Deutungshoheit verloren

Der Journalist hat seine Deutungshoheit verloren

MiteinanderFür die mehr als 700 000 Mitarbeiter der katholischen Kirche gilt künftig ein geändertes Arbeitsrecht. Davon sind rund 590 00o in Einrichtungen und Diensten der Caritas tätig.

Ockenfels lud zur Debatte – Annäherungen an die Wahrheit in einer unübersichtlicher gewordenen Medienlandschaft.

Von Christoph Konopka

Die Tagespost, 06. Mai 2015

Was ist Wahrheit?“ Die Frage des Pilatus stand Pate für eine Diskussion über Wahrheit und Lüge in den Massenmedien, als das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg zum traditionellen 1. Mai-Kolloquium nach Bonn geladen hatte. Mit dem Titel “Unwort Lügenpresse – Wie vertrauenswürdig sind die Massenmedien?” lieferte der Gastgeber, Dominikanerpater und Professor Wolfgang Ockenfels, den Teilnehmern das Stichwort.

“Dialog, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen”, forderte Frank Richter, der Präsident der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung. Im Zuge der Pegida-Proteste Ende 2014 setzte sich Richter in Dresden für einen Dialog ein und musste dafür in der Öffentlichkeit viel Kritik einstecken. Die Aufgabe der politischen Bildung sei es, den Dialog zu organisieren und bis zur Schmerzgrenze auszuhalten. Er verstehe sich als Hermeneutiker, denn “Wahrheit ereignet sich im Dialog, wird zum Moment des Verstehens”. Mit Blick auf Dresden stellte Richter thesenartig diese differenzierte Analyse der Pegida-Bewegung vor: eine starke Ablehnung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung, Misstrauen gegenüber Politikern und Journalisten und eine auseinanderdriftende Gesellschaft, in der das Fremde zur Projektionsfläche eigener Ängste werde. Dabei wünschte er sich einerseits von den Demonstranten weniger Konfrontation und mehr konstruktive Opposition und andererseits von den Massenmedien weniger vorschnelle Urteile und organisierte Empörung.

Auch der Journalist und Medienunternehmer Klaus Kelle diagnostizierte ein Unbehagen mit den Massenmedien, wenn beispielsweise über “gekaufte Medien“ und die politische Schlagseite in einem Grossteil der etablierten Medien geklagt werde. Aber Kelle sah keine Verschwörung, denn “Journalisten schreiben so, wie sie reden und denken“. Erhellend sei die Erkenntnis, dass nach einer Umfrage 63 Prozent der befragten Journalisten sich als politisch links stehend bezeichneten. Dies führe zu einer selektiven Wahrnehmung, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun habe. “Alltägliche Zumutungen” nannte Kelle dies und erläuterte zahlreiche Beispiele. So habe 80 Prozent der Berichterstattung in Deutschland über den Tsunami 2011 nicht die Naturkatastrophe in Japan, sondern die Reaktorkatastrophe in Fukushima in den Vordergrund gestellt, gegenüber nur 20 Prozent im europäischen Ausland. Dadurch sei das Thema Energiewende auf die politische Agenda gesetzt worden. Weitere Beispiele seien das angebliche Auslaufmodell Ehe und Zerrbilder von Familie in den Medien, obwohl nach Faktenlage 80 Prozent der Kinder in Deutschland von einem Vater und einer Mutter als Eltern aufgezogen würden. Auch werde häufig das Wort “umstritten“ verwendet, um konservative Themen zu disqualifizieren. Dass man den Massenmedien nicht vertrauen könne, soweit ging Kelle jedoch nicht, denn sie böten Meinungsvielfalt und es gebe auch viele gute, engagierte Journalisten.

Roland Tichy, selbst gelernter Journalist und jetzt Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, lenkte den Blick darauf, dass die Grenzen zwischen Lüge, Verschweigen und Selbstzensur in der journalistischen Arbeit fliessend seien. So gebe es in den Medien eine Tendenz zu immer weniger Fakten und immer mehr Meinung, das Selbstverständnis wandle sich vom Berichterstatter zum Propheten einer Sache: “Hier entsteht ein Mechanismus, den Nachrichten einen Spin zu geben. Nachrichten ändern so ihren Charakter”, erläuterte Tichy. Auch überrolle die “Technik der Skandalisierung“ die Wirklichkeit. Mit den Worten des früheren britischen Premiers Blair attestierte Tichy den Journalisten, Rudeltiere zu sein, die sogar zur Bestie werden könnten. Allerdings sah Tichy eine sich dramatisch verändernde Medienlandschaft: “Im Internet wird zurückgeschrieben.“ Die Medienkonsumenten könnten selbst recherchieren und auf Originaldokumente zurückgreifen. Dabei werde mitunter sichtbar, wie dünn die von Journalisten präsentierte Faktenlage sei. So habe der Journalist seine Deutungshoheit verloren, wenn jeder Konsument als Blogger seine Meinung kundtun könne.

Professor Wolfgang Spindler moderierte die anschliessende Diskussion, in der sich Kelle zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekannte, aber eine fehlende Ausgewogenheit der Programminhalte und den Quotendruck kritisierte. Frank Richter ergänzte, dass er aus der ehemaligen DDR die Sehnsucht nach einer offenen Gesellschaft kenne und sich von den Medien in Deutschland gut versorgt sehe. Einig waren sich die Teilnehmer, dass es sich lohne, mit Leserbriefen auf Inhalte in den Massenmedien zu reagieren und sich einzumischen.

Schliesslich erinnerte Wolfgang Ockenfels an seinen Ordensbruder Thomas von Aquin und dessen Definition “veritas est adaequatio rei et intellectus“: Es gebe daher nur eine vorläufige Annäherung an die Wahrheit. Er forderte diese Bescheidenheit im Diskurs und eine “Bühne für das freie Wort”. Wer nachhören und nachsehen möchte, was am 1. Mai 2015 beim Kolloquium gesprochen wurde, solle deshalb – so warb Ockenfels – demnächst bei Youtube im Internet eine Aufzeichnung finden.

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