Die Stimme der Christen wird gehört

Papst Franziskus besucht am Sonntag Bethlehem

by O. MaksanPalästina: Kirche in Not

Die Christen Palästinas sind im politischen Leben überdurchschnittlich stark präsent. Von Oliver Maksan

Bethlehem, Die Tagespost, 21. Mai 2014

“Es geht nicht um Zahlen, sondern um die Tiefe des Glaubens”, sagt Weihbischof William Shomali. Der Palästinenser ist im Lateinischen Patriarchat seit 2010 für Jerusalem und die palästinensischen Gebiete zuständig.

“Unsere Stimme wird gehört, wenn wir auch weniger als zwei Prozent der Bevölkerung Palästinas ausmachen. Wir Christen gelten allen Seiten als mässigende Kraft.” Shomali weist auf den angesichts ihrer Zahl hohen gesellschaftlichen Beitrag der Kirchen hin. Etwa 70 christliche Schulen, zahlreiche Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen, sogar eine Universität – die katholische Hochschule von Bethlehem – sprechen eine deutliche Sprache, meint er. Hinzu kommen die vielen caritativen Einrichtungen der Orden, vor allem in Bethlehem und Umgebung. Auch im politischen Leben Palästinas sind die Christen repräsentiert – sogar überrepräsentiert, schaut man auf ihren Bevölkerungsanteil. Sieben der 142 Abgeordneten des nationalen Parlaments sind Christen. Zwei Minister der Regierung sowie sieben Botschafter – darunter der bedeutende Posten in Washington – sind ebenfalls Christen. 2001 hat Präsident Arafat zudem verfügt, dass in zehn Städten – darunter Bethlehem und Ramallah – die Bürgermeister immer Christen sein müssen. “20 Prozent der Christen Palästinas gehören politischen Parteien an. Das ist ein sehr hoher Anteil”, sagt George Khoury, Leiter des Alliqa-Zentrums, eines palästinensischen Instituts für Religionsstudien.

Tatsächlich ist die Zahl der palästinensischen Christen verhältnismässig gering. Nach Schätzungen lebten 2012 nur knapp 52 000 Christen verschiedener Konfessionen in Ost-Jerusalem, dem Westjordanland und Gaza. Gerade 1,14 Prozent beträgt ihr Bevölkerungsanteil damit. Der Anteil der Katholiken wird auf knapp 50 Prozent geschätzt. Dabei überwiegen mit etwa 18 000 Gläubigen die lateinischen Katholiken. Der griechisch-katholischen Kirche gehören etwa 4 600 Gläubige an. George Khoury rechnet derweil vor, dass die Zahl der Christen Palästinas über die Jahre quasi stagniert ist. Während sie sich in Israel aufgrund des natürlichen Bevölkerungswachstums vervielfacht hat, ist sie in Palästina quasi auf dem Niveau vor der israelischen Eroberung 1967 geblieben. Die Zahl entspreche ziemlich genau dem Ergebnis der Volkszählung, die die jordanischen Behörden 1961 durchgeführt hätten, so Khoury. Die Gründe dafür sind die Abwanderung nach der israelischen Eroberung 1967 sowie während der beiden Intifadas. Während des jüngsten Volksaufstands gegen die israelische Besatzung nach 2000 verschanzten sich in der Geburtskirche palästinensische Kämpfer. Die israelische Armee beschoss sie. Die Spuren sind noch heute an dem Gotteshaus zu sehen. Etwa 5 000 Christen sollen ihre Heimat allein während dieser Zeit verlassen haben. “Die Mehrzahl geht wegen der israelischen Besatzung und ihrer Folgen, nicht wegen des Islam“, so Khoury auf der Grundlage einer Umfrage unter christlichen Migranten. Aufgrund der geringeren Geburtenrate – bei Christen liegt sie bei zwei, während sie bei Muslimen bei 3,3 liegt – nimmt der relative Anteil der Christen zudem weiter ab.

Aufgrund der politischen Umstände leben Palästinas Christen in drei völlig verschiedenen Realitäten. Da ist das Westjordanland. Die grosse Mehrheit lebt hier. Ihre Anwesenheit konzentriert sich zu 85 Prozent auf Bethlehem und Umgebung, Ramallah und Ost-Jerusalem. Christliche Dörfer gibt es nur mehr wenige. Das palästinensische Christentum ist ein urbanes Phänomen geworden. “Die Christen im Westjordanland leiden wie alle Palästinenser unter den Folgen der israelischen Besatzung und dem Siedlungsbau. Die Bewegungsfreiheit innerhalb der Westbank ist eingeschränkt. Der Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem ist auch nicht ohne weiteres möglich, die Arbeitslosigkeit ist hoch”, so Bischof Shomali. Mehr als dreissig Prozent der Christen in Palästina empfangen ihren Unterhalt direkt von der Kirche, indem sie in ihren Einrichtungen arbeiten, rechnet George Khoury vor.

Noch schwieriger ist die Lage in Gaza. Dort leben unter über 1,7 Millionen Muslimen nur mehr etwa 1 300 Christen. Die meisten gehören der griechisch-orthodoxen Kirche an. Der Rest sind Katholiken. Kaum noch 170 von ihnen gibt es in Gaza. Die Zahl der Christen insgesamt hat sich in den zurückliegenden Jahren halbiert. Vor allem die humanitär und wirtschaftlich angespannte Lage infolge der Blockade des Gebiets durch Israel wird von Christen als Grund für die massive Abwanderung angegeben. Mehrere grössere militärische Konflikte mit Israel – zuletzt im November 2012 – sowie die Abriegelung der Tunnelwirtschaft durch Ägypten seit Mitte 2013 verschärfen die Situation zusätzlich.

Hinter vorgehaltener Hand beklagen viele Christen Gazas aber auch die Auswirkungen des politischen Islam. Tatsächlich ist der soziale Druck auf die Christen hoch. Seit der Machtübernahme der Hamas nach einem Bürgerkrieg mit der Fatah 2007 wurde das öffentliche Leben stark islamisiert. Alkohol ist nicht mehr erhältlich. Von Nachteil für die Christen ist auch, dass sie als Parteigänger der Fatah betrachtet werden. Nicht wenige christliche Familienväter stehen auf der Gehaltsliste des unterlegenen Rivalen aus Ramallah. Für Aufregung sorgte im vergangenen Jahr die Ankündigung der Hamas, die Koedukation an den renommierten christlichen Schulen Gazas beenden zu wollen. Taten haben die Islamisten ihren Worten bislang aber nicht folgen lassen. “Die Hamas toleriert uns. Die Schulen sind für Gaza wichtig”, so Weihbischof Shomali. Während es mit der Hamas einen Modus vivendi gibt, fürchten Gazas Christen radikalislamische Splittergruppen, die in dem Gebiet operieren. Ein Brandanschlag Unbekannter Ende Februar auf die katholische Pfarrkirche von Gaza hat sie zusätzlich aufgeschreckt. Verletzt wurde niemand. Örtliche islamische Honoratioren beeilten sich danach zudem, der Kirche ihre Solidarität auszudrücken. Doch die Lage ist delikat.

Ost-Jerusalem wiederum, wo mit der Jerusalemer Altstadt bedeutende christliche Stätten wie Grabeskirche und Abendmahlssaal liegen, nimmt eine Sonderstellung ein. Denn anders als im Westjordanland und in Gaza haben die Palästinenser hier keinerlei Autonomie und Kontrollgewalt. Zwar betrachtet die internationale Gemeinschaft den 1967 von Israel im Zuge des Sechs-Tage-Krieges eroberten Osten Jerusalems ebenso als besetztes Gebiet wie die anderen Territorien. Doch hat Israel das Gebiet 1980 formell annektiert und zu seiner “ewigen und unteilbaren” Hauptstadt erklärt. Die dort lebenden palästinensischen Christen sind meist keine israelischen Staatsbürger. Sie haben aber die sogenannte Jerusalem-ID. Dieses von Israel ausgestellte Dokument gibt ihnen ein Aufenthaltsrecht, das bei längerer Abwesenheit aber aberkannt werden kann. Auch die Weitergabe an die Nachkommen erfolgt nicht automatisch. Jüngsten Erhebungen des palästinensischen Soziologen Bernard Sabella zufolge tragen sich deshalb infolge dieser und wirtschaftlicher Schwierigkeiten 62 Prozent der palästinensischen Christen Jerusalems mit dem Gedanken der Auswanderung.

Die Kirche bemüht sich derweil, die Lage der Christen Palästinas insgesamt durch Infrastrukturprojekte zu verbessern. Wohnungsbauprojekte des Lateinischen Patriarchats und der Franziskaner-Kustodie gehören ebenso dazu wie Ausbildungsmöglichkeiten im Tourismussektor. “Ohne diese Dinge wären viele Christen nicht mehr hier”, sagt Bischof Shomali. Entscheidend für die Stärkung der christlichen Präsenz in Palästina ist seiner Ansicht nach aber vor allem die Vertiefung des Glaubens. “Wir haben deshalb unsere Anstrengungen für die Erwachsenenkatechese verstärkt. In Beit Sahur, einem christlichen Ort bei Bethlehem, haben wir mit gutem Erfolg damit begonnen, einen Ein-Jahres-Kurs für die bessere Kenntnis der Bibel und der Liturgie einzurichten. Ich bewundere den Eifer der Teilnehmer. Sie sind die lebendigen Steine neben den Heiligen Stätten des christlichen Glaubens”.

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