Das Leben nach dem Tod

Das Leben nach dem Tod – Drei Ansprachen bei Generalaudienzen im Sommer 1999 über Himmel, Hölle und Fegfeuer

Quelle

Das Leben nach dem Tod – Drei Ansprachen bei Generalaudienzen im Sommer 1999 über Himmel, Hölle und Fegfeuer

Papst Johannes Paul II.

Der Himmel

Quelle: Generalaudienz (21.07.1999)

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wenn diese Welt vergangen sein wird, werden sich die, die Gott in ihrem Leben angenommen haben und für seine Liebe – zumindest in der Todesstunde – aufrichtig offen gewesen sind, an jener Fülle der Gemeinschaft mit Gott erfreuen können, die das Ziel des menschlichen Daseins ist.

Wie der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt, wird “dieses vollkommene Leben mit der allerheiligsten Dreifaltigkeit, diese Lebens- und Liebesgemeinschaft mit ihr, mit der Jungfrau Maria, den Engeln und allen Seligen ›der Himmel‹ genannt. Der Himmel ist das letzte Ziel und die Erfüllung der tiefsten Sehnsüchte des Menschen, der Zustand höchsten, endgültigen Glücks” (Nr. 1024).

Wir wollen heute versuchen, den biblischen Sinn von »Himmel« zu erfassen, um die Wirklichkeit besser begreifen zu können, auf die dieser Ausdruck verweist.

2. Im biblischen Sprachgebrauch ist der »Himmel «, wenn er mit der »Erde« verbunden ist, ein Teil des Universums. In Bezug auf die Schöpfung sagt die Schrift: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1).

Im übertragenen Sinn wird der Himmel verstanden als Wohnung Gottes, der sich dadurch von den Menschen unterscheidet (vgl. Ps 104,2 f.; 115,16 ; Jes 66,1). Von der Höhe des Himmels schaut er herab und richtet er (vgl. Ps 113,4–9) und steigt herab, wenn er angerufen wird (vgl.Ps 18,7.10; 144,5). Dennoch macht die biblische Metaphorik gut verständlich, dass Gott sich weder mit dem Himmel identifiziert noch dass er in den Himmel eingeschlossen werden kann (vgl. 1 Kön 8,27); und das ist wahr, auch wenn in einigen Textabschnitten des ersten Buches der Makkabäer »der Himmel« einfach ein Name Gottes ist (1 Makk 3,18.19.50.60; 4,24.55).

Zu der Darstellung des Himmels als transzendenter Aufenthaltsort des lebendigen Gottes tritt auch diejenige hinzu von einem Ort, zu dem auch die Gläubigen durch Gnade aufsteigen können, wie aus dem Alten Testament durch das Leben Henochs (vgl. Gen 5,24) und Elijas (vgl. 2 Kön 2,11) hervorgeht. Der Himmel wird so zum Bild für das Leben in Gott. In diesem Sinn spricht Jesus vom »Lohn im Himmel« (Mt 5,12) und fordert auf, »Schätze im Himmel zu sammeln« (ebd., 6,20; vgl. 19,21).

3. Das Neue Testament vertieft die Vorstellung vom Himmel auch in Bezug auf das Mysterium Christi. Um zu zeigen, dass das Opfer des Erlösers vollkommenen und endgültigen Wert annimmt, bestätigt der Brief an die Hebräer, dass Christus »die Himmel durchschritten hat« (Hebr 4,14) und »nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen [ist], in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst« (ebd., 9,24). Die Glaubenden, die auf eine besondere Weise vom Vater geliebt werden, werden mit Christus auferstehen und Bewohner des Himmels werden. Es lohnt sich zu hören, was diesbezüglich der Apostel Paulus uns in einem sehr eindringlichem Text mitteilt: »Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner grossen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet. Er hat uns mit Christus Jesus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben. Dadurch, dass er in Christus Jesus gütig an uns handelte, wollte er den kommenden Zeiten den überfliessenden Reichtum seiner Gnade zeigen« (Eph 2,4–7). Die Menschen erfahren das Vatersein Gottes, das reich an Erbarmen ist, durch die Liebe des Gottessohnes, der gekreuzigt wurde und auferstanden ist. Er sitzt als Herr im Himmel zur Rechten des Vaters.

4. Die Teilhabe am erfüllten Vertrautsein mit dem Vater nach Ablauf unseres irdischen Lebens geschieht durch die Einbeziehung in das österliche Geheimnis Christi. Der hl. Paulus betont diesen unseren Gang zu Christus in den Himmel am Ende des Leidens mit lebendiger, räumlicher Bildhaftigkeit: »Dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten« (1 Thess 4,17–18).

In dem Bild der Offenbarung wissen wir, dass der »Himmel« oder die »Seligkeit«, in der wir sein werden, weder abstrakte Begriffe noch physische Orte zwischen den Wolken sind, sondern eine lebendige und persönliche Beziehung zur Heiligen Dreifaltigkeit. Es ist die Begegnung mit dem Vater, die sich im auferstandenen Christus durch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes verwirklicht.

Es ist nötig, immer eine gewisse Nüchternheit beizubehalten, wenn man diese »letzten Wirklichkeiten « beschreibt, weil ihre Wiedergabe immer unangemessen bleibt. Heutzutage gelingt es der personalistischen Sprache auf weniger unangemessene Weise, die Situation der Glückseligkeit und des Friedens auszudrücken, in der sich die endgültige Gemeinschaft mit Gott festigen wird.

Der Katechismus der Katholischen Kirche fasst die kirchliche Lehre bezüglich dieser Wahrheit zusammen und bekräftigt, dass »durch seinen Tod und seine Auferstehung […] uns Jesus Christus den Himmel ›geöffnet‹ [hat]. Das Leben der Seligen besteht im Vollbesitz der Früchte der Erlösung durch Christus. Dieser lässt jene, die an ihn geglaubt haben und seinem Willen treu geblieben sind, an seiner himmlischen Verherrlichung teilhaben. Der Himmel ist die selige Gemeinschaft all derer, die völlig in ihn eingegliedert sind« (Nr. 1026).

5. Diese endgültige Situation kann allerdings in gewisser Weise heute vorweggenommen werden, sei es im sakramentalen Leben, dessen Zentrum die Eucharistie ist, oder sei es in der Hingabe seiner selbst durch die brüderliche Nächstenliebe. Wenn wir uns an den Gütern recht erfreuen können, die uns der Herr jeden Tag schenkt, werden wir gewiss diese Freude und diesen Frieden erfahren, deren wir uns eines Tages vollkommen erfreuen werden. Wir wissen, dass in diesem irdischen Lebensabschnitt alles im Zeichen der Grenze steht. Dennoch hilft uns der Gedanke an die »letzte« Wirklichkeit, um gut in der »vorletzten« Wirklichkeit zu leben. Wir sind uns bewusst, dass wir, während wir in dieser Welt unterwegs sind, berufen sind, »nach dem [zu suchen], was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt« (Kol 3,1), um mit ihm in der eschatologischen Er füllung zu sein, wenn er im Geist »alles im Himmel und auf Erden« (Kol 1,20) mit dem Vater wieder vollkommen vereinigen wird.

Text (deutsche Kurzfassung)

Heute möchte ich zu Euch über den Begriff “Himmel” in der Bibel sprechen. Zunächst ist damit ein Teil des Universums gemeint. Im übertragenen Sinn aber umschreibt dieses Wort die Wohnung Gottes. Dann wird es zum umfassenderen Bild für das Leben des Menschen in Gott.

Im Neuen Testament wird dieser Begriff weiter vertieft und in Zusammenhang mit der Menschwerdung und der Sendung Jesu Christi gebracht. Die Menschen erfahren das Vatersein Gottes durch die Liebe seines Sohnes, der gekreuzigt wurde und in den Himmel aufgefahren ist. Jetzt sitzt er dort zur Rechten des Vaters.

Durch die Einbeziehung in das österliche Geheimnis, gelangen auch wir Menschen nach unserem irdischen Dasein zur vollen Teilhabe an der Liebe des Vaters.

“Himmel” meint also eine lebendige und persönliche Beziehung zur Heiligen Dreifaltigkeit. Dieser Begriff beschreibt die Begegnung mit dem Vater, die im auferstandenen Christus geschieht durch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Dieses ist unser aller Ziel.

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Sehr herzlich grüsse ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Insbesondere heisse ich die Schülerinnen und Schüler willkommen und wünsche ihnen schöne und erholsame Ferien. Gern erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die über Radio Vatikan oder das Fernsehen mit uns verbunden sind, den Apostolischen Segen.

Die Hölle

Quelle: Generalaudienz (28.07.1999)

1. Gott ist ein unendlich guter und barmherziger Vater. Aber der Mensch, berufen, ihm in Freiheit zu antworten, kann sich leider dafür entscheiden, dessen Liebe und Vergebung zurückzuweisen. Er entzieht sich so für immer der freudvollen Gemeinschaft mit ihm. Tatsächlich ist dieser tragische Augenblick von der christlichen Glaubenslehre dargelegt, wenn sie vom Verderben oder von der Hölle spricht. Es handelt sich nicht um eine von aussen verhängte Strafe Gottes, sondern um eine Entwicklung von Voraussetzungen, die schon vom Menschen in diesem Leben geschaffen wurden. Dieselbe Dimension an Unglück, die dieser dunkle Zustand mit sich bringt, kann in bestimmter Weise durch das Licht einiger unserer schrecklichen Erfahrungen erahnt werden, die das Leben, wie man gewöhnlich sagt, zur »Hölle« machen.

Im theologischen Sinn ist die Hölle dennoch etwas anderes: es ist die letzte Auswirkung der Sünde selbst, die wieder auf den zurückfällt, der sie begangen hat. Es ist die Situation, in die sich endgültig der stellt, der die Barmherzigkeit des Vaters auch im letzten Augenblick seines Lebens zurückweist.

2. Um diese Wirklichkeit zu beschreiben, bedient sich die Heilige Schrift einer symbolischen Sprache, die sie nach und nach präzisieren wird. Im Alten Testament war der Zustand der Toten noch nicht ganz durch die Offenbarung erhellt. Tatsächlich dachte man häufig, dass die Toten im »Sheol« [Totenreich] aufgenommen werden würden, ein Ort der Finsternis (vgl. Ez28,8; 31,14; Ijob 10,21 f; 38,17; Ps 30,10; 88,7.13), eine Versenkung, aus der man nicht aufsteigt (vgl. Ijob 7,9), ein Ort, an dem es unmöglich ist, Gott zu preisen (vgl. Jes 38,18; Ps6,6).

Das Neue Testament wirft ein neues Licht auf den Zustand der Toten, vor allem durch seine Verkündigung, dass Christus durch seine Auferstehung den Tod besiegt und seine erlösende Macht auch im Reich der Toten verbreitet hat.

Die Erlösung bleibt dennoch ein Heilsangebot, das dem Menschen zukommt, es in Freiheit aufzunehmen. Darum wird jeder »nach seinen Werken« (Offb 20,13) beurteilt werden. Das Neue Testament greift auf Bilder zurück und stellt den für die Urheber des Bösen bestimmten Ort als ein glühendes Feuer dar, wo »sie heulen und mit den Zähnen knirschen werden« (Mt13,42; vgl. 25,30.41), oder als »Gehenna« [Strafstätte] vom »nie erlöschenden Feuer« (Mk9,43). Dies alles ist erzählerisch im Gleichnis vom reichen Verschwender ausgedrückt, in dem verdeutlicht wird, dass die Unterwelt ein Ort endgültiger Strafe ist, ohne Möglichkeit zurückzukehren oder den Schmerz zu mildern (vgl. Lk 16,19–31).

Auch die Offenbarung stellt anschaulich in einem »Feuersee« jene dar, die sich dem Buch des Lebens entziehen und so »dem zweiten Tod« (Offb 20,13 f) entgegengehen. Wer also darauf besteht, sich nicht dem Evangelium zu öffnen, stellt sich auf »ewiges Verderben, fern vom Angesicht des Herrn und von seiner Macht und Herrlichkeit« (2 Thess 1,9) ein.

3. Die Bilder, durch welche die Heilige Schrift uns die Hölle darstellt, müssen richtig gedeutet werden. Sie zeigen die ganze Vereitelung und Leere eines Lebens ohne Gott. Die Hölle stellt mehr als einen Ort dar, nämlich die Situation, in der sich jener wiederfinden wird, der sich freiwillig und endgültig von Gott, Quelle des Lebens und der Freude, entfernt. So fasst der Katechismus der Katholischen Kirche die Aussagen des Glaubens über dieses Thema zusammen: »In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluss für immer von ihm getrennt zu bleiben. Diesen Zustand der endgültigen Selbstausschliessung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen nennt man ›Hölle‹« (Nr. 1033).

Das »Verderben« wird deshalb nicht der Veranlassung Gottes zugeschrieben, weil er in seiner barmherzigen Liebe nichts anderes als das Heil derer will, die von ihm geschaffen wurden. In Wirklichkeit ist es die Kreatur, die sich seiner Liebe verschliesst. Die »Verdammnis« besteht wirklich aus der endgültigen Entfremdung von Gott, die vom Menschen gewählt und mit dem Tod bestärkt wurde, der jene freie Wahl für immer besiegelt. Das Gottesurteil bestätigt diesen Zustand.

4. Der christliche Glaube lehrt, dass in dem Wagnis des »Ja« und des »Nein«, welche die Freiheit der Geschöpfe kennzeichnet, schon einer nein gesagt hat. Es handelt sich um geistige Kreaturen, die sich der Liebe Gottes widersetzen und Dämonen genannt werden (vgl. 4.Laterankonzil: DS, 800–801). Für uns menschliche Wesen klingt ihr Schicksal wie eine Ermahnung: es ist ein beständiger Aufruf, die Tragödie zu vermeiden, in welche die Sünde mündet, und unsere Existenz nach der von Jesus zu formen, die sich im Zeichen des »Ja« zu Gott entfaltet.

Die Verdammnis bleibt eine reale Möglichkeit. Aber uns ist es nicht gegeben, ohne besondere göttliche Offenbarung zu wissen, welche Menschen wirklich davon betoffen sind. Die Vorstellung von der Hölle – um so weniger der unangebrachte Gebrauch der biblischen Bilder – darf keine Psychosen oder Ängste her vorrufen, sondern stellt eine notwendige und heilsame Ermahnung an die Freiheit dar, an das Innere der Verkündigung, dass der auferstandene Jesus den Satan besiegt hat und uns den Geist Gottes gegeben hat, der uns rufen lässt: »Abba, Vater« (Röm 8,15; Gal 4,6).

Diese hoffnungsvolle Aussicht überwiegt in der christlichen Verkündigung. Sie spiegelt sich eindrucksvoll in der liturgischen Überlieferung der Kirche wider, wie zum Beispiel die Worte des Römischen Messkanons bezeugen: »Nimm gnädig an, o Gott, diese Gaben deiner Diener und deiner ganzen Gemeinde … rette uns vor dem ewigen Verderben und nimm uns auf in die Schar deiner Erwählten.«

(deutsche Kurzfassung)

Gott ist ein unendlich guter und barmherziger Vater. Aber der Mensch in seiner Freiheit kann seine Liebe und seine Vergebung endgültig ablehnen und sich somit seiner Gemeinschaft für immer entziehen. Diese tragische Situation wird von der christlichen Lehre als ”Verdammnis” oder ”Hölle” bezeichnet.

Die Bilder, mit denen die Heilige Schrift die Hölle darstellt, müssen richtig interpretiert werden. Sie wollen die völlige Leere eines Lebens ohne Gott aufzeigen. Die Hölle meint nicht so sehr einen bestimmten Ort, sondern vielmehr die Situation dessen, der sich frei und endgültig von Gott entfernt hat.

Der Gedanke an die Hölle soll uns nicht in Angst versetzen, denn wir sind aufgerufen, unseren Lebensweg frohgemut mit Jesus Christus zu gehen, der den Satan und den Tod für immer besiegt hat. Dieser Glaube voller Hoffnung ist der Kern der christlichen Verkündigung.

* * * * *

Sehr herzlich grüsse ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Gern erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die über Radio Vatikan und das Fernsehen mit uns verbunden sind, den Apostolischen Segen.

Das Fegefeuer

Quelle: Generalaudienz (4.08.1999)

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wie wir in den beiden vorangegangenen Katechesen gesehen haben, steht der Mensch wegen der endgültigen Entscheidung für oder gegen Gott vor einer Alternative: entweder lebt er mit dem Herrn in ewiger Glückseligkeit oder er bleibt dessen Gegenwart fern.

Von denen, die sich in einem Zustand des Offenseins für Gott befinden, jedoch in einer unvollkommenen Weise, fordert der Weg zur vollen Glückseligkeit eine Läuterung, die der Glaube der Kirche durch die Lehre vom »Purgatorium« [Fegefeuer] verdeutlicht (vgl.Katechismus der Katholischen Kirche, 1030–1032).

2. In der Heiligen Schrift kann man einige Elemente finden, die hilfreich sind, den Sinn dieser Lehre zu erfassen, auch wenn sie nicht auf formale Weise dargelegt ist. Sie drücken die Überzeugung aus, dass man nicht zu Gott gelangen kann, ohne irgendeine Läuterung durchzumachen.

Nach der religiösen Gesetzgebung des Alten Testaments muss nämlich jeder, der für Gott bestimmt ist, vollkommen sein. Folglich ist vor allem auch die körperliche Unversehrtheit gefordert für die Wirklichkeiten, die mit Gott auf der Ebene des Opfers in Berührung kommen, wie zum Beispiel die Opfertiere (vgl. Lev 22,22), oder auf der institutionellen Ebene, wie im Fall der Priester und der Kultdiener (vgl. Lev 21,17–23). Dieser körperlichen Unversehrtheit muss eine völlige Hingabe der einzelnen und der Gemeinschaft (1 Kön 8,61) entsprechen zu dem Gott des Bündnisses auf der Linie der grossen Lehren des Deuteronomiums (vgl. 6,5). Es geht darum, Gott mit seinem ganzen Dasein, mit der Reinheit des Herzens und mit dem Zeugnis der Werke zu lieben (vgl. ebd., 10,12f).

Die Notwendigkeit der Unversehrtheit nach dem Tod zum Eintritt in die vollkommene und endgültige Gemeinschaft mit Gott ist offensichtlich vorausgesetzt. Wer diese Unversehrtheit nicht hat, muss die Läuterung durchmachen. Eine Schrift des hl. Paulus bestätigt diese Meinung. Der Apostel spricht über den Wert des Werkes eines jeden, das an dem Tag des Gerichts offenbar wird, und sagt: »Hält das stand, was er [auf Christus] aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch« (1 Kor 3,14–15).

3. Um einen Zustand vollkommener Unversehrtheit zu erreichen, ist manchmal die Fürsprache oder die Vermittlung durch eine Person notwendig. Zum Beispiel erhält Moses die Vergebung für das Volk durch ein Gebet, in dem er das Heilswerk, von Gott in der Vergangenheit erfüllt, benennt und seine Treue gegenüber dem Eid, den dieser den Vätern gegeben hat, anruft (vgl.Ex 32,30 und V. 11–13). Die Gestalt des Gottesknechtes, beschrieben im Buch Jesaja, steht auch für die Funktion des Fürsprechens und des Büssens zugunsten vieler; am Ende seiner Leiden »wird er das Licht erblicken« und »viele gerecht machen«, indem er sich ihrer Sünden annimmt (vgl. Jes 52,13–53,12, bes. 53,11).

Psalm 51 kann nach der Sichtweise des Alten Testamentes als eine Zusammenfassung des Reintegrationsprozesses gesehen werden: Der Sünder bekennt und gesteht die eigene Schuld ein (V. 6), verlangt beharrlich gereinigt oder »gewaschen « (V. 4.9.12.16) zu werden, um den göttlichen Ruhm verkünden zu können (V. 17).

4. Im Neuen Testament ist Christus als Fürsprecher dargestellt, der in sich die Funktionen des Hohenpriesters am Versöhnungstag aufnimmt (vgl. Hebr 5,7; 7,25). Aber in ihm stellt das Priestertum eine neue und endgültige Form dar. Er tritt ein einziges Mal in das himmlische Allerheiligste ein mit der Absicht, vor Gottes Angesicht für uns Fürsprache einzulegen (vgl.Hebr 9,23–26, bes. 24). Er ist zugleich Priester und »Sühne für unsere Sünden« für die Sünden der ganzen Welt (vgl. 1 Joh 2,2).

Als grosser Fürsprecher, der für uns büsst, wird Jesus sich am Ende unseres Lebens ganz offenbaren, wenn er sich durch das Angebot der Barmherzigkeit äussert, aber auch durch das unvermeidliche Urteil über denjenigen, der die Liebe und die Vergebung des Vaters ablehnt.

Das Angebot der Barmherzigkeit schliesst nicht die Pflicht aus, dass wir rein und unversehrt vor Gottes Angesicht hintreten, reich an jener Liebe, die Paulus »das Band [nennt], das alles zusammenhält und vollkommen macht« (Kol 3,14).

5. Indem wir der Aufforderung im Geist des Evangeliums, vollkommen wie der Vater im Himmel zu sein (vgl. Mt 5,48), während unseres irdischen Lebens folgen, sind wir berufen, in der Liebe zu wachsen, um untadelig und unerschütterlich vor Gottvater zu stehen, »wenn Jesus, unser Herr, mit allen seinen Heiligen kommt« (1 Thess 3,12f). Auf der anderen Seite sind wir aufgefordert, »uns von aller Unreinheit des Leibes und des Geistes zu reinigen« (2Kor 7,1; vgl. 1 Joh 3,3), weil die Begegnung mit Gott eine vollkommene Reinheit verlangt.

Jede Spur der Bindung an das Böse muss ausgelöscht, jede Unförmigkeit der Seele ausgeglichen werden. Die Läuterung muss abgeschlossen sein, und dies ist es eben, was die Lehre der Kirche mit Fegefeuer bezeichnet. Dieser Begriff weist nicht auf einen Ort hin, sondern auf einen Lebenszustand. Diejenigen, die nach dem Tod in einem Zustand der Reinigung leben, sind schon in der Liebe Christi, der sie von den Resten der Unvollkommenheit befreit (vgl. Konzil von Florenz, Decretum pro Graecis: DH 1304; Konzil von Trient, Decretum de iustificatione: DH 1580; Decretum de purgatorio DH 1820).

Man muß sich klar machen, dass der Zustand der Reinigung keine Fortsetzung des irdischen Lebens ist, als wäre nach dem Tod eine letzte Möglichkeit gegeben, das eigene Schicksal zu ändern. Die Lehre der Kirche ist in dieser Beziehung unmissverständlich und ist durch das II. Vatikanische Konzil bekräftigt worden, das genauso lehrt: »Da wir aber weder Tag noch Stunde wissen, so müssen wir nach der Mahnung des Herrn standhaft wachen, damit wir am Ende unseres einmaligen Erdenlebens (vgl. Hebr 9,27) mit ihm zur Hochzeit einzutreten und den Gesegneten zugezählt zu werden verdienen und nicht wie böse und faule Knechte ins ewige Feuer weichen müssen, in die Finsternis draussen, wo ›Heulen und Zähneknirschen sein wird‹ (Mt 22,13 und 25,30)« (Lumen gentium, 48).

6. Ein letzter wichtiger Aspekt, den die kirchliche Überlieferung immer hervorgehoben hat, wird heute aufgegriffen: Es ist die Dimension der Gemeinschaft. Tatsächlich sind die, die sich im Zustand der Läuterung befinden, sowohl an die Glücklichen gebunden, die sich ganz des ewigen Lebens erfreuen, als auch an uns, die wir in dieser Welt zum Haus des Vaters gehen (vgl. KKK, 1032).

Wie im irdischen Leben sind die Gläubigen untereinander im einzigen mystischen Leib vereint. So erfahren nach dem Tod jene, die im Zustand der Läuterung leben, dieselbe Solidarität der Kirche, die im Gebet, in den Fürbitten und in der Liebe der anderen Brüder im Glauben wirkt. Die Läuterung wird im wesentlichen Band erfahren, das zwischen diesen entsteht, die das Leben der gegenwärtigen Zeit leben, und jenen, die sich schon ewiger Glückseligkeit erfreuen.

In den letzten beiden Katechesen haben wir die Alternative beleuchtet, die den Menschen vor die Wahl stellt: entweder mit dem Herrn in Ewigkeit zu leben oder seiner Gegenwart fern zu bleiben. Anders gesagt: Der Mensch hat die Wahl zwischen Himmel und Hölle.
Viele haben sich zwar Gott geöffnet, aber das Leben mit Gott blieb unvollkommen. Um die volle Seligkeit zu erlangen, bedarf der Mensch einer Art „Reinigung“, die der Glaube der Kirche mit dem Begriff „Fegefeuer“ umschreibt. Diese Bezeichnung meint keinen Ort, sondern einen Zustand. Alle, die nach dem Tod für die Begegnung mit Gott noch „gereinigt“ werden, sind schon in der Liebe Christi. Dabei ist das Fegfeuer nicht die Verlängerung des irdischen Lebens. Der Mensch kann sich nicht noch einmal neu entscheiden. Er kann im Fegfeuer nicht nachholen, was er einst auf Erden versäumt hat.

Gleichzeitig bleibt ihm aber die Solidarität der Kirche nicht versagt. Die pilgernde Kirche tritt für ihn ein durch Gebet und Werke der Liebe. So wird die Reinigung von einem Band gehalten, das besteht zwischen denen, die noch auf dieser Welt leben, und jenen, die schon die ewige Seligkeit geniessen dürfen.

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Einen herzlichen Gruss richte ich an die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, die sich in diesen Sommertagen in Rom aufhalten. Mögt Ihr mit Erfahrungen beschenkt werden, die Euch in Eurer Entscheidung für Gott bestärken. Dazu erteile ich Euch, Euren Angehörigen daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, gern den Apostolischen Segen.

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