“Die Christen verlieren die Geduld
Pater Jens Petzold lebt im Nordirak – Der Berliner hat in seinem Kloster Christen aufgenommen, die vor dem Islamischen Staat fliehen mussten
Die Tagespost, 24. Juni 2015
Pater Jens Petzold ist gebürtiger Berliner. Nach seiner Konversion zur katholischen Kirche schloss er sich der syrisch-katholischen Klostergemeinschaft von Mar Musa in Syrien an. Seit 2012 baut er im Auftrag der Gemeinschaft in Sulejmanije im kurdischen Nordirak ein Kloster auf. Im Sommer 2014 nahm er hier 220 Christen auf, die vor dem IS geflohen waren. Derzeit werden noch 180 Personen vom Kloster versorgt. Obwohl die Mehrzahl der Flüchtlinge mittlerweile in Wohnungen untergebracht ist, leben noch immer vierzig Menschen in der Klosterkirche.
Pater Jens, Sie haben hunderte christliche Flüchtlinge in Ihrem Kloster aufgenommen. Seit über zehn Monaten warten die Menschen darauf, dass sie in ihre von IS besetzte Heimat zurückkehren können. Verlieren sie die Geduld?
Ja. Das kann man so sagen. Vielen geht das Geld aus. Die eiserne Reserve ist aufgebraucht. Manche kommen auch an ihr Guthaben gar nicht erst ran. Die Banken machen Schwierigkeiten. Es gibt einige Menschen, die zu arbeiten begonnen und sich mit der Lage arrangiert haben. Eine Familie hat sogar ein eigenes Geschäft aufgebaut. Die meisten leben aber in der Warteschleife. Die Medien im Irak machen den Menschen ja immer wieder Hoffnung, dass die grosse Offensive zur Befreiung Mossuls und der Orte in der Ninive-Ebene bald kommt. Aber bisher kam sie nicht. Das zermürbt die Menschen. Sie wissen nicht, wie lange es so weitergeht. IS ist nach wie vor stark. Der Fall Ramadis im Mai an IS hat gezeigt, dass IS eine der stärksten Armeen im Nahen Osten hat. Das wird von den Flüchtlingen aufmerksam wahrgenommen.
Wie viele der bei Ihnen untergekommenen Flüchtlinge haben den Irak mittlerweile verlassen?
Bei uns sind es nur fünf Familien, die gegangen sind. Drei von ihnen sind aber schon wieder zurück. Insgesamt sind aber viele Leute nach Jordanien, den Libanon oder die Türkei gegangen, um sich dort bei der UNO als Flüchtlinge registrieren zu lassen. Aber die Wartezeiten für die Interviews mit der UNO sind enorm. Das erste Interview findet vielleicht frühestens nach sechs Monaten statt. Bis es dann zu einer Entscheidung kommt, vergehen gern nochmal ein bis zwei Jahre. Viele können sich das Warten einfach nicht mehr leisten und kommen deshalb wieder zurück. Arbeiten dürfen sie in den Ländern ja nicht. Damit wird vielen klar, dass sie hier im Irak festsitzen. Und auch im Westen ist es ja nicht einfach für sie. Kürzlich hat mir ein chaldäischer Bischof gesagt, dass die Kriminalität unter chaldäischen Einwanderern in die USA höher ist als beim Grossteil anderer amerikanischer Gesellschaftsteile. Überproportional viele sitzen angeblich im Gefängnis. Das zeigt, dass die Integration in die neue Kultur nicht so einfach ist. Religion und Kultur sind eben nicht einfach dasselbe.
Hadern die Flüchtlinge wegen der Lage mit Gott?
Das war vor allem am Anfang so. Mittlerweile ist das nicht mehr so wichtig. Die Menschen sind vollauf damit beschäftigt, den Alltag zu organisieren. Aber natürlich versuche ich sie geistlich zu begleiten. Die Menschen finden Trost in der Herz-Jesu-Verehrung. Die ist im Irak sehr verbreitet, obwohl sie ja eigentlich aus der lateinischen Tradition kommt. Und wir lesen auch in der Heiligen Schrift.
IS verübt seinen Terror im Namen des Islam. Hat das den Blick der Christen auf den Islam verändert?
Viele Christen würden im Moment sagen, dass der Islam mit IS sein wahres Gesicht gezeigt hat. Darin werden sie von manchen christlichen Medien und Gruppen bestätigt. Von Zypern aus zum Beispiel wird ein christliches Programm in arabischer Sprache gesendet, das eine regelrechte anti-islamische Propaganda macht. Viele nehmen das auf. Dem Dialog und Zusammenleben steht das aber natürlich im Weg.
Aber die Flüchtlinge haben schlechte Erfahrungen gemacht. Sie klagen, dass sich ihre muslimischen Nachbarn über Nacht gegen sie wandten und sich dem IS anschlossen. Und auch Patriarch Sako hat beklagt, dass sunnitische Führer im Irak den IS nicht verurteilt haben oder sich lange Zeit liessen. Kann man die Menschen mit ihrem Urteil damit nicht verstehen?
Ja, das stimmt leider. Der sunnitische Islam im Irak hat sich von IS überrollen lassen. Aber hier spielen eher politische als theologische Gesichtspunkte eine Rolle. Viele Sunniten sehen sich von der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad an die Wand gedrängt und schlossen sich deshalb IS an oder begrüssten ihren Kampf gegen Bagdad. Viele schlucken aber eher den Extremismus, als ihn jetzt wirklich gutzuheissen. Und man muss sehen, dass IS ja auch eine theologische Opposition im Islam selber gefunden hat. Führende konservative Gelehrten aus aller Welt haben sich in einem offenen Brief an den IS-Führer Baghdadi gewandt haben. Darin widerlegen sie Punkt um Punkt seine Ideologie.
Sie selbst gehören einer Ordensgemeinschaft an, die das Gespräch von Christen und Muslimen quasi zum Inhalt hat. Hat sich mit IS Ihr Bild vom Islam verändert?
Eigentlich nicht. Wie gesagt denke ich, dass der Mainstream-Islam von IS überrascht wurde. Es braucht jetzt Zeit, bis sie eine Antwort darauf finden. Man war schlicht unvorbereitet. Das Problem mit IS ist, dass die Attraktivität gerade unter jungen Leuten sehr gross ist. Theologisch ist der Fall meiner Meinung relativ klar. Schwieriger ist es, dem IS in der Pastoral etwas entgegenzusetzen.
Sie würden also sagen, die IS-Ideologie hat mit dem Islam nichts zu tun? Aber hat der IS nicht wenigstens Ansatzpunkte im Koran und der Tradition?
Das ist wahr. Aber das Problem ist, dass der IS den Text um seine Auslegungsgeschichte bringt. Er verabsolutiert ihn. Und zugleich zerstört er die Zeugnisse der islamischen Geschichte, etwa Gräber von islamischen Gelehrten und islamische Baudenkmäler. Der IS wendet ein sehr extremes Sola-Scriptura-Prinzip an. Aber gerade die Erfahrung mit dem heiligen Text über die Jahrhunderte ist entscheidend. Sie entschärft ihn mitunter auch. Das ist mit der Bibel nicht anders.
Können denn die Christen des Irak noch eine Brücke zwischen Sunniten und Schiiten sein?
Das ist im Moment sehr schwierig. Das Land ist zu polarisiert. Aber das wäre die eigentliche Aufgabe der Christen. Und das ist ja in vielen Fällen auch geschehen. Der chaldäische Patriarch Sako hat ja, als er noch Erzbischof von Kirkuk war, ein offenes Haus geführt, in dem Kurden und Araber, Turkmenen, Sunniten und Schiiten zusammenkommen konnten. Das hatte eine sehr stabilisierende Wirkung auf diese Vielvölkerstadt.
Besteht die Gefahr, dass sich die verbleibenden Christen im Irak in ein Ghetto zurückziehen?
Es gibt jetzt schon die Versuchung, nur die eigene kleine Gemeinschaft im Blick zu haben. Das ist ja auch verständlich angesichts der existenziellen Bedrohung, die im dritten Jahrtausend nicht nur durch IS über die Christen kam. Aber letztlich ist auch den Christen am besten gedient, wenn sie das Ganze im Blick haben. Und die Kirche zeigt das ja auch in ihrer Flüchtlingsarbeit. Die Krankenstationen der Kirche beispielsweise stehen allen Flüchtlingen offen, seien es Christen, seien es Muslime. Das sind wichtige Zeichen.
Die Gemeinschaft von Mar Musa wurde von dem italienischen Jesuiten Pater Paolo Dall’Oglio in den 90er Jahren in der syrisch-katholischen Kirche gegründet. Dazu wurde ein altes Kloster wiederbelebt. Ein Charisma der Männer und Frauen umfassenden Gemeinschaft ist der spirituelle Dialog mit dem Islam. Pater Dall’Oglio kritisierte die Assad-Regierung und sie unterstützende kirchliche Kreise nach Ausbruch des Bürgerkriegs wiederholt scharf. 2012 wurde er deshalb aus Syrien ausgewiesen. Im Juli 2013 wurde er in Raqqa in Syrien von IS entführt. Immer wieder wird spekuliert, ob er noch am Leben ist. Pater Jens sagte dieser Zeitung jetzt, dass er keine aktuellen Informationen habe. “Vor ein paar Monaten hörte ich, dass westliche Geheimdienste angeblich Informationen haben, dass Pater Paolo noch am Leben ist.” Ende Mai wurde in Syrien ein weiterer Angehöriger der Gemeinschaft entführt, Pater Jacques Mourad. Pater Jens zur “Tagespost”: “Von Pater Jacques wissen wir gar nichts. Er wurde von zwei bewaffneten Männern entführt. Gut möglich, dass auch sie zu IS gehören. Palmyra, das IS kürzlich erobert hat, ist ja nicht weit weg von Qaryatayn, wo die Entführung stattfand. Vielleicht soll die Entführung Angst und Schrecken in Qaryatayn verbreiten. Wahrscheinlich hat IS Homs im Visier. Der Weg dahin führt über Qaryatayn.” om
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