Europa ist noch nicht krisenfest

Europa war immer in der Krise

Stephan BaierDie Tagespost, 13. Februar 2015

Von Stephan Baier

Europa war immer in der Krise. Kein anderes Wort und Phänomen begleitet die Geschichte der europäischen Einigung so zuverlässig wie die Krise. Fast jeder EU-Gipfel der vergangenen Jahrzehnte verdiente den Qualitätsstempel “Krisengipfel“, auch der jüngste am Donnerstag in Brüssel. Sich sanft zurückzulehnen und über das Endziel der Einigung nachzusinnen, war stets Sache von Professoren und politischen Beobachtern. Die handelnden Akteure mussten sich immer als Krisenmanager bewähren.

In zwei Aspekten ist jedoch ein Wandel zu bemerken: in den Ursachen der Krisen und im Umgang der EU mit ihnen. Immer häufiger wird Europa von Krisen gepackt und erschüttert, die ihren Ursprung fernab der EU haben, dann aber die Verwundbarkeit und Schwäche Europas offenlegen:

Die Finanzkrise startete in den USA, traf viele Staaten Europas aber mit voller Wucht, weil eine verantwortungslose Schuldenpolitik Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auf Schönwetter statt auf Sturm normiert hatte. Griechenland ist nur das dramatischste Beispiel dafür. Die Aggressionspolitik Putins konnten die Europäer nur solange ignorieren als sie nicht unmittelbar vor unserer Haustüre für Krieg und Chaos sorgte. Das blutig ausgetragene Ringen um die Deutungshoheit über den Islam hat Tod und Terror schmerzlich in die Metropolen des Abendlands getragen. Und die Kriege, Bürgerkriege und Willkürmächte in Afrika und Nahost spülen mittlerweile hundertausende Flüchtlinge nach Europa.

Kein führender Politiker Europas würde behaupten, dass die EU in dieser unruhigen Welt ein optimales Krisenmanagement an den Tag legt – nicht nur, weil wir Europäer Euphorie und Pathos lieber den Amerikanern überlassen. Niemand in Europa kann die Pleitestaaten schmerzfrei sanieren, Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum garantieren, das Sterben in der Ukraine und im Orient stoppen, die Terrormilizen eliminieren und die islamische Welt befrieden. Krisenmanagement ist Sisyphos-Arbeit. Dass aber die deutsche Kanzlerin die Rolle des Sisyphos übernahm, dass nicht nur die anderen Regierungschefs, sondern sogar die Spitzen der EU Angela Merkel – von der Finanzkrise bis zu den Minsk-Verhandlungen am Donnerstag – in diese Rolle hineindrängen, ist nicht nur ein gutes Zeichen. Es beweist zwar das Ansehen, das Deutschland und seine Kanzlerin in Europa geniessen, offenbart aber zugleich, dass die EU noch immer nicht jene stabilen Strukturen geschaffen hat, die ein wirklich europäisches Krisenmanagement ermöglichen würden.

Auf Minsk angesprochen, meinte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstagabend, die Verhandlungsführung durch Merkel und Hollande sei effektiver gewesen als wenn er selbst nach Minsk gereist wäre. Die EU-Aussenbeauftragte erwähnte er erst gar nicht. Man stelle sich vor, Obama und Kerry würden die grössten aussenpolitischen Herausforderungen der USA den Gouverneuren von Texas und Florida überlassen! Kein Zweifel: Europas Einigung steckt zwar nicht mehr in den Kinderschuhen, aber tief in Pubertätsproblemen. In dieser gefährlicher gewordenen Welt können wir Europäer uns jedoch immer weniger darauf verlassen, dass die 28 EU-Mitglieder irgendwie zu einem Konsens finden und irgendwer – am besten die deutsche Kanzlerin – die Führung übernimmt.

Europa braucht krisenfeste Strukturen.

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