Relativismus – immer noch fragwürdig

Impuls zum 11. Sonntag im Jahreskreis C — 12. Juni 2016

Quelle

Rom, zenit.org, 10. Juni 2016, Peter von Steinitz

Eine entlarvende Szene. Jesus geht in das Haus eines vornehmen Pharisäers. Er ist zum Essen eingeladen, aber der Hausherr vernachlässigt die elementarsten Höflichkeitsregeln, z.B. dass man dem Gast die Füsse waschen lässt und ihm einen Begrüssungskuss gibt. Er verhält sich höflich und anständig, lässt aber erkennen, dass er gegen Jesus starke Vorbehalte hat.

Ähnliches erlebt man nicht selten auch heute, auch in der Kirche. Nicht jeder besitzt solche  Grösse und solches Stehvermögen wie der emeritierte Papst Benedikt XVI. Wir erinnern uns, wie er sich nach England oder zum deutschen Bundestag begab und wusste, dass viele Leute ihn dort eigentlich ablehnten. Da hat dieser Mann – letztlich durch seine persönliche Heiligkeit und Integrität – das Wunder erwirkt, dass die Stimmung sich um hundertachtzig Grad drehte und man ihn sogar feierte.

Interessanterweise ist der Anlass für den Vorbehalt, den man damals gegen Papst Benedikt hatte, der gleiche wie der, der im Evangelium vom heutigen Sonntag zur Sprache kommt, nämlich Sünde und Vergebung. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Kritiker Jesu zuviel oder zu wenig Sünde festzustellen meinen.

Der Pharisäer ist davon überzeugt, dass Jesus eine öffentlich bekannte Sünderin (gibt es die eigentlich heute noch?) streng behandeln müsste. Die heutigen Kritiker des kirchlichen Lehramts verlangen allerdings, dass die Kirche in moralischen Fragen – vor allem im sechsten Gebot und in Fragen des Lebens – nicht so streng sein soll. Ist das nicht im Grunde ein Fortschritt?

Keineswegs! In Wirklichkeit verlangt man von Jesus und seiner Kirche nicht eine milde Behandlung des Sünders – die hat die katholische Kirche immer gehandhabt – sondern die Aufhebung der Sünde. Das, was bisher Sünde war, und nicht nur in den Augen der Katholiken, soll nicht mehr Sünde sein. Was das im einzelnen ist, bedarf nicht der Erwähnung. Wir lesen es jeden Tag in der Zeitung.

Während die Sünderin reuevoll zu Jesu Füssen sitzt, erzählt der Herr ein Gleichnis, aus dem hervorgeht, dass der Mensch nicht an der begangenen Sünde vorbei kann, sondern sich ihr stellen muss.

Die Sünde nimmt nämlich die Freude weg, und der Mensch sucht eine Lösung, denn er will nicht unglücklich sein. Mit Recht, denn Gott hat uns ja zur Freude geschaffen. Unser Schöpfer kennt uns und weiss um unsere Schwäche. Da er uns frei geschaffen hat, kann er aber nicht verhindern, dass wir sündigen.

Was ist nun eigentlich die Sünde? Böses tun. Aber was ist böse? In unserem relativistischen Zeitalter der Umkehrung der Werte wird mancher sagen, das ist doch eigentlich nur eine  Frage der Definition, letztlich eine Konvention.

Hier zeigt es sich, nebenbei bemerkt, wie gut beraten die aufgeklärten Staatsmänner des 18. und 19. Jahrhunderts waren, als sie dafür sorgten, dass ihre Untertanen in der christlichen Religion, an die sie selbst meist nicht glaubten, unterrichtet wurden. Sie wussten, dass die Menschen, wenn sie Gott nicht ernst nehmen, nur schwer zu einem moralischen Verhalten zu motivieren sind.

Wenn aber die Gebote (Gesetze) nur von Menschen gemacht sind, am besten sogar durch Mehrheitsbeschluss, dann spricht nichts mehr dagegen, sie bei Bedarf durch einen neuen Beschluss  zu verändern. Und genau da sind wir heute.

Das Tötungsverbot ist in allen Religionen und Kulturen selbstverständlich. Aber wenn es denn Vorteile bringt, es zunächst zu umgehen (um es später zu relativieren), dann kann man ja  schon mal an den “Rändern” anfangen, also in der vorgeburtlichen oder in der senilen Phase des menschlichen Lebens.

Oder, im Hinblick auf die Sünderin im Evangelium, was ist denn eigentlich dabei? Es wäre doch schliesslich nur eine Sache der Definition, ob die Frau eine Ehebrecherin war oder einfach nur “Spass haben wollte”.

Was dem zugrunde liegt, ist uralt. Im Paradies bereits erlagen unsere Vorfahren der Versuchung, selber zu entscheiden, was gut und was böse ist. Sie haben sich falsch entschieden, und wir haben bis heute nicht daraus gelernt.

Denn bei allem Relativismus ist da der lästige Störfaktor Gewissen. Die Frau wollte gar nicht bestätigt haben, dass ihr Verhalten im Grunde korrekt war. Sie wusste, dass es nicht in Ordnung war, und es tat ihr leid.

Und der Herr lobt sie. Nicht weil sie gesündigt hat. Die Sünde muss ihr vergeben werden. Wir sehen vor uns zwei der schönsten Eigenschaften des Meisters.

Er ist barmherzig, das heisst er verzeiht, ohne weitere Diskussionen.

Und er liebt und schätzt es, geliebt zu werden.

Er zeigt uns den Zusammenhang zwischen Liebe und Barmherzigkeit: “Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat” (Lk 7,36).

Ein mögliches Ziel für Menschen unserer Zeit: Nicht relativieren, sondern am Gewissen arbeiten. Wir haben in unserem Inneren einen wahren Schatz, eine Richtschnur, die unserem Denken und Handeln Niveau verleiht. Man muss es allerdings pflegen. Man kann das Gewissen verbiegen und verbilden, was sich früher oder später immer rächt.

Vielmehr sollten wir es pflegen und nähren.

Seine Nahrung ist die Wahrheit Christi und die barmherzige Liebe der Jungfrau Maria.

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.

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