Homilie am Hochfest Allerheiligen 2010

Churer Diözesanbischof Dr. Vitus Huonder

Brüder und Schwestern im Herrn

In einem Führungskurs wurde gesagt, dass sich Führungspersonen nicht reaktiv verhalten sollten, sondern proaktiv. Nun, was heißt das? Reaktiv will bedeuten, dass ich warte, bis etwas auf mich zukommt. Dann mache ich mir meine Überlegungen und werde tätig. Ich nehme in Kauf, dass etwas falsch läuft; darauf versuche ich – unter Umständen mit viel Mühe – zu verbessern und zu flicken. Proaktiv hingegen bedeute, dass ich in die Zukunft schaue; mich frage, was notwendig wird; mich betätige, bevor ich herausgefordert werde. Proaktiv sein heiße, ein Ziel vor Augen haben und alle Mittel anwenden, um dieses Ziel zu erreichen. Mit anderen Worten: Ich lebe nicht passiv, ich lebe aktiv; ich lasse mich nicht beherrschen, ich nehme meine Angelegenheiten selber in die Hand; ich lasse mich nicht stoßen, ich bewege mich selber und versuche auch in Bewegung zu bringen.
Nun, wir dürfen diese Überlegungen auch auf den Glauben übertragen, vor allem auf das übernatürliche Ziel unseres Lebens. Wir können auch im Glauben reaktiv oder proaktiv sein. Wir können auch im Glauben warten, zuschauen, untätig bleiben. Dann kommt plötzlich etwas Unerwartetes auf uns zu und wir werden dann möglicherweise überrollt. Alsbald beginnt das große Stöhnen und Klagen: Ach, hätte ich doch! Ach, wie konnte ich doch! Ach, ich Dummkopf. Das erinnert uns ganz an die törichten Jungfrauen, die wegen ihrem eigenen Leichtsinn vor verschlossenen Türen standen und das Wort des Bräutigams hören mussten: Ich kenne euch nicht (vgl. Mt 25,1-13).
Wir können anderseits auch im Glauben proaktiv werden, in die Zukunft schauen, das Ziel vor Augen führen. Wir haben dazu auch die notwendigen Anregungen. Alles, was Jesus uns gesagt hat, seine Lehre, seine Verheißungen, seine Warnungen auch, das alles lässt uns proaktiv werden: Wir gestalten unser Leben aus dem Glauben. Wir denken an das ewige Leben. Wir nehmen die Worte Jesu ernst und richten uns darnach aus. Wir geben dem Herrn tagtäglich einen Platz in unserem Leben. Wir schauen nach den ewigen Gütern aus.

Wir haben eben die Seligpreisungen gehört (Mt 5,3-12). Jesus hält uns mit den Seligpreisung an, proaktiv zu sein, die Zukunft zu sehen, den Lohn im Himmel vor Augen zu führen, tätig – das heißt auch vertrauensvoll, hoffnungsvoll, auf Gott bauend – auf diese Zukunft zuzuschreiten und eben dadurch aus der Not dieses Lebens aufzubrechen und auf den Trost, auf den Besitz des Ewigen, auf die nie endende Gottesschau zuzuschreiten.

Meine Lieben, wir feiern heute das Hochfest Allerheiligen. Wir blicken mit der Offenbarung des Johannes auf die hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels und auf die große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen, welche vor dem Throne Gottes stehen (Offb 7,4.9). Wir führen uns die vielen heiligen Frauen und Männer vor Augen, die uns im Glauben vorangegangen sind und nun am ewigen Gotteslob teilhaben, wie es heißt: “Sie warfen sich vor dem Thon nieder, beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit” (Offb 7,11-12).
Ja, die Heiligen waren proaktiv, nicht reaktiv; die Heiligen haben das große Geschenk Gottes, das Geschenk seiner Gnade, das Geschenk seiner Heiligkeit angenommen und damit ihr Leben auf die Zukunft hin gestaltet. Sie haben nicht zugewartet, das Gut des Glaubens für sich persönlich zu nutzen, nein sie wurden tätig und schritten voran. Sie haben das Wort unseres Herrn ernst genommen und durften daher auch dessen Erfüllung erfahren: “Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut auch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein” (Mt 5,1-1).

Ja, meine Brüder und Schwestern im Herrn, wir sind gut beraten, im Glauben nicht reaktiv, sondern proaktiv zu sein. Amen.

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