So funktioniert Integration nicht

‘Sicher ist, die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, hat ungeheure Ausmasse’

Markus RederVon Markus Reder

Die Tagespost, 19. Oktober 2015

Niemand weiss genau, wie viele Flüchtlinge bis Ende dieses Jahres zu uns kommen. Sicher ist, es werden mehr sein, als angenommen. Niemand weiss, wie sich diese “Völkerwanderung“ in den nächsten Jahren entwickelt. Sicher ist, die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, hat ungeheure Ausmasse. Niemand weiss heute, wie all das unsere Gesellschaft verändert. Sicher ist, es wird sie verändern. Noch ist nicht entschieden, wohin die Reise geht. Aber schon jetzt zeigen sich deutliche Risse im gesellschaftlichen Gefüge.

Solche Situationen der Unsicherheit sind die Stunde der Scharfmacher. Mit deutlichen Worten hat Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) vor rechtsradikalen Strippenziehern hinter der Pegida-Bewegung gewarnt. Wo gezielt Fremdenfeindlichkeit und Hass gesät wird, gibt es kein Mitläufertum ohne sich mitschuldig zu machen. Deshalb ist klare Abgrenzung wichtig. Politisch wird es nicht reichen, sich in der Verurteilung fremdenfeindlicher Umtriebe zu überbieten. Antworten müssen her, die überzeugen und mit den aktuellen Herausforderungen zu leben helfen. Antworten, die auch jene mitnehmen, die verunsichert sind und schon deshalb anfällig für rechte Rattenfängerei. Solche Antworten sind Mangelware. Stattdessen gibt es viele leere Sprechblasen. Werden die nicht rasch mit Inhalt gefüllt, steht die Gesellschaft vor der Zerreissprobe.

Nur ein Beispiel: Alle reden von Integration. Wer wollte bezweifeln, dass dies nach erster Nothilfe der Schlüsselbegriff der Flüchtlingspolitik ist. Was aber ist genau gemeint? Wie sieht sie aus, jene Kultur, in die hinein sich Flüchtlinge integrieren sollen? Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Menschenrechte und Demokratie: All das ist nicht verhandelbar. Aber das sind lediglich die Eckpfeiler dessen, was kulturelle Identität ausmacht. Auch das Pochen auf die Einhaltung sogenannter “westlicher Werte“ bleibt blass, solange nicht deutlich gesagt wird, was man darunter versteht. War der Irak-Krieg ein Beispiel für westlichen Werteexport? Ist der Kapitalismus der Lebens-Wert des Westens? Gehören die Tötung Ungeborener oder Suizid-Beihilfe für Alte und Kranke zum westlichen Wertekanon? Big Brother im Fernsehen, Yourporn im Internet, Gendermainstreaming in der Schule: Ist das die West-Kultur, in die sich Flüchtlingsfamilien integrieren sollen?

Die Flüchtlingswelle legt nicht nur die humanitären Ressourcen der Gesellschaft offen, sie stellt – mindestens so drängend – die Frage nach den kulturellen Koordinaten eines Landes, nach der eigenen kulturellen Identität. Hier liegt ein tieferes Problem, aber darüber wird zu wenig gesprochen. “Nur ein Land mit starker eigener Glaubenssubstanz und kultureller Identität kann andere integrieren”, hat der Regensburger Bischof Voderholzer kürzlich formuliert. Sorgen mache ihm weniger eine möglicherweise drohende islamische Überfremdung, als vielmehr die eigene Lauheit, die abnehmende christliche Glaubenssubstanz.

In der Tat: Wer sich vom Glauben verabschiedet hat, taugt schwerlich zum Dialog mit dem Islam. Wer an kultureller Identitätsstörung leidet, den befällt Angst, wenn er mit fremden Kulturen konfrontiert wird. Wer die “Diktatur des Relativismus“ zur Leitkultur erhebt und Genderideologie als neues Menschenbild propagiert, darf sich nicht wundern, wenn andere – Christen wie Muslime – Integration verweigern. All das zeigt: Kulturelle Selbstvergewisserung ist überfällig. Die Flüchtlingskrise zwingt dazu. Kulturelle und religiöse Selbstvergessenheit und Selbstverleugnung sind ganz gewiss kein Beitrag zur Integration von Flüchtlingen.

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