglich im Bistum Augsburg seit einigen Jahren gute Erfahrungen.

Weihbischof Florian Wörner, Jahrgang 1970, ist seit 1997 Priester. Nach seiner Zeit als Kaplan war er in der Jugendseelsorge des Bistums Augsburg tätig, Diözesanjugendpfarrer und Leiter des Bischöflichen Jugendamtes. Seit Mai 2012 leitet er das Institut für Neuevangelisierung und Gemeindepastoral. Im Juli 2012 wurde er zum Bischof geweiht.

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