“Flucht ist keine Lösung”

Der Papst öffnet in Bangui die Heilige Pforte – Die Menschen im Bürgerkriegsland Zentralafrikanische Republik ruft er zur Versöhnung auf

Die Tagespost, 30. November 2015

Von Oliver Maksan

In einem Flüchtlingslager für Binnenvertriebene in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, wurde der Heilige Vater von tausenden Menschen erwartet. Nach einer kurzen Ansprache nahm er sich noch Zeit, den Menschen, insbesondere den Kindern, zu begegnen.

Die Botschaft, die der Papst dem geschundenen Volk der Zentralafrikanischen Republik überbrachte, verdichtete sich in einer einzigen Geste: der Öffnung der Heiligen Pforte zum Jahr der Barmherzigkeit. Obwohl das ausserordentliche, vom Papst ausgerufene Versöhnungsjahr offiziell erst am 8. Dezember in Rom beginnt, hatte sich der Papst entschieden, die Öffnung der Heiligen Pforte schon vorher in Bangui, der Hauptstadt des Landes, zu vollziehen. “Öffne dein Haus, o Herr, zu deinem Tempel wollen wir ziehen”, hiess es in dem einfachen Ritus, ehe Franziskus am Sonntagabend die Holztüren der Kathedrale von Bangui weit aufstiess.

Die in und vor der Kathedrale versammelten Menschen klatschten begeistert. “Heute ist Bangui die spirituelle Hauptstadt der Welt”, hatte der Papst in einer spontanen Ansprache erklärt, ehe er die Pforte durchschritt. “Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit kommt jetzt schon in dieses Land, ein Land, das leidet, wo der Hass und das Unverständnis herrschen, unglaubliche Gewalt und Krieg.” Der Papst wollte in dieser Geste auch alle Länder weltweit eingeschlossen wissen, die unter dem Kreuz der Gewalt zu leiden haben. “Für dieses Land und alle Länder, die unter Krieg leiden, bitten wir um Frieden.”

Friede durch Barmherzigkeit und Liebe: Das war das Leitmotiv der Reise des Papstes in das von Gewalt und Armut geplagte Land im Herzen Afrikas. Auch in seiner Predigt während der Messfeier mit Ordensleuten und Jugendlichen, die sich der Öffnung der Heiligen Pforte anschloss, intonierte der Papst diesen Dreiklang. “Nachdem wir selber Vergebung erfahren haben, müssen wir vergeben. Das ist unsere grundsätzliche Berufung: ‘Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist‘“, so der Papst. “Eine der wesentlichen Anforderungen dieser Berufung zur Vollkommenheit ist die Feindesliebe, die gegen die Versuchung zur Rache und die Spirale endloser Vergeltungsmassnahmen wappnet.” Am Ende der Liturgie wandte sich sein Gastgeber an Franziskus. Erzbischof Dieudonne Nzapalainga von Bangui dankte dem Pontifex. “Es ist ein unermessliches Geschenk, dass Sie die Pforte der Versöhnung und des neuen Lebens hier eröffnet haben”, so der im Land über Religions- und Stammesgrenzen hinweg respektierte Prälat.

Der Messfeier zum ersten Adventssonntag schloss sich eine kurze Gebetsvigil mit den Jugendlichen an, die während der Messfeier vor der Kathedrale dicht gedrängt hinter Absperrungen ausgeharrt hatten. Ein junger Mann sprach stellvertretend für seine Altersgenossen. “Viele Menschen aus der Zentralafrikanischen Republik wollen gehen, um woanders ein besseres Leben zu finden. Ihr Besuch, Heiliger Vater, zeigt uns, dass es noch Hoffnung gibt”, meinte er. Der trotz des langen Tages noch immer munter und aufmerksam wirkende Papst griff diese Gedanken in seiner freien Ansprache auf. “Euer Freund sagt, dass viele gehen wollen. Flüchten ist aber nie eine Lösung”, erklärte er den Jugendlichen. Man muss widerstehen, aushalten. Man muss für das Gute kämpfen“, rief der Papst unter dem Jubel der Jugendlichen. “Wie aber leistet man Widerstand, wie harrt man aus?“, fragte Franziskus. In seiner Antwort stellte er das Gebet an die erste Stelle. “Das Gebet ist mächtig. Das Gebet besiegt das Böse. Durch das Gebet nähern wir uns Gott, der allmächtig ist.“ Über seinen Übersetzer fragte der Papst dann die Jugendlichen: “Betet Ihr?“ Ein begeistertes “Ja“ schallte zurück. Immer wieder trat er so in direkte Zwiesprache mit der Menge. Neben dem Gebet sei es entscheidend, für den Frieden zu arbeiten, so der Papst, um ausharren und Widerstand leisten zu können. “Der Friede ist kein Dokument, das wir einmal unterzeichnen. Der Friede muss alle Tage neu geschlossen werden. Der Friede muss durch das eigene Leben erreicht werden.“ Wie aber, so der Papst, könne man zum Handwerker des Friedens werden? “Hasst nicht! Nie! Versucht zu vergeben, wenn euch einer Unrecht tut. Durch die Liebe kommt der Friede!“ Besonders legte der Papst den Jugendlichen nahe, sich der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen. “Die Pforte, die wir heute geöffnet haben, symbolisiert die Barmherzigkeit Gottes. Vertraut euch ihm an. Er ist die Liebe. Er kann den Frieden geben. Deshalb habe ich euch aufgerufen zu beten. Es ist notwendig zu beten, um auszuharren, um zu lieben, um Frieden zu stiften. Seid ihr bereit, für den Frieden zu kämpfen? Seid ihr bereit, zu vergeben? Seid ihr bereit, dieses schöne Vaterland zu lieben? Seid ihr bereit, zu beten?“, fragte der Papst die Jugendlichen erneut. Zum Schluss trug er ihnen noch auf, für ihn selbst zu beten. “Betet für mich, damit ich ein guter Bischof und Papst sein kann.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Franziskus, um einigen Jugendlichen im Beichtstuhl der Kathedrale das Sakrament der Versöhnung zu spenden.

Der drängenden Not des Landes war der Papst am Nachmittag begegnet. In einem Flüchtlingslager erwarteten tausende Menschen den Gast aus Rom. Die Menschen mussten ihre Dörfer wegen der Wirren verlassen, die das Land seit 2013 heimsuchen, als nach einem Putsch Unruhen ausbrachen, die zu blutigen Spannungen zwischen Christen und Moslems führten. Muslimische und christliche Milizen bekriegten einander. Der UNO zufolge ist zeitweise jeder vierte Bewohner des Landes ein Binnenflüchtling gewesen. Hunderttausende suchten Schutz im Ausland. Mehr als die Hälfte des Volkes bedarf noch immer humanitärer Hilfe. Trotz all dieser Schwierigkeiten empfingen die Menschen den Papst mit Gesang und afrikanischen Rhythmen. In einer kurzen, improvisierten Ansprache rief dieser die Menschen zur Versöhnung auf. “Frieden ohne Liebe, ohne Freundschaft, ohne Toleranz und ohne Vergebung ist nicht möglich“, so der Papst. “Ein jeder von uns muss etwas tun.“

Franziskus wünschte der Bevölkerung unter grossem Applaus den Frieden. “Ihr könnt im Frieden leben, welcher Ethnie, Kultur, Religion oder sozialen Klasse ihr auch immer angehört, denn wir sind alle Brüder“, so der Papst. Immer wieder liess er die Menge das “Wir sind alle Brüder“ wiederholen. Ausgiebig nahm sich der Papst anschliessend noch Zeit, den Menschen im Flüchtlingslager zu begegnen, vor allem den Kindern.

Wegen immer wieder aufflammender Gewalt war noch kurz vor dem Besuch unklar, ob er überhaupt würde stattfinden können. Die seit Jahresbeginn amtierende Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza hatte den Besuch des Papstes deshalb am Mittag bei der Willkommenszeremonie im Präsidentenpalast als Sieg über die Angst bezeichnet. Dass der Papst trotz “tatsächlicher Sicherheitsbedenken“ und einem “Wiedererstarken extremistischer Bewegungen in diesen Tagen“ dennoch gekommen sei, sei “eine Lektion an Mut und Entschlossenheit“. “Sie haben so“, erklärte die Präsidentin, “einmal mehr unter Beweis gestellt, der Papst der Armen, der Gebeugten und Verlassenen zu sein.”

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