Warum überhaupt Liturgie?

Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi

liturgie-xpZenit.org, 16. September 2016, Edward NcNamara
Mediator Dei – Rundschreiben über die Hl. Liturgie
Katechismus der kath. Kirche
Liturgie (139)

Pater Edward McNamara, Professor für Liturgie und Studiendekan der Theologischen Fakultät am Päpstlichen Athenäum „Regina Apostolorum“ in Rom, beantwortet eine Frage zur Liturgie schlechthin.

Frage: Gibt es eine himmlische Liturgie? Warum gibt es überhaupt so etwas wie eine Liturgie? Welchem Zweck dient die Liturgie? — T.G., Salvador, Brasilien

Pater Edward McNamara: Das sind sehr gewichtige Fragen. Manchmal können wir uns so sehr in Details der Liturgie verheddern, dass wir hierüber den grossen Zusammenhang verlieren: das Geheimnis der Liturgie schlechthin.

Man kann die Liturgie auf vielerlei Weise definieren. Ein bekanntes Handbuch, das in den 1960er Jahren veröffentlicht wurde, führte hierfür ganze 40 Definitionen auf und fügte dann eine 41. hinzu. Für unsere Zwecke reicht es, wenn wir die Definition übernehmen, die das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ anbietet. Die Konstitution hatte hierfür grosse Anleihen im Lehrschreiben „Mediator Dei“ gemacht, das aus der Feder Papst Pius XII. stammt.

„7. … Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen.“

„Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Mass erreicht.“

„8. In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes. In der irdischen Liturgie singen wir dem Herrn mit der ganzen Schar des himmlischen Heeres den Lobgesang der Herrlichkeit. In ihr verehren wir das Gedächtnis der Heiligen und erhoffen Anteil und Gemeinschaft mit ihnen. In ihr erwarten wir den Erlöser, unseren Herrn Jesus Christus, bis er erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit.“

Der Katechismus der Katholischen Kirche entfaltet diese Gedanken im ersten Abschnitt seines zweiten Teils in detaillierterer Form (Nrn. 1076-1209).

Wir können also in der Liturgie verschiedene Aspekte unterscheiden.

Zunächst einmal liegt hier das wesentliche Handeln unseres Hohenpriesters, Christus, vor, der in Einheit mit dem Heiligen Geist dem himmlischen Vater sein Opfer darbringt. Als Kirche können wir – getaufte und gefirmte Christen, die mit dem königlichen oder allgemeinen Priestertum ausgestattet sind – in hierarchischer Gemeinschaft mit dem geweihten Priestertum bei diesem ewigen Opfer uns Christus hinzugesellen und unsere eigenen Gaben zusammen mit seiner Gabe in geistiger Weise darbringen.

Ein weiterer Aspekt der Liturgie besteht darin, dass sich diese geheimnisvolle Einheit mit Christus, unserem Hohenpriester, anhand von sinnenfälligen Zeichen verwirklicht. Einige dieser Zeichen gehen auf Christus selbst zurück, wie zum Beispiel die Verwendung von Wein und Brot für die Eucharistie und von Wasser und der trinitarischen Formel für die Taufe. Die meisten Zeichen jedoch, wie zum Beispiel die Riten, Gesänge und Gebete der Liturgie, sind im Laufe der Zeit von der Kirche entwickelt worden. Diese Riten, Gesänge und Gebete haben normalerweise ihren Ursprung in der Heiligen Schrift und sollen die tiefere Bedeutung der wesentlichen Geheimnisse erschliessen helfen.

Da sie vom Menschen stammen, können diese letzteren Zeichen im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verlieren, ja sogar den Kontakt mit dem Geheimnis erschweren, statt ihn leichter zu machen. Deswegen besitzt die höchste Autorität in der Kirche die Vollmacht, an dem, was nicht unmittelbar von Christus stammt, jene Änderungen vorzunehmen, die sie für notwendig hält.

Eine erste grundsätzliche Antwort auf unsere Frage, warum es überhaupt so etwas wie eine Liturgie gibt, besteht also darin, dass Christus das fleischgewordene Wort ist und dass er beschlossen hat, seine Kirche zu gründen und allen Völkern sein Heil durch ebendiese Kirche und die Sakramente zu vermitteln. Es sind Zeichen, die er gestiftet hat, um die Menschwerdung fortzuführen, und an ihnen sollen alle teilhaben.

Es würde den Rahmen dieser Antwort sprengen, wenn wir auf die Frage eingingen, in welcher Weise diejenigen gerettet werden können, die sich ausserhalb der Kirche befinden. Allerdings können wir sagen, dass es ausserhalb von Christus und seiner Kirche keine sichtbaren Heilsmittel gibt. Wenn jemand ausserhalb der sichtbaren Kirche die Erlösung erreicht, dann wurde diese auf geheimnisvolle Weise durch Christus und seine Kirche erwirkt. Deswegen betet die Kirche im Hochgebet IV für „alle Menschen, die dich mit lauterem Herzen suchen“ und für „alle Verstorbenen, um deren Glauben niemand weiss als du.“

Auch wenn man nach dem Zweck der Liturgie forscht, stellt man eine tiefe Frage. In einigen Fällen, wie zum Beispiel der Taufe, ist die Liturgie ein wesentliches Heilsmittel; in anderen Fällen ist es ein Heiligungsmittel und auch eine Schule des Gebets und des christlichen Lebens. Man muss allerdings zugeben, dass dies nicht die vordringlichsten Gründe für ein liturgisches Handeln in feierlichster Form sind.

In gewisser Weise könnte man sagen, dass die Kirche selbst uns in der allgemeinen Einleitung zur Präfation des Hochgebets einen neuen Horizont eröffnet, der die Frage nach dem Warum der Liturgie erläutert. Dieser Dialog hört sich so an:

„Erhebet die Herzen.“
„Wir haben sie beim Herrn.“
„Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott.“
„Das ist würdig und recht.“
„In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Vater, immer und überall zu danken …“

Der wesentliche Grund, weswegen wir Liturgie feiern, besteht also darin, dass dies „würdig und recht“ ist. Wir tun es nicht, um einen Nutzen daraus zu ziehen. Wir tun es, weil es nichts Grösseres gibt, das wir hier auf Erden tun können. Wir tun es auch, weil wir auf diese Weise der göttlichen Liebe aus freien Stücken in Liebe und Anbetung entsprechen und dadurch das grösste aller Geschenke empfangen: das ureigene Leben Gottes in unserer Seele.

Aus diesem Grund hat der grosse deutschsprachige Theologe Romano Guardini (1885-1968) über das schreiben können, was er den spielerischen Aspekt der Liturgie, oder die Liturgie als Spiel nannte. Genauso wie man spielt, weil es an und für sich sinnvoll ist und nicht, weil es in erster Linie einen Nutzen hat, wird in ähnlicher Weise die Liturgie vollzogen, weil es würdig und recht ist, weil es an und für sich einen Wert besitzt.

Es gibt eine weitere Parallele: Wie man bei einem Spiel einen Spielzug oder ein Tor nur dann als originell, brillant, oder schön bezeichnen kann, wenn sich die Spieler, die Protagonisten dieses Tors oder Spielzugs sind, an die Regeln halten und nicht schummeln, finden sich wahre Originalität und Schönheit im Vollzug der Liturgie auch nur dort, wo man sich an ihre Normen und Regeln hält und innerhalb ihres Rahmens bewegt.

Gibt es also eine himmlische Liturgie? Wir können die Frage bejahen, insofern als unsere Teilhabe an der freudigen Gemeinschaft mit Christus, unserem Hohenpriester, und dessen ewigem Opfer, das er dem Vater darbringt, im Himmel zum dauerhaften Besitz der Seele wird.

Wir können sie verneinen, wenn wir damit äussere Aspekte der Liturgie wie Zeichen und Riten meinen, die, solange wir uns auf unserer irdischen Pilgerreise befinden, lediglich ein Vorgeschmack für die zukünftigen Dinge sein sollen.

Diese Fragen gehen so tief und sind von solcher Tragweite, dass unsere Antwort ihnen sicher nicht gerecht wird. Vieles könnte man noch hinzuzufügen. Wir hoffen aber, dass das Gesagte wenigstens einige Horizonte erschliesst.

Übersetzt von P. Thomas Fox, LC aus dem englischen Originalartikel https://zenit.org/articles/why-we-have-liturgy/

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