Eucharistie – Opfer, Gastmahl und Gegenwart des Herrn

Dr. Annalena Tonelli – Sie scheint eine Art “Mutter Theresa” von Afrika zu sein

Kath.net
Fidesdienst, 14. Juni 2008

“Tut dies zu meinem Gedächtnis“:
Der Jesus-Code.
Der Tropfen Wasser im Wein.
Die Arznei der Unsterblichkeit
Herr, ich bin nicht würdig
Das Sakrament der Liebe

„Tut dies zu meinem Gedächtnis“

Bedenken wir, was für einzigartige Wirklichkeit uns Jesus mit seinem Auftrag „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ anvertraut hat.

Um den Sinn der Abendmahlsworte „haben fast zwei Jahrtausende gebetet und gedacht und gekämpft. … Wenn wir also fragen, was sie bedeuten, wollen wir uns zuerst klar werden, wie wir sie nehmen wollen. Die Antwort kann nur lauten: ganz schlicht; so wie sie dastehen. Der Text meint genau das, was er sagt. … Als Jesus sprach und tat, wie hier berichtet wird, wusste er, dass es um etwas von göttlicher Bedeutung ging. Er wollte also verstanden sein, und sprach so, wie er verstanden sein wollte.“ Diesen Rat von Romano Guardini in seinem Buch „Der Herr“ wollen wir beherzigen, wenn wir in den Einsetzungsworten Jesu vor allem drei Dimensionen des eucharistischen Glaubens gegeben sehen.

“Das ist mein Leib … hingegeben für euch.“  „Das ist mein Blut … vergossen für euch.” In den Ausdrücken „hingegeben“ und „vergossen“ klingt an: Die Eucharistie ist das Opfer des Herrn. Nachdem Jesus am Kreuz seine einmalige Opfertat vollbracht hat, ist die Erlösung ein für alle Mal vollzogen. Sein letztes Wort „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30) gilt auch in dieser Hinsicht: Von seiner Seite aus ist alles zu unserem Heil getan. Aber von unserer Seite aus bedürfen wir der stets neuen Aneignung dieses Heilsopfers. Das Messopfer dient dieser Aneignung! Es hebt uns gleichsam aus unserer zeitlich und örtlich begrenzten Existenz heraus und versetzt uns in die Gegenwart des Kreuzes. Wenn wir die Messe feiern, stehen wir – nicht örtlich, aber sakramental – am Fuß des Kreuzes. Die Früchte, die vom Kreuzesbaum anfallen, dürfen wir vom Herrn in Empfang nehmen. Wir stehen aber auch vor dem himmlischen Altar, wo der auferstandene und erhöhte Herr seine Hingabe dem Vater darbringt und wo alle Engel und alle Heiligen in diese himmlische Liturgie einstimmen: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob“ (Offb 5,12).   

Wenn wir diese Wirklichkeit in einem Film darstellen wollten – so wie Mel Gibson das versucht hat – müsste es gelingen, nicht bloß die Bildsequenzen von Abendmahl, Kreuz und Messe durch Überblenden ineinander zu bringen. Auch der Himmel müsste über allen Szenen offen stehen und den Blick auf das Lamm freigeben. Die Feier der Eucharistie ist der theologische Ort, wo sich diese Ineinanderblendung von Obergemach, Golgotha und himmlischem Jerusalem vollzieht, nicht bloß wie in einem Film, sondern in der Wirklichkeit des „Mysterium fidei“, des „Geheimnis des Glaubens“.

Wer in der Messe die Wandlungsworte hört, wer gläubig am Opfer teilnimmt, erfährt an sich die Tat der Liebe Gottes. Jeder, der zur Feier der Eucharistie kommt, darf mit Paulus ausrufen: „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20).

“Nehmet und esset“, „Nehmet und trinket”. Die Ausdrücke „essen und trinken“ weisen auf ein Mahlhalten hin. Das ist das zweite, was uns die Wandlungsworte zu sagen haben: Die Eucharistie ist das Mahl des Herrn.  Thomas von Aquin fand  dazu die klassischen Worte: „O heiliges Gastmahl, in dem Christus genossen, die Seele mit Gnade erfüllt wird und uns das Unterpfand des ewigen Lebens gewährt wird.“ Die Teilnahme an diesem heiligen Gastmahl ist  unser Eingehen in das Opfer Christi und das Übergehen des Opfers Christi in unser Leben.

Die heilige Messe ist nicht in dem Sinn Mahl, dass sie das historische Abendmahl Jesu wieder aufleben lassen würde. Das Abendmahl war offenbar ein jüdisches Paschamahl, das ein einziges Mal im Jahr an einem bestimmten Tag veranstaltet wurde. Schon rein deshalb kann die sonntägliche bzw. tägliche Eucharistiefeier das letzte Abendmahl gar nicht wiederholen. Wenn Jesus sagt „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, meint er das neue Pascha, das von ihm zwar im Rahmen des alten Ostermahles eingesetzt worden ist, das sich aber ganz und gar auf den Neuen Bund in seinem Blut bezieht. Wenn im Zusammenhang der Eucharistie vom Mahl die Rede ist, ist in erster Linie die Feier der heiligen Kommunion gemeint. Dort wird der einmal am Kreuz geopferte Leib Christi in sakramentaler Form unter den Gestalten von Brot und Wein zur Speise und zum Trank gereicht. Dass dies eine unerhörte Herausforderung für den menschlichen Verstand ist, war der Kirche von Anfang an bewusst. 

Mahlherr der Eucharistie, also Gastgeber, ist Christus, vermittelt durch den Dienst der Kirche. Die Gabe des Mahls ist er selbst: „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35). „Ich bin der wahre Weinstock“ (Joh 15,1). Wir können es uns nicht oft genug vorsagen: Die heilige Hostie ist kein Ding, keine Sache, kein heiliges, kein geweihtes Brot. Die Hostie ist Christus selbst. „Im demütigen Zeichen von Brot und Wein, die in seinen Leib und in sein Blut wesensverwandelt werden, geht Christus mit uns; er ist unsere Kraft und unsere Wegzehrung, er macht uns für alle zu Zeugen der Hoffnung. Wenn vor diesem Mysterium der Verstand seine Grenzen erfährt, so erahnt doch das Herz, das von der Gnade des Heiligen Geistes erleuchtet ist, wie man sich davor verhalten und in Anbetung und grenzenloser Liebe darin versenken soll.“ (Enzyklika Ecclesia de Eucharistia 62) So fasst Papst Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika zusammen, was die Kirche glaubt und woraus sie lebt.

Es ist ein Ausdruck des Glaubens und der Liebe zum Herrn, wenn wir die heilige Eucharistie nicht in gewöhnlichen Bechern und Schüsseln bewahren, sondern in kostbaren Kelchen und ehrwürdigen Schalen. Wir tun dies auch zur Stärkung unseres Glaubens an die wahre Gegenwart des Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein. Das menschliche Auge kann das Geheimnis nicht sehen. Doch es kann umso stärker auf das Geheimnis verwiesen werden, je  ehrfürchtiger damit umgegangen wird. Nicht übertriebenen Prunk, aber wahre Würde soll alles ausstrahlen, was mit dem „Allerheiligsten“ in Berührung kommt. Am wichtigsten jedoch ist, dass die heilige Kommunion aus dem sakralen Kelch in ein würdig bereitetes menschliches Herz gelegt wird. Mutter Theresa gab anlässlich eines Besuches im österreichischen Stift Heiligenkreuz 1988 den Rat: „Bitten wir Unsere Liebe Frau, sie möge uns ein Herz geben so schön, so rein, so unbefleckt, ein Herz so voll Liebe und Demut, dass wir fähig sind, Jesus im Brot des Lebens zu empfangen, ihn zu lieben, wie sie ihn geliebt hat …“

“Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut”.  Zweimal steht hier der Indikativ, „das ist“. Sogar Martin Luther fand diese Worte zu gewaltig, als dass man aus dem „das ist“ nur ein  „das bedeutet“ machen dürfte. Wenn Jesus – der als Mensch ein Jude war – in seiner Muttersprache von Leib und Blut sprach, meinte er das umfassend real: „Das bin ich in ganzer menschlicher Wirklichkeit.“  Allerdings müssen wir ihn uns als auferstandenen und erhöhten Herrn vorstellen, dessen Leib verklärt ist. Die Gegenwart Jesu in der heiligen Hostie ist real und geisterfüllt zugleich.  

Der katholische Glaube geht – im Gegensatz zu Luther – den Worten Jesu noch tiefer auf den Grund. Das Brot der Eucharistie ist Christi Leib nicht bloß im Augenblick der Kommunion. Es bleibt Christi Leib auch nach dem Gottesdienst: Die Eucharistie ist bleibende Gegenwart des Herrn. Wenn Jesus sagt „Das ist mein Leib“, nimmt er das nie mehr zurück. Das einmal gewandelte Brot bleibt Leib Christi, solange die Gestalt des Brotes erhalten bleibt. Was nach der heiligen Messe übrig bleibt, sind keine Mahlreste. Es ist vielmehr das „Allerheiligste“, das ehrfürchtig  im Tabernakel aufbewahrt und angebetet wird. Immer wartet der eucharistische Herr auf uns, auf einen Besuch, auf eine Anbetung. Wie tröstlich ist dieser Gedanke, dass uns im Allerheiligsten Sakrament Christus nie verlässt! Es gibt keine Einsamkeit mehr für den, der an diese Gegenwart des Herrn glaubt. Es stimmt, was vor ein paar Jahren ein Ministrant nach der Messe meinte, als er den Tabernakelschlüssel in die Sakristei tragen durfte: „Dieser Schlüssel führt zum größten Geheimnis, das es auf der Welt gibt.“

Eine Überlegung sei noch angebracht. Die Kirche denkt mit diesen Glaubensinhalten unsagbar hoch von der Eucharistie. Sie stellt deshalb auch hohe Erwartungen an die Gläubigen, die sich diesem Sakrament nähern wollen. Wenn die Kirche für Menschen in bestimmten Situationen – aus Gründen des Glaubens und der pastoralen Heilssorge – den Empfang der heiligen Kommunion für nicht möglich hält, ist zu bedenken: Nie geht jemand bei der heiligen Eucharistie leer aus. Wer an der heiligen Kommunion, am Mahl des Herrn, nicht teilnehmen kann, der wird am „Tisch des Wortes“ Nahrung für sein Leben empfangen. Er darf weiters aus der Vereinigung mit dem Messopfer Kraft schöpfen und er hat zudem die Möglichkeit, Jesus in der eucharistischen Anbetung zu begegnen.

Der Jesus-Code

Wenden wir uns nochmals den Einsetzungsworten zu, wie sie der Priester bei der Eucharistiefeier Kraft der ihm geschenkten Weihevollmacht „in persona Christi“ spricht. Bei der Betrachtung dieser Worte ergibt sich für uns ein Einblick in die innere Haltung, mit der Jesus sein Opfer am Kreuz vollzogen hat und in der Messe auf sakramentale Weise gegenwärtig werden lässt. Es ist ein Wortpaar, das sowohl bei der Wandlung des Brotes in den Leib Christi als auch bei der Wandlung des Weines in das Blut Christi gesprochen wird. „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ „Das ist … mein Blut, das für euch … vergossen wird.“ Es geht um die Aussage „für euch“.

Wenn wir für das Leben Jesu einen Code finden müssten, ein Kennwort, dann ist es dieses „für euch“. Jesus hat das uralte Menschheitsproblem des Egoismus in seiner Person überwunden. Sein Leben war Hingabe seiner selbst zur Verherrlichung seines himmlischen Vaters und zum Heil der Menschen. Er hat nicht für sich gelebt, sondern für uns. Bei jeder heiligen Messe nimmt er uns mit hinein in diese Haltung, durch die das in sich gekehrte Herz des Menschen erlöst wird. In der Wandlung von Brot und Wein bietet er uns noch eine andere Wandlung an: Die Wandlung vom selbstgenügsamen Ich zum liebenden Du.

Das ist ein Grund, warum für uns die Messe im Mittelpunkt der christlichen Existenz steht. Sie ist nach der Lehre der Kirche „die Quelle und der Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Kirchenkonstitution 11). Messe ist der Ort, wo dieses Kennwort des christlichen Glaubens nie verstummt. Am Altar schlägt das gottmenschliche Herz ununterbrochen. Sein Pulsschlag ist: für euch, für euch, für euch …

Welcher Art ist die Erlösung? Welchen Weg wählt der Herr, wenn wir Eucharistie feiern? Eine Antwort gibt ein Name, den die Liturgie Christus in der Gestalt des Brotes gibt: das Lamm Gottes. An bedeutsamer Stelle greift der Messritus den Hinweis Johannes’ des Täufers auf, wo er auf  den Größeren zeigt, der nach ihm kommt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt“ (Joh 1,29). Das dreimalige „Agnus Dei“ während des „Brotbrechens“ erinnert sinnenfällig an den gebrochenen Leib des Opferlammes. Auch ein möglicher Kommunionspruch lenkt den Gedanken auf das Gotteslamm: „Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind.“ Das dritte Hochgebet sagt in Bezug auf die Kirche: „Sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde.“

Warum so oft das Lamm? Als biblisches Bild begegnet uns das Lamm schon im Alten Testament als Vorbild der Opferwilligkeit. Der Prophet Jesaja beschreibt den kommenden Gottesknecht, der bereitwillig die Schuld der Vielen trägt, „wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer“ (Jes 53,7). Indem das Neue Testament dieses Bild für Christus gewählt hat, wird klar, dass das heilende Wirken des Erlösers abzuheben ist von anderen Heilsangeboten dieser Welt. Das Lamm beleuchtet den Jesus-Code noch einmal von einer anderen Seite.

Genau diese Hingabe fehlt, wenn wir einen Blick auf Büchermärkte und Veranstaltungskalender mit ihrem Heilsangebot werfen. Dort geht es um ein Heil, das letztlich ganz im innerweltlichen Bereich bleibt. Eine zufällige Auswahl an Titeln aus einem Prospekt: Heilfasten, Heilgymnastik, Heiltees, die geheime Kraft der Edelsteine, Geheimwissen vergangener Kulturen, Erfahrungen jenseits von Raum und Zeit, Schritte zur Gelassenheit, die Mitte finden, usw.  

Auch in der Messe geht es um das Heil. Dieses reicht aber weit über das irdische Leben hinaus: Es geht um das ewige Leben. Deshalb ist es kein Heil im Schnellverfahren. Der Herr beschreitet einen anderen Weg: Er kommt als Lamm, in sanfter Berührung und in Bescheidenheit. Eine Messe kann nie ein spektakuläres Ereignis oder eine berauschende Fete sein. Christus, das Lamm Gottes, lässt uns in der Messe teilhaben an der Hingabe seiner selbst in Liebe. Durch den Code seines Lebens – „für euch“ – schenkt er uns den Zugang zum Heil. 

Wer sich durch die gläubige Mitfeier der Liturgie in diese Bewegung hinein nehmen lässt, wird unweigerlich verändert – ohne dass er es sofort merkt. Je treuer und bereiter wir den Weg zum Gotteslamm gehen, umso mehr kann in uns erlöst werden. Wir werden erfahren, was viele Menschen zu Lebzeiten Jesu bestätigt bekamen: „Es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte“ (Lk 6,19).

Ein bekannte Weisheitserzählung berichtet von einem jungen Mann. Er meinte, alles Bemühen um die Nähe Gottes sei umsonst. Letzten Endes bleibe von seiner Anstrengung nichts zurück. Der Weise schickte ihn mit einem geflochtenen, schmutzigen  Korb zum Brunnen Wasser holen. Da der Weg weit war, war am Ende  kein Wasser mehr im Korb.  Doch jeden Tag schickte der Weise den jungen Mann aufs Neue. “Nun”, fragte er nach einiger Zeit. “War alles umsonst?”  “Ja, alles war umsonst, keinen einzigen Becher Wasser konnte ich in mein Haus bringen. Alles ist auf dem Weg zerronnen.”  “Nein, es war nicht umsonst, dass du täglich mit dem Korb zum Brunnen gegangen bist”, antwortete der Weisheitslehrer. “Mit deinem geflochtenen Korb konntest du zwar kein Wasser bewahren. Aber siehst du nicht, wie der Korb sich in diesen Tagen durch das Wasser gereinigt hat? So ist es auch mit dir. Auch wenn du meinst, alles Bemühen um die Nähe Gottes sei umsonst, so bist du doch von Ihm, dem Quell des Guten, bereits gereinigt worden.”

Diese Erzählung lässt sich auf die treue Mitfeier der heiligen Messe übertragen. Wenn wir den schmutzigen Korb unseres Lebens mit seiner belastenden Ich-Gerichtetheit Woche für Woche zum Brunnen der Eucharistiefeier tragen, wird sich im Laufe der Zeit an uns eine Reinigung vollziehen. Das Blut Jesu Christi, für uns am Kreuz vergossen, wird an uns gebrechlichen Gefäßen gewiss seine Wirksamkeit zeigen. Besonders in Verbindung mit dem Bußsakrament ist der Messe höchste Heilkraft eigen. Das „für euch“ des Jesus-Codes wird konkret für jeden von uns persönlich und schmiedet uns zusammen zu gemeinschaftsfähigen und kirchlichen Menschen, in denen das Ich nicht mehr die absolute Vormacht hat.

Ein Rat, den schon viele Heilige gegeben haben, lautet: Man soll den Augenblick der Wandlung, in dem der Priester die heilige Hostie emporhebt, besonders gut nützen. In diesen Momenten ist das heilende Handeln Jesu besonders greifbar.  Der heilige Pfarrer von Ars sagte, dieser Moment der heiligen Messe sei in höchstem Maß dazu geeignet, die Umkehr des Herzens zu erbitten. Selbst verhärtete Herzen und Situationen kann die Liebe Christi verändern. Wandlung gilt nicht nur für die Gaben am Altar, sie gilt auch uns.

Der Tropfen Wasser im Wein

Dass der Tropfen Wasser, der bei der Gabenbereitung dem Wein beigemischt wird, Tagesordnungspunkt auf zwei Konzilien war, ist selbst für praktizierende Katholiken überraschend. Außer den Ministranten am Altar dürften die wenigsten Gottesdienstteilnehmer wahrnehmen, wie sich bei jeder Messe im Kelch das Wasser mit dem Wein verbindet. 

Im Sinne der Mystagogie, einer Hinführung zu den Geheimnissen des Glaubens, kann uns der Tropfen Wasser anregen, in die Theologie des Messopfers tiefer einzudringen. Beim Konzil von Florenz (1439), wo es um eine Einigung mit den  armenischen Christen ging, wurde der Wassertropfen einer ausführlichen dogmatischen Bewertung unterzogen. Das Konzil nennt als notwendige Materie für das Sakrament der Eucharistie „das Weizenbrot und den Wein vom Weinstock, dem vor der Konsekration ein ganz klein wenig Wasser beigemischt werden muss“.

Aufschlussreich ist die Begründung: Der Herr selbst habe dieses Sakrament so eingesetzt, indem er mit Wasser gemischten Wein verwendet habe. Offenbar war es antike und jüdische Sitte, den Wein gewässert zu trinken. Beim Schriftsteller Justin, der um das Jahr 165 als Märtyrer starb, finden wir wertvolle Einblicke in die Art und Weise frühchristlicher Eucharistiefeiern. Ganz selbstverständlich bezeugt auch er: „Darauf werden dem Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht.“

Außer diesem Hinweis, dass Jesus es so getan hat und dass dies durch die „Zeugnisse der heiligen Väter und Lehrer der Kirche“ bestätigt wird, gibt das Konzil von Florenz auch eine allegorisch-mystische Erklärung: „weil dies der Vergegenwärtigung des Leidens des Herrn entspricht“. „Im Kelch des Herrn darf weder bloßer Wein noch bloßes Wasser dargebracht werden, sondern beides gemischt; denn beides, das heißt, Blut und Wasser, ist, wie man liest, aus der Seite Christi heraus geflossen (Vgl. Joh 19,34).“ Der Opfercharakter der heiligen Messe ist somit ins Spiel gebracht, das Selbstopfer des Erlösers aus Liebe zu unserem Heil.

Auch unser Eingehen in sein Opfer ist mit gemeint, so das Konzil von Florenz. Die Wirkung des Sakramentes an uns soll im Wassertropfen zum Ausdruck kommen: „Unter dem Wasser wird das Volk verstanden, im Wein aber wird das Blut Christi gezeigt.“ „Indem also im Kelch Wein und Wasser gemischt wird, wird das Volk mit Christus geeint und die Menge der Gläubigen mit dem, an den sie glaubt, vereinigt und verbunden.”

Warum wurde gerade auf diesem Konzil, das eine Einigung mit den monophysitisch angehauchten Armeniern zum Inhalt hatte, der Tropfen Wasser derart breit erörtert? Die monophysitische Irrlehre neigte zu einer einseitigen Überbetonung des Göttlichen in Jesus Christus. Der Ausdruck „Monophysis“ bedeutet „eine einzige Natur“.  Die menschliche Natur, die der Sohn Gottes um unseres Heiles willen angenommen hat, sei von seiner Gottheit aufgesogen worden. Damit trat bei den Monophysiten die Wirklichkeit der Menschwerdung in den Hintergrund, die Erlösungstat am Kreuz verlor an Bedeutung.

Nun lag ein Jahrtausend zwischen dem Aufblühen dieser Häresie im fünften Jahrhundert und den Unionsverhandlungen mit den Armeniern im 15. Jahrhundert. Was sich durch den Abstand der Jahrhunderte in der Lehre vielleicht weniger problematisch darstellte, war in einem Detail der Liturgie immer noch spürbar. Die Monophysiten hatten konsequenter Weise den Tropfen Wasser aus ihrer Liturgie verbannt: Die Gottheit bedarf keiner menschlichen Ergänzung, keines menschlichen Beiwerkes. Die katholische Lehre aber umspannt beide Wirklichkeiten, die göttliche und die menschliche Natur, in der einen Person Jesu Christi. So heißt es heute noch im begleitenden Gebet bei der Mischung von Wein und Wasser: „Wie dieses Wasser sich mit dem Wein verbindet zum heiligen Zeichen, so lasse uns dieser Kelch teilhaben an der Gottheit Christi, der unsere Menschennatur angenommen hat.“

Wie eine theologische Entdeckungsreise liest es sich, wenn man mehr als hundert Jahre später beim Konzil von Trient im Jahre 1562 den Tropfen Wasser im Wein wiederum in einer dogmatischen Erklärung findet. Was war dem vorausgegangen? Martin Luther hatte von der Übermacht der Gnade gesprochen. Die Rechtfertigung des Menschen vor Gott könne nur durch die Gnade geschehen: „Sola gratia“. Der Sünder könne durch keinerlei Beiwerk bei seiner Erlösung mitwirken, außer durch seinen vertrauensvollen Glauben: „Sola fides“. Konsequenterweise hat bei den Protestanten der Tropfen Wasser im Kelch nichts mehr verloren. Das reine Gotteswerk bedarf keiner menschlichen Zutat.

Heißt es dagegen nicht beim Apostel Paulus: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24)? Mit dieser Aussage will Paulus dem Erlösungswerk des alleinigen Erlösers keinen Abbruch tun. Im Gegenteil, gerade Paulus wusste aus eigener Erfahrung: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (1 Kor 15,10). Einmal hatte ihm sogar der Herr zu verstehen gegeben: „Meine Gnade genügt dir“ (2 Kor 12,9). Trotzdem war sich der Apostel seiner Aufgabe als „Werkzeug“ bewusst. Nicht an der Erlösungstat selbst ist etwas zu ergänzen, aber bei deren Vermittlung an die Menschen, „für den Leib Christi“ bedarf es des menschlichen Beitrags. Weil Christus uns nicht bloß als einzelne erlösen wollte, sondern die Erlösungstat die Auferbauung seines Leibes, der Kirche, mit einschließt, haben die einzelnen Glieder „Wassertropfenfunktion“. Wir können uns diese hochtheologischen Zusammenhänge auch ganz einfach anschaulich machen: Als Jesus am Kreuz starb, tat er dies als einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen. Dass aber Maria, Johannes und einige getreue Frauen unter dem Kreuz sich mit seinem Opfer vereinten, ist in den Augen Gottes weder Schmälerung des Opfers Jesu noch zufälliges Beiwerk. Es ist eben wie der Tropfen Wasser im Kelch des Heiles.

Kehren wir nach diesem Ausflug in die Kirchen- und Theologiegeschichte zurück zur Gabenbereitung der Messe. Wir alle, die um den Altar versammelte Gemeinschaft, sollen eine wohlgefällige Gabe für Gott werden zusammen mit dem Opfer Christi, wie die Gläubigen es im „Suscipiat“ vor dem Priester ausdrücken: „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen  zum Lob und Ruhme seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche.“

Die Ausführungen zu einem scheinbar geringfügigen Detail der Gabenbereitung offenbaren wohl den großen geistlichen Reichtum, der in diesen Momenten der Messfeier verborgen liegt. Es ist gut verständlich, dass die begleitenden Worte zu den Handlungen der Gabenbereitung normalerweise still gebetet werden, wie es das Messbuch vorsieht. Die Gläubigen können währenddessen ein Gabenlied singen, das die Haltung der Hingabe fördert, auf den Chor oder die Schola lauschen, oder, was dem Geschehen durchaus angemessen ist, in Stille die Kräfte des Herzens und der Sinne zum Herrn erheben, während vielleicht die Orgel oder ein anderes Instrument leise die Handlung begleitet.

Ausdrücklich weist das Messbuch darauf hin, dass Gabenprozessionen durch die Gläubigen dem inneren Gehalt dieses Messteils entsprechen. Nicht zufällig wird an dieser Stelle auch der Klingelbeutel gereicht, um für die Bedürfnisse der Kirche und vor allem für die Notleidenden Gaben beizusteuern. Auch diese kleinen Gaben geben dem „Wassertropfen“ konkrete Gestalt.

Julia Verhaeghe, die  Mutter Gründerin der geistlichen Familie „Das Werk“, deren Leben von  einer tiefen Liebe zur Kirche und ihrer Liturgie geprägt war, sah im Tropfen Wasser sich selbst und ihre eigene Sendung: “Herr, lass mich im Kelch des Priesters, der dir das heilige Opfer darbringt, der kleine Tropfen Wasser sein, der sich mit dem Wein verbindet und sich darin verliert.” Für einen Gläubigen, der die heilige Messe geistlich noch tiefer mitfeiern möchte, könnten diese Gebetsworte eine wertvolle Anregung sein.

Die Arznei der Unsterblichkeit

Die Sünde ist aus der Sicht des Glaubens letzte und tiefste Ursache für den Tod. Der Tod, wie wir ihn kennen, nämlich als zerstörerische Macht, war von Gott für den Menschen nicht vorgesehen. Hätte der Mensch nicht gesündigt, wäre es nicht dazu gekommen. „Durch die Sünde … gelangte der Tod zu allen Menschen“ (Röm 5,12). Der Tod wurde zur allgemeinen und absolut sicheren Gegebenheit des menschlichen Daseins: Wer in dieser Welt geboren wird, wird sie als Toter verlassen.

Dass wir trotz des Todes und über den Tod hinaus Hoffnung auf ein ewiges Leben haben, liegt nicht in unserem Vermögen. Niemand kann sich die Auferstehung selbst erwerben, das vermag allein die Gnade Gottes. „Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (1 Kor 15,57).  Derselbe, der gekommen ist, um uns von der Sünde zu befreien, will uns auch aus der Macht des Todes retten. 

In der Taufe macht Gott den Anfang, indem er uns die Gnade der „Wiedergeburt“ für das ewige Leben schenkt. Es ist wie bei einer Impfung vor einer langen und gefährlichen Reise. Die Taufe gibt uns erste „Impfstoffe“ gegen den ewigen Tod. Diese „Impfstoffe“ müssen im Laufe des Lebens aufgefrischt werden, vor allem durch die anderen Sakramente. Die heiligen Sakramente, unter ihnen besonders die Buße und die Eucharistie, sind Arzneimittel gegen die Sterblichkeit. 

Christen waren sich immer bewusst, dass sie ohne die heilige Messe, ohne Eucharistie wenigstens am Sonntag, nicht überleben können. „Ohne die Herrenfeier am Sonntag können wir nicht leben“, bekannten die Märtyrer von Abitene (+304) vor dem heidnischen Richterstuhl. „Es ist nicht Positivismus oder Machtwille, wenn die Kirche uns sagt, dass zum Sonntag die Eucharistie gehört“ (Papst Benedikt XVI.). Es geht hier nicht um ein von außen auferlegtes Gebot, es geht um unser Überleben: Wenn wir nicht regelmäßig Christus und seine Gnade in uns aufnehmen, wenn wir uns nicht dauernd „impfen“ lassen gegen den Tod und seine Folgen, dann haben wir keine Garantie, dass wir das ewige Leben erreichen. Der Sonntag ist wöchentlicher „Impftag“, weil dort die Kraft des Auferstandenen am ursprünglichsten wirksam wird.

Die innere Verknüpfung von Eucharistieempfang und Verheißung der Auferstehung ist kein nachträgliches Konstrukt der Theologen. Diese Verbindung ist biblisches Urgestein. Der Evangelist Johannes hat das sechste  Kapitel seines Evangeliums der Eucharistie gewidmet. Es enthält die große eucharistische Rede Jesu in der Synagoge von Kafarnaum. Bei aufmerksamer Lektüre fällt der zweimalige Hinweis auf: die Eucharistie ist Unterpfand der Auferstehung (Vgl. Joh 6,44.54). Sehr deutlich sagt Jesus: „Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh 6,53-54).

Bei den alten Kirchenschriftstellern finden wir diese Aussagen vertieft und entfaltet wieder. Gregor von Nyssa (+ nach 394) vergleicht in einer Katechese den Zustand des sterblichen Menschen mit einer tödlichen Vergiftung. Nur durch ein Gegenmittel kann diese todbringende Macht gebrochen werden. „Was ist nun diese Speise?“ fragt der heilige Gregor. Er antwortet: „Kein anderer als jener Leib, der den Tod überwunden und uns das Leben gebracht hat. Denn wie nach den Worten des Apostels ein wenig Sauerteig die ganze Teigmasse sich ähnlich macht, so bildet jener von Gott mit Unsterblichkeit ausgestattete Leib den unsrigen nach sich selbst um und verwandelt ihn.“ Der heilige Kirchenvater erklärt dann weiter, wie das Brot und der Wein  durch Gottes Wort in den Leib des auferstandenen Christus verwandelt werden, „damit auch der Mensch durch sein Einswerden mit dem Unsterblichen der Unsterblichkeit teilhaftig werde.“

Eine Verstehenshilfe für die Eucharistie als „Arznei der Unsterblichkeit“ kann uns ein kleiner Exkurs in die Dogmengeschichte sein. Und zwar geht es um die theologischen Vernunftgründe für das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel. Warum hatte die Gottesmutter Maria dieses Privileg, dass sie in der Stunde ihres Todes von Gott mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde, ohne dass ihr Leib die Verwesung schauen musste?

Ein Grund, der in den Predigten der Kirchenväter immer wieder genannt wird, ist die biblische Lehre, dass Maria von Gott zur Mutter des Herrn erwählt war. Kein Mensch der Welt war Christus so verbunden wie Maria, seine Mutter. Sein Leib stammt aus ihrem Leib, sein Blut von ihrem Blut. Wie der Leib der Gottesmutter ihn bis zu seiner Geburt getragen und genährt hat und somit zu einem Heiligtum Gottes geworden ist, so sollte ihr Leib auch nach dem Tod heilig bleiben und der Verwesung entzogen werden.

Was Maria Kraft ihrer Berufung war, nämlich Gottesträgerin, müssen wir erst allmählich werden. In der heiligen Eucharistie nehmen wir Christus in uns auf. Eigentlich würde eine einzige heilige Kommunion ausreichen, um uns ganz mit Christus eins werden zu lassen. Von seiner Seite aus wäre das möglich. Aber wegen unserer menschlichen Schwachheit brauchen wir die Wiederholung. Wir müssen immer wieder „den unsterblichen Leib Christi aufnehmen, um ganz nach seiner göttlichen Natur umgeformt zu werden“ (Vgl. hl. Gregor von Nyssa).

Niemand kann sich selber in den Himmel aufnehmen. Wenn wir aber wie Maria Christus mehr und mehr in uns tragen, wird er an uns künftig tun, was er an Maria schon vorweggenommen hat. In der Stunde unseres Todes oder wenigstens nicht weit davon entfernt soll der Herr eines Tages unsere „Wegzehrung“ werden: Eine letzte „Impfung“ wird das sein, damit der Todesstachel uns nicht schaden kann. Weil aber niemand von uns um diese Stunde weiß, soll die Eucharistie wenigstens jeden Sonntag, am besten auch wochentags, unsere Arznei sein. Dann sind wir immer für den Übergang bereit.
Herr, ich bin nicht würdig

Die Bezeichnung der Eucharistie als „Arznei der Unsterblichkeit“ deutet an, dass die Einnahme der heiligen Kommunion sorgsam bedacht werden muss. Das beste Medikament kann zum Schaden gereichen, wenn es nicht richtig verabreicht wird. Zudem bleibt zu bedenken, dass es ein „Jemand“ ist, der im Sakrament des Altars vom Menschen aufgenommen wird. Wer kommuniziert, nimmt Christus in sich auf, der sich ihm durch den Dienst der Kirche schenkt. Der rechte Kommunionempfang hat demnach eine persönliche, aber auch eine kirchliche Dimension. Die Kirche verwaltet die Ausspendung der heiligen Eucharistie und bestimmt die Voraussetzungen für einen würdigen und fruchtbaren Kommunionempfang.

Bereits im Leben der Urkirche erfahren wir von ersten Schwierigkeiten, was den würdigen Kommunionempfang betrifft. In der jungen Gemeinde von Korinth fehlte es bei einigen Christen an der Unterscheidungsgabe gegenüber dem Leib des Herrn. Manche bedachten nicht, dass das Brot, das sie in der Eucharistie zu sich nehmen, der Leib des Herrn ist. Der heilige Apostel Paulus sah darin eine Verfehlung gegenüber dem Geber dieser heiligen Gabe, aber auch einen Mangel an Kirchlichkeit. Dem Apostel zufolge ist die Kommunion die tiefste und wirkmächtigste Herbeiführung der kirchlichen Einheit: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,17). Wer unwürdig kommuniziert, versündigt sich gegen den Herrn und seinen Leib, die Kirche.

„Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt“ (1 Kor 11,27-29).

Was von Christus her als Brot des Lebens gedacht ist, kann durch ungeprüften Empfang das Gericht verursachen anstatt das ewige Leben zu schenken. Ohne das Wort „Arznei“ zu verwenden, meint der Apostel Paulus genau dies: Eine unwürdige Kommunion schadet dem Empfänger, so wie eine falsch eingenommene Medizin dem Menschen schaden kann. „Deswegen sind unter euch viele schwach und krank, und nicht wenige sind schon entschlafen“ (1 Kor 11,30). Ein trauriger Befund! Wenige Jahre, nachdem Jesus diese Liebesgabe seines Herzens eingesetzt hat, gibt es schon Klagen über ein Abgleiten in Verirrungen. Was eine Speise des ewigen Lebens sein soll, wurde manchem zum „Krankheitserreger“ beziehungsweise zum „Todesbeschleuniger“.

Der „Skandal“ der Gemeinde von Korinth war offenbar die Trennung von Eucharistie und Leben, von Gottesdienst und rechtem Umgang miteinander. Die wohlhabenden Gemeindemitglieder hatten die Armen übersehen und völlig übergangen. Diese Lieblosigkeit und der grobe Mangel an Solidarität bleiben für immer ein warnendes Beispiel. Wer sich dem Altar des Herrn nähert, muss sich gerade auch in dieser Hinsicht selbst überprüfen.

Ein kirchengeschichtlicher Befund zeigt, dass die Kirche sich immer wieder mit zwei unterschiedlichen Fehlhaltungen auseinanderzusetzen hatte: Der unbedachte Kommunionempfang einerseits und das überängstliche Fernbleiben vom Tisch des Herrn andererseits. Der heilige Chrysostomus, einer der großen Kirchenväter des Ostens, hielt mehrere bewegende Predigten zu diesem Thema. Wer nicht weiß, dass seine Worte an Zuhörer des vierten Jahrhunderts gerichtet sind, könnte meinen, es wären Ansprachen eines Pfarrers oder Bischofs an eine moderne katholische Gemeinde im 21. Jahrhundert: Sobald festliche Anlässe kommen, strömen die Leute in Scharen zum Tisch des Herrn, nicht weil sie so gut vorbereitet sind, sondern weil alle hingehen. „Viele, sehe ich, empfangen den Leib Christi ohne weiteres und wie es sich gerade trifft, mehr nach Gewohnheit und Herkommen als mit Bedacht und Überlegung.“ Dann wieder bleiben die Gläubigen lange Zeit dem Tisch des Herrn fern, wiederum aus reiner Gewohnheit, so bemängelt Chrysostomus.

Um uns vom einen wie auch vom anderen Fehlverhalten zu bewahren, hat die Kirche im Laufe der Zeit Zulassungsbedingungen für den Tisch des Herrn ausgesprochen. Im Wesentlichen sind die heutigen Bedingungen identisch mit dem, was bereits die frühchristliche Praxis an Vorgaben kannte. Justin der Märtyrer schreibt um das Jahr 150 und gibt damit apostolische Tradition wieder: „Diese Nahrung heißt bei uns Eucharistie. Niemand  darf daran teilnehmen, als wer unsere Lehren für wahr hält, das Bad zur Nachlassung der Sünden und zur Wiedergeburt empfangen hat und nach den Weisungen Christi lebt. Denn nicht als gewöhnliches Brot und als gewöhnlichen Trank nehmen wir sie.“

Die Taufe als Ursakrament wird als Voraussetzung genannt. Sie ist das Reinigungsbad, welches für die eucharistische Vereinigung mit dem Herrn bereit macht. Die Taufe ist wie eine Pforte. Wer sie durchschritten hat, erfährt in der Eucharistie die Vollendung der christlichen Initiation, der Eingliederung in die Christus- und Kirchengemeinschaft. Ungetaufte können nicht zur Eucharistie zugelassen werden. Sie müssen zuerst Christus im Glauben annehmen und im Wasser der Taufe ihm geweiht werden.

Auch die gläubige Zustimmung zur Kirche und zu ihrer Lehre ist eine Bedingung für den Sakramentenempfang. Man kann nicht den Leib Christi empfangen wollen, die Lehre Christi aber abweisen. Daraus erklärt sich auch der Grundsatz, dass Christen, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die heilige Kommunion nicht empfangen können – ausgenommen sind sehr seltene Ausnahmesituationen, wie etwa die Todesgefahr. Wer die Kommunion empfängt, empfängt im Sakrament nicht nur Christus, er vereinigt sich auch in höchst möglicher Weise mit der Kirche, dem mystischen Leib Christi. Ein Kommunionempfang an der Kirche vorbei ist weder möglich noch heilsam.

Wenn die Kirche die so genannte Interkommunion ablehnt, tut sie dies auch aus Ehrfurcht vor den Christen anderer Konfessionen. Würde ein evangelischer Christ in einer katholischen Messfeier zum Tisch des Herrn eingeladen, brächte man dadurch zum Ausdruck, dass er in der vollen Gemeinschaft mit der Kirche steht und Katholik ist. Dies aber kann ein überzeugter evangelischer Christ sicher nicht wollen. Da gehört zuerst seine Zustimmung zum Glauben der Katholischen Kirche verbunden mit der Aufnahme in sie, dann folgt, als Vollendung, die Kommuniongemeinschaft.

Innerkirchlich bedeutsam ist die von Justin erwähnte Zulassungsbedingung, „nach den Weisungen Christi“ zu leben. Hier dürften bei den heutigen Verhältnissen die meisten Schwierigkeiten liegen. Zwei Bereiche ragen aus dem Vielerlei hervor, das in dieser Hinsicht aktuell ist.

Verhältnismäßig viele Katholiken verspüren nicht das Bedürfnis, Sonntag für Sonntag die heilige Messe mitzufeiern. Wenn sie aber ab und zu zur Messe kommen, haben sie sehr wohl das Bedürfnis, zum Tisch des Herrn zu gehen. Es scheint ihnen nicht bewusst zu sein, dass die Vernachlässigung der Sonntagsheiligung einen schwerwiegenden Mangel darstellt. Im Grunde genommen ist diese Haltung paradox und unverständlich: Man möchte mit dem Herrn im Sakrament eins sein, sucht aber nicht die Einheit mit seinen Geboten. Der Empfang des Leibes Christi ohne das Erfüllen des Gesetzes Christi ist aber sicher nicht im Sinne des Stifters und somit nicht heilsam.

Der zweite Bereich betrifft die verschiedensten irregulären Situationen hinsichtlich des Sakramentes der Ehe. Die einzelnen Sakramente können nie voneinander getrennt werden. Sie sind aufeinander hingeordnet und unauflöslich miteinander verbunden: so auch Ehe und Eucharistie. In beiden Sakramenten geht es um die leibliche Hingabe zweier Personen. Wer sich nun einer anderen Person hingibt, so dass „die zwei ein Fleisch werden“ (Mt 19,5), kann dies nach kirchlicher Lehre nur innerhalb der sakramentalen Ehe tun. Für ein getauftes Mitglied der Kirche gibt es keine neutrale Zone, was das Ehesakrament anbelangt. Jede geschlechtliche Vereinigung außerhalb des christlichen Ehebundes widerspricht dem Bund mit Christus, in den wir durch unsere Taufe eingetreten sind. Es sind zwar sehr viele, die heute davon betroffen sind. Die Kirche aber bleibt ihrem Glauben treu, wenn sie daran festhält: Wer sich ohne Ehesakrament mit einem Partner, einer Partnerin leiblich vereinigt, kann sich in diesem Zustand nicht in der heiligen Kommunion mit dem Leib Christi vereinigen. Das betrifft also freie Verbindungen und außereheliche Verhältnisse genauso wie bloß standesamtlich Verheiratete, ob in erster oder in zweiter Ehe.

Es stellt sich die Frage, ob die Kirche mit dieser hohen Auffassung von den Sakramenten nicht vielen ihrer Mitglieder die nötigen Gnadenmittel vorenthält: Wenn schon die Eucharistie die Arznei der Unsterblichkeit ist, wie kann sie dann Gläubigen verweigert werden? Hierzu ist zu sagen, dass es eigentlich keine einzige menschliche Situation gibt, wo die Kirche kategorisch die heilige Kommunion für immer ausschließt. Durch das Bußsakrament können die meisten Hindernisse beseitigt werden. Freie Verbindungen können durch das Ehesakrament geordnet werden und selbst geschiedene Wiederverheiratete könnten in die Kommuniongemeinschaft aufgenommen werden, wenn sie sich entschließen, fortan auf das Ein-Fleisch-Werden mit jenem Partner zu verzichten, der vor Gott nicht der ihrige ist.

Weil die Kirche immer um die Schwachheit ihrer Glieder wusste und weiß, erwartet sie als Mindestmaß von einem Katholiken, dass er „durch das Bußsakrament vorbereitet, wenigstens einmal im Jahr die Eucharistie empfängt, wenn möglich in der österlichen Zeit“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1389). Der Rückgang der Beichtpraxis bei gleichzeitiger Zunahme der Kommunionhäufigkeit ist sicher eine pastorale Sorge, die die Kirche zur Zeit bewegt. Die Wiederentdeckung des Bußsakramentes wird wesentlich zum fruchtbaren Kommunionempfang beitragen.

Wer aus seiner momentanen Lebenssituation, die der kirchlichen Lehre nicht entspricht, nicht ausbrechen und deshalb seine „Osterpflicht“ nicht erfüllen kann, soll sich wenigstens in Sehnsucht nach der heiligen Kommunion mit Christus vereinigen und ihn bitten, er möge ihm im entscheidenden Moment seines Lebens die Gnade geben, das Sakrament der Unsterblichkeit zu empfangen.

Beim Gebet „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!“ wird der Herr auf jeden Fall hinhören, ob nun jemand sehnsüchtig nach der heiligen Kommunion Christus „unter sein Dach“ aufnimmt, oder ob er ihn auch sakramental in der heiligen Hostie empfangen kann. Der geistliche Kommunionempfang muss auf jeden Fall dem sakramentalen voraus gehen, damit das heiligste aller Sakramente, die Eucharistie, ihre volle Wirkung entfalten kann.

Das Sakrament der Liebe

Ein Vorwurf, dem praktizierende Katholiken wiederholt ausgesetzt sind, lautet: Sie würden dauernd in die Kirche springen, doch Nächstenliebe sei nicht ihre Stärke.

Sind die treuen Messbesucher, die dem Gebot Jesu zufolge sein Gedächtnis begehen, tatsächlich nur fromm, aber schwach in tätiger Nächstenliebe? Diesen Vorwurf zu entkräften, reichen ein paar bedruckte Seiten nicht aus. Vorwürfen kann man letztlich nicht mit Tinte, sondern nur mit dem konkreten Leben entgegnen.

Zunächst aber wollen wir uns  vergewissern, wie der innere Zusammenhang zwischen Eucharistie und christlicher Liebe aussieht. Die Eucharistie ist das „sacramentum caritatis“, das Sakrament der Liebe Gottes, das bei richtigem Mitvollzug gar nichts anderes sein kann als eine ständige „schola caritatis“, eine Schule der Liebe. Jesus selbst hat seinen Jüngern diese innere Verbindung einprägsam vorgeführt, indem er das Abendmahl mit der Fußwaschung begonnen hat. Es ist vielsagend, dass der Evangelist Johannes von der Einsetzung der Eucharistie so gut wie nichts berichtet, dafür aber ausführlich beschreibt, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht.

Die pädagogische Methode Jesu war Zeit seines Lebens mehr auf  Beispiel als auf Belehrung aufgebaut: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,15). Fußwaschung und Eucharistie liegen nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich nah beisammen. Wir Menschen neigen von Haus aus dazu, uns selbst darzustellen, uns bedienen zu lassen, gern im Mittelpunkt zu stehen, Erwartungen an andere zu haben, Ehre für uns zu beanspruchen. In der Fußwaschung geht Jesus ganz in die andere Richtung: Er, „der Herr und Meister“ (Joh 13,14), bückt sich bis zum Boden, um seine Jünger wie ein Sklave zu bedienen. Er stellt sich bewusst auf den letzten Platz. Der Gestus der Fußwaschung ist ein Kristallisationspunkt einer langen Kette von Erniedrigungen im Lebenslauf Jesu, beginnend mit der Armut der Krippe bis hin zur letzten Hingabe am Kreuz. Das Sich-Erniedrigen setzt sich nach dem Letzten Abendmahl in steigender Tendenz fort: Jesus geht hinaus in die Nacht, wird von allen verlassen, lässt sich fesseln und abführen, nimmt das ungerechte Urteil an … Die Selbstentäußerung Gottes geht so weit, dass er sich alles nehmen lässt, nicht bloß sein Gewand, den letzten irdischen Besitz. Jesus verzichtet am Kreuz noch auf den letzten Trost, er durchkostet die Not der äußersten Verlassenheit, denn „die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8).

Die Fußwaschung muss für die Jünger in dem ganzen Passionsgeschehen – allerdings erst in der Rückschau, als sie es zu verstehen anfingen – zum Schlüssel geworden sein, der ihnen das Herausragende an der Person Jesu erschlossen hat: Gottes Sohn hat sich selbst entäußert bis in den Tod. Deshalb – weil er für sich keine Erwartungen stellte – schien  es Jesus auch nichts auszumachen, dass die Jünger ihn bei seinem Tun nicht verstanden. „Später wirst du es begreifen“ (Joh 13,7), ließ Jesus den Simon Petrus wissen. Nicht: verstanden werden, geehrt werden, bedient werden, sondern: verstehen, ehren, dienen … bis ins Detail – das ist der Weg Jesu.

Das vierte eucharistische Hochgebet fügt, um uns den eigentlichen Sinn der Messfeier zu erschließen, unmittelbar vor dem Wandlungsgeschehen die Bemerkung ein: „Da er die Seinen liebte, … liebte er sie bis zur Vollendung“. Dieser Satz ist im Johannesevangelium der Fußwaschung vor- und zugeordnet (Joh 13,1). Damit weist sich die Messfeier als vollendeter Liebeserweis Gottes an uns Menschen aus, als Überbietung der Fußwaschung: Jesus kommt noch demütiger zu uns, noch kleiner, unscheinbarer, unaufdringlicher, in der Gestalt des Brotes, der Nahrung der Armen.

Von Kindheit an wurden wir nun belehrt, dass in der Feier der Messe die Wandlung der Höhepunkt ist. Wandlung aber heißt nicht bloß, dass Brot und Wein zu Leib und Blut Jesu werden. Wandlung heißt auch, wir sollen gewandelt werden; nicht nur in dem einen oder anderen Bereich unseres Lebens, es geht um das Ganze der christlichen Existenz. Die übernatürliche Liebe muss unsere innerste Lebenskraft werden, unser innerer Antrieb in allem Denken, Reden und Tun. „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht,  sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach“ (1 Kor 13,4-5).

Jede Feier der Messe setzt die Kette von „Verknüpfungen“ fort: Der Sohn in Gottesgestalt wird zum Gott in Sklavengestalt, zum Gott in Brotsgestalt. Er, der sich unseretwegen klein, unscheinbar, verborgen, demütig macht, will in uns sein Werk fortsetzen! Welcher Gottesdienstteilnehmer könnte da noch groß und wichtig sein wollen? Aber Christus wird auch uns noch ein wenig Zeit lassen: was er in der Feier der Messe an uns tut, verstehen viele vielleicht jetzt noch nicht – später werden sie es begreifen, wie Simon Petrus (Joh 13,7).

Wer ständig zum Brunnen geht, kann nicht anders als gereinigt werden, außer er tritt mit dem Vorsatz zum Brunnen heran, das reinigende Wasser zu scheuen. So ist es mit jedem, der zum Altar Gottes hintritt: Er kann eigentlich gar nicht anders als in den Sog der Liebe hinein gezogen zu werden, der von der Liebe Christi ausgeht.

Merkt man dies nun den treuen Gottesdienstfeiernden an? Leben sie aus der Liebe Christi? Sehen sie, die Christus so oft in der Gestalt des Brotes empfangen, ihn auch in der Gestalt der Brüder und Schwestern? Ist ihnen bewusst: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,)? Wie bereits gesagt, ist es schwierig, derartige Beweise mit Tinte zu erbringen. Natürlich gibt es bedauerliche Beispiele des Ungenügens und des Versagens unter praktizierenden Christen. Lieblosigkeit schmerzt gerade dann, wenn sie von „frommen“ Menschen ausgeht.

Zugleich zeigt die weltweite Erfahrung: Besonders treue Messbesucher sind oft ebenso treue Zeugen echter Menschlichkeit. Wenn sie von der Messe heimkommen, kümmern sie sich liebevoll um kranke Angehörige in Dauerpflege. Es gibt Gläubige, die schwierigste Situationen in Partnerschaft und Familie ertragen oder aus dem Messopfer Geduld schöpfen im Umgang mit eigenen seelischen und körperlichen Leiden. Wie viele aufmerksame Mütter und Großmütter tragen die Lasten ihrer Angehörigen in großer Treue zum eucharistischen Jesus und schenken ihrer Familie geistigen Rückhalt durch ihr Leben aus dem Gebet! Zahlreiche Ordensleute leben mit Schwerstbehinderten in Wohngemeinschaft oder haben eine „Fazenda da Esperanca“ für Drogenabhängige aufgebaut, weil sie sich von der Hingabe Christi in der heiligen Eucharistie inspiriert wissen.

Ein besonderer Liebesdienst von eifrigen Gottesdienstteilnehmern ist die Sorge um die Verstorbenen. Sie schenken den „Armen Seelen“, wie sie sagen, ihr fürbittendes Gebet, besonders denen, die der Barmherzigkeit Gottes am meisten bedürfen. Auch dies ist ein zwar unauffälliger, aber sicher nicht unbedeutender Dienst an den „Armen“. Einmal bin ich einem Pensionisten begegnet, der wohl keine Werktagsmesse ausgelassen hat, und dann den ganzen Tag über Anwalt jener war, die nicht auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind. Beeindruckend ist auch das Zeugnis des Sakristans der St.-Philips-Church in Franklin, der im Auftrag seiner Pfarrgemeinde nach der Messe die Gefangenen besucht, nach dem Wort Jesu: „Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,36). Dieser Dienst ist offenbar Teil eines weitreichenden sozialen Wirkungsradius’, den sich eine katholische Pfarre in der Diaspora erstellt hat, im Sinne eines authentischen Christentums.

Ein überaus bewegendes Beispiel, wie die Verehrung der heiligen Eucharistie zum Gipfel christlicher Liebe führen kann, ist jenes von Dr. Annalena Tonelli. Sie scheint eine Art „Mutter Theresa“ von Afrika zu sein. Schon als Kind war sie sich sicher, dass sie einmal anderen helfen werde. Als junge Frau von 26 Jahren führte sie der Ruf Christi auf den afrikanischen Kontinent, wo sie ein Leben der Hingabe an die Armen und Leidenden lebte. Im vom Bürgerkrieg heimgesuchten Somalia wirkte Annalena Tonelli als Friedensstifterin zwischen Volksgruppen, Kulturen und Religionen, betreute Flüchtlinge, half Tuberkulose-, Augen- und Aidskranken und engagierte sich im Schulwesen. Es ist staunenswert, welche Formen der organisierten und hochqualifizierten Nächstenliebe sie in über 30 Jahren ihres Wirkens auf die Beine gestellt hat.

Als Annalena Tonelli am 5. Oktober 2003 auf dem Gelände der von ihr gegründeten Klinik in Baroma brutal ermordet wurde, gab es Trauer um eine international geachtete große Frau. Wenige Monate zuvor hatte der UN-Flüchtlingskommissar ihr den Nansen-Flüchtlingspreis für ihre humanitäre Arbeit mit vertriebenen Somaliern verliehen.

Es ist erfreulich, wenn ein Mensch, der auszog, um Jesus zu folgen, um ihm in den Ärmsten der Amen zu dienen, von säkularen Behörden gewürdigt wird. Dass aber die heilige Eucharistie die verborgene Quelle dieses bewundernswerten Lebens für andere war, ist erst nach ihrem Tod durchgesickert. Weil Annalena als Christin ganz allein in muslimischer Umgebung lebte, wurde ihr schon 1971 das kirchliche Privileg geschenkt, die heilige Eucharistie dauernd bei sich zu haben. Bischof Giorgio Bertin erneuerte diese Zusage und feierte mit ihr im August 2003 in Borama die letzte Messe ihres Lebens. Er berichtet:

„Am Ende – nur ich und sie waren anwesend – tauschte ich die geweihte Hostie aus und gab ihr in einem Kelchtuch einen Teil der großen Hostie, mit der ich das Messopfer gefeiert hatte. Diese Hostie fand mein Generalvikar eine Woche nach der Ermordung von Annalena wieder. Nach eingehender Suche fand er sie in ihrer Praxis in einem kleinen weichen Lederbeutel, zusammen mit einem franziskanischen Kreuz. In einem Kelchtuch befand sich die Hälfte der konsekrierten Hostie – die Hälfte, die ich ihr gegeben hatte. Die Eucharistie gab ihr inneren Frieden und ließ sie sagen: ‚Dort ist er. Seine Stimme verlässt mich nie. Ich kenne sie schon gut, denn sie ist in mein Herz eingeschrieben. Nichts ist wichtiger als mein Innehalten vor ihm. Ich kenne seine Stimme besser als meine eigene Stimme und meine eigenen Gedanken. Sie erfüllt mich mit der Gewissheit des Paradieses und mit einem nicht zu unterdrückenden Verlangen, bei ihm zu bleiben, zusammen mit der Unruhe über das Leiden der Welt und mit dem Auftrag des Herrn, mich in dieses Leiden zu versenken.’“

Annalena Tonelli war offenbar auf ihrem Glaubensweg dorthin gelangt, wo Christen dem Willen des Herrn entsprechend sein sollten. Sie konnte in der Feier der Eucharistie auf die Aufforderung des Priesters „Erhebet die Herzen“ mit ganzem Herzen antworten: „Wir haben sie beim Herrn“. Ihre eucharistische Versenkung in Christus machte sie weder schwerhörig noch schwerfällig gegenüber dem Leiden der Welt. Vielmehr gab ihr das Eintauchen in den Kelch des Heiles die Kraft, ihr eigenes Blut und Leben hinzugeben für die Brüder und Schwestern. Zusammen mit den vielen, die aus der Kraft der Eucharistie ihr Leben haben wandeln lassen, kann uns das Beispiel von Annalena Tonelli anregen, die Bitte im Zweiten Eucharistischen Hochgebet künftig „todernst“ zu nehmen: „Vollende dein Volk in der Liebe.“
(Pfarrer Christoph Haider, Fidesdienst, 14/06/2008)
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