Die Zukunft der Nahost-Christen

Kampf ums schiere Überleben

Die Tagespost, 22. Oktober 2014
Papst fordert Hilfe für Christen in Nahost
Iran: Drei evangelische Christen verurteilt

Von Oliver Maksan

Während die westliche Christenheit um ihren Platz in einer radikal-säkularisierten Gesellschaft ringt und in Teilen versucht ist, ihr nachzugeben, kämpft das Christentum in seinen orientalischen Stammländern ums schiere Überleben. Letzteres hat man in Rom deutlich erkannt. Erneut hat der Papst deshalb jetzt die Lage und Zukunft der Christen in Nahost zur Chefsache gemacht und mit den zum nachsynodalen Konsistorium versammelten Kardinälen und Patriarchen beraten. Der Heilige Vater, der nach eigenen Worten sogar kurz erwogen hatte, selbst in den Irak zu fliegen, will nach Auskunft des chaldäischen Patriarchen Louis Raphael Sako ein Schreiben an die Christen im Irak richten. Für die Menschen dort sind solche Gesten neben substanzieller humanitärer Hilfe extrem wichtig, um nicht ganz der weit verbreiteten Versuchung der Hoffnungslosigkeit zu erliegen.

Doch während die Christen caritative und geistliche Solidarität seitens der Weltkirche erfahren und auf in Teilen immer noch intakte kircheneigene Strukturen im eigenen Land zurückgreifen können, ergeht es anderen Gruppen noch schlechter. Allen voran die Jesiden sind dem Vernichtungswahn des “Islamischen Staats” weiter ausgeliefert. Wieder flüchteten sich jetzt Tausende in das Sindschar-Gebirge, um dem Terror der Islamisten zu entkommen. Uralte Heiligtümer wurden in den letzten Tagen zerstört. Die Geschichte eines Volkes und einer Religion droht in ihrem Stammland ausgelöscht zu werden. Andere ethnische und religiöse Gruppen wie die Schabak, die Kakai oder schiitische Turkmenen leiden ähnlich. Gerade Christen sind es, die ihren jesidischen Brüdern jetzt in ihrer schwersten Stunde beistehen und humanitäre Hilfe leisten. Das ist ein edles Zeugnis. Tatsächlich sitzen alle Minderheiten des Nahen Ostens im selben Boot und drohen in dem Bürgerkrieg zwischen Moderaten und Extremisten zerrieben zu werden, von dem Jordaniens König Abdullah II. jetzt gesprochen hat.

So grauenhaft der IS-Terror ist und so irreversibel seine Zerstörungen von Leben und Kultur sind: Er könnte den nahöstlichen Islam zumindest zwingen, sein Verhältnis zur religiös motivierten Gewalt insgesamt neu zu justieren. Der “Islamische Staat” fordert gerade die konservative sunnitische Orthodoxie heraus, die traditionelle Koran- und Schariainterpretation zu überdenken. Der “Islamische Staat” bringt sie in vielen Fällen schliesslich nur konsequent zur Anwendung. So sehr unterscheidet sich der von der Scharia regulierte Alltag in Riad nicht von dem in Raqqa oder Mossul. Ohne eine schmerzhafte Historisierung der Quellen wird dies nicht gehen. In Rom haben Papst und Kardinäle jetzt betont, dass in Zeiten wie diesen nicht weniger sondern mehr interreligiöser Dialog nötig ist. Dem Kardinalstaatssekretär Parolin zufolge ist das Gespräch der Religionen ein Antidot gegen Fundamentalismus. Leider beklagen gerade die irakischen Christen die ausbleibenden Reaktionen auf den IS-Terror seitens sunnitischer Autoritäten im Irak. Höfliche Treffen von Bischöfen und Imamen bei arabischem Kaffee hat es dort genug gegeben. Jetzt geht es um die richtigen Fragen und Antworten im interreligiösen Dialog.

Von ihnen hängt die Zukunft des orientalischen Christentums ab.

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