Vertrauen geht anders

Eine neue Definition des Todes soll den Rückgang bei Organspenden mildern helfen

Traumgesicht Albrecht DürerDie Tagespost, 6. Mai 2013, von Stefan Rehder

Seit Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwer mit irgendeinem neuen Vorschlag zur Reform des Organspendewesens für Schlagzeilen sorgt. Jüngstes Beispiel: Gestern überraschte der Kölner Staatsrechtler Wolfram Höfling, Vorsitzende der Arbeitsgruppe “Tod, Sterben und Organtransplantation” des “Deutschen Ethikrats”, mit der Nachricht, das Gremium, welches Bundesregierung und Bundestag in bioethischen Fragen beraten soll, könne sich eine Änderung der Kriterien zur Feststellung des Todes von Organspendern vorstellen.

Am 27. März hatte der Rat bei einer nichtöffentlichen Sitzung einen ersten Textentwurf für eine Stellungnahme des Gremiums zum Hirntod beraten. Auf Anfrage der Tagespost erklärte die Geschäftsstelle des Ethikrates, die Arbeitsgruppe stünde ganz am Anfang ihrer Arbeit. Auch handele es sich bei dem “ersten Textentwurf” der Stellungnahme in Wirklichkeit um eine “Skizze”. Deshalb könne auch noch niemand sagen, welche Richtung die Empfehlungen des Ethikrats nehmen würde. Ferner handele es sich bei dem Thema nicht um eines, das die Bundesregierung bei dem Expertengremium in Auftrag gegeben habe, sondern um eines, welches der Ethikrat selbst gewählt habe und das daher “keine hohe Priorität” besitze. Mit der Vorstellung einer Stellungnahme sei deshalb auch erst “Anfang oder sogar Mitte 2014” zu rechnen.

Dass Höfling nun doch vorpreschte, mag den Zahlen geschuldet sein, welche die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Ende April vorstellte. Danach setzt sich der Rückgang der Organspenden unvermindert fort. Laut der DSO wurden im ersten Quartal 2013 “nur” 230 Spendern Organe entnommen. Im Vergleichszeitraum des Vorjahrs sollen es noch 281 gewesen sein. Dies entspräche einem Rückgang von 18,1 Prozent. Auch die Zahl der entnommenen Organe sei weiter gesunken. Insgesamt haben der DSO zufolge die Transplantationsmediziner in Deutschland zwischen Januar und März diesen Jahres für hirntot erklärten Organspendern 797 Organe entnommen – also etwa 3,4 pro Spender. Das entspräche einem Rückgang um 12,9 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Nach den Manipulationsskandalen an mehreren Universitätskliniken war die Zahl der Organentnahmen im gesamten Jahr 2012 bereits um 12,8 Prozent zurückgegangen und damit auf den niedrigsten Stand seit 2002 gefallen.

Ob der Vorstoss Höflings der von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der DSO und anderen Verantwortlichen des Gesundheitswesens ausgegebenen Losung, die Transplantationsmedizin müsse verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, dienlich ist, darf bezweifelt werden. Denn offensichtlich soll das neue von Höfling erwogene Kriterium des Herz-Kreislauf-Stillstands das zweifelhafte Kriterium des Hirntods nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Dem Magazin “Focus” sagte Höfling: “Vereinfacht gesprochen gilt ein Mensch dann als postmortaler Organspender, wenn sein Kreislauf eine bestimmte Zeit, etwa zehn Minuten, stillsteht.” Mit der Einführung eines solchen Kriteriums würde sich die Zahl der entnommenen Nieren, aber auch die der Lebern “deutlich steigen lassen”, so Höfling weiter.

Dummerweise ist die Organentnahme bei sogenannten “Non-heart-beating donors” (NHBDs) – Spendern ohne Herzschlag – ethisch noch heftiger umstritten, als die Hirntod-Theorie. In Deutschland ist die Organentnahme von NHBDs denn bislang auch verboten. Laut dem Transplantationsgesetz dürfen einem vermeintlich herztoten Organspender nur dann Organe entnommen werden, wenn seit dem Herzstillstand mindestes drei Stunden vergangen sind oder bei der betroffenen Person zusätzlich der Hirntod diagnostiziert wurde.

Während die im niederländischen Leiden ansässige Stiftung “Eurotransplant” die These vertritt, dass ein zehnminütiger Herzstillstand bei normaler Körpertemperatur als “Äquivalent zum Hirntod” betrachtet werden könne, haben dies sowohl die Bundesärztekammer als auch die Fachgesellschaften für “Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung”, “Neurologie” und die “Deutsche Transplantationsgesellschaft” in der Vergangenheit stets abgelehnt. In einer gemeinsamen Stellungnahme aus dem Jahr 1998, die den Titel “Organentnahme nach Herzstillstand” trägt und von den vier damals amtierenden Präsidenten unterzeichnet wurde, heisst es ohne Umschweife: “Ein Herz- und Kreislaufstillstand von zehn Minuten bei normaler Körpertemperatur ist bisher nicht als sicheres ‘Äquivalent zum Hirntod’ nachgewiesen worden und kann deshalb nicht die Todesfeststellung durch Nachweis von sicheren Todeszeichen ersetzen.” Zudem müsse zwischen einer “biologisch unmöglichen Reanimation” und einer Wiederbelebung unterschieden werden, die abgebrochen oder unterlassen wurde. Eine “biologisch unmögliche Reanimation und damit der irreversible Herzstillstand kann bisher weder durch die Dauer noch durch andere Kriterien als die sicheren Todeszeichen nachgewiesen werden.” Mit anderen Worten: Sicher tot ist der “Herztote” nicht bereits, wenn sein Herz aufgehört hat zu schlagen, sondern erst dann, wenn er die “sicheren Todeszeichen” aufweist. Als solche kommen jedoch streng genommen nur Totenflecken, Totenstarre, Autolyse und Fäulnis in Betracht. Das Problem: Wer die sicheren Todeszeichen aufweist, kommt aufgrund der langen “Ischämiezeit”, der Zeit, in der ein Organ nicht durchblutet wird, als Organspender praktisch gar nicht mehr in Betracht.

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