“Jesus Christus – die Sonne meines Lebens”

“Die Sonne meines Lebens ist Jesus im heiligsten Sakramente”

Gottesliebe ist der Schlüssel zur Persönlichkeit Anna Schäffers, die am Sonntag heiliggesprochen wird. Von Monsignore Georg Schwager

Die Tagespost, 19. Oktober 2012

In Anna Schäffers (1882–1925) Aufzeichnungen findet sich ein Wort, das uns wie ein Resümee ihre Persönlichkeit erschliesst: “Die Sonne meines Lebens ist Jesus im heiligsten Sakramente”. Wir begegnen in ihr einem Menschen, der trotz furchtbarer körperlicher Schmerzen infolge eines tragischen Unfalls und äusserer Armut ein Leben tiefer Gottes- und Nächstenliebe führte. Das Geheimnis ihrer irdischen Existenz war eine innige Christusverbundenheit, die sie auch in schwerer Krankheit nicht verlor. Und dies, weil jeder Tag ihres Leidens unter den Strahlen der eucharistischen Sonne stand.

Anna hegte in jungen Jahren den Wunsch, als Missionsschwester in einen Orden einzutreten. Während eines “Traumes” widerfuhr ihr im Juni 1898 eine erste Ankündigung dessen, was ihre eigentliche “Mission” werden sollte. Im selben Jahr weihte sie sich auch der Gottesmutter Maria, die sie ein Leben lang treu verehrte. Der “Traum” fand seine Erfüllung am 4. Februar 1901. Bei Hausarbeiten glitt sie mit beiden Beinen in einen Kessel kochender Lauge; ein jahrzehntelanges Krankenlager war die Folge. Allmählich erschloss sich Anna Schäffer auch der Sinn ihrer Schmerzen, sie erkannte ihre Berufung, es war die “Mission des Leidens”.

Anna lernte in dieser harten Schule Gottes Willen erkennen und immer freudiger anzunehmen. Siechtum und Armut wurden ihr zum liebevollen Anruf des Gekreuzigten, ihm auf diesem Weg ähnlich zu werden. Dabei verstand sie unter Armut nicht nur materielle Not, sondern auch die Erfahrung innerer Verlassenheit und Leere, die Erfahrung der menschlichen Schwachheit. Sie schreibt: “Weisst Du denn nicht, dass das Edelweiss dort blüht – wo alle Blumen zu blühen aufhören, – auf den Höhen der Alpen? (…) hiemit vergleiche ich auch alle frommen gottliebenden Seelen, – deren Ein u. Alles nur darauf geht, auf dem Wege der Tugend immer aufwärts zu streben. Und gleich dem Edelweiss blühen sie unter Geistesdürre, – Kälte – und Trockenheit ganz wohlgemut weiter zum Lobe und Preise ihres Schöpfers, auf der Höhe des Berges der Vollkommenheit. (…) wie wäre es wohl um uns bestellt, – wenn wir uns stetsfort des fühlbaren geistigen Trostes erfreuen könnten? Und wieviel mehr, würde vielleicht da das Gnadenleben unserer Seele in Gefahr sein, anstatt vorwärts zuschreiten – stille zu stehen? Und gehört nicht auch der Wind u. Regen zum reifen und zeitigen der Frucht? Ebenso, können auch wir im geistigen Leben nie zur rechten Reife – gelangen, wenn wir nicht verspüren dürften – Geistesdürre, – Kälte, Trockenheit, Verlassenheit.“

Ihre Schmerzen opfert sie in freiwilliger Sühne auf für die Bekehrung der Sünder. So eröffnet sie ihrer Freundin Anna Bortenhauser: “Nach meinem Tode, darfst Dir schon denken, liebe Anna, dass mein Leben ein kleines Martyrium war und dass ich mich weder mündlich noch schriftlich auszudrücken vermag, wieviel ich leiden darf. Und mit jedem neuen Tag dürstet es mich nach neuen Leiden u. nach Seelen zu ihrer Bekehrung u. Rettung.“ Leben und Persönlichkeit Anna Schäffers können wir nicht verstehen ohne ihre grosse Liebe zu Christus in der Eucharistie, wie bereits oben angedeutet. In ihrem letzten Brief bekennt sie: “Meine grösste Stärke ist die hl. Kommunion!“ Aus ihrem Empfang und der liebenden Versenkung in das Geheimnis der bleibenden Gegenwart des Herrn im Sakrament findet sie die Kraft, um an ihrem Leid nicht zu zerbrechen. Gestärkt durch die Eucharistie, fühlt Anna Schäffer sich so glücklich, dass sie trotz ihrer Leiden nicht mit einer “Weltfürstin” tauschen möchte.

In einem Brief aus dem Jahr 1919 schreibt sie: “Im übrigen ist mein Befinden immer unter dem Schatten des Kreuzes u. der Leiden; – aber auch an der klaren sonnigen Gnadenquelle des heiligsten Sakramentes – hier vertauschen sich Leid u. Freud miteinander; an dieser Gnadenquelle wird das Leid zur Freud u. ist da mein stilles Ruheplätzchen zu jeder Tagesstunde!“ Oder an anderer Stelle bekennt sie: “Wie glücklich ich jedesmal nach der heiligen Kommunion bin, kann ich mit keiner Feder niederschreiben. Ach, da vergesse ich ganz mein irdisches Leiden und die Sehnsucht meiner armen Seele zieht mich jeden Augenblick, um meinen verborgenen Gott u. Heiland im heiligsten Sakramente anzubeten! Ja (…) in jenen heiligen Stunden, bin ich oft so glücklich, dass ich mit keiner Weltfürstin ja nicht um die ganze Welt mein Leidensbett vertauschen möchte.“ “Im heiligen Gebete und in der heiligen Kommunion finden wir unsern grössten Trost auf dem Krankenbette. Und wie glückselig sind doch die Stunden nach der heiligen Kommunion, wenn der Herr des Himmels u. der Erde in unseren armen Herzen weilt.“

Anna nutzte die ihr verbleibende Zeit und Kraft für ein umfangreiches Apostolat des Gebetes und des Tröstens in Wort und Schrift. Sie legte sich eine förmliche Tagesordnung zurecht, die sie mit Betrachtung geistlicher Lektüre und Tätigkeiten wie Stricken ausfüllte. Beseelt vom Gedanken der Sühne begriff sie ihr Leiden und all das, was sie noch tun konnte, als Dienst für andere, gleichsam als “Schlüssel”, der ihr das Tor des Himmels öffnen sollte.

“Ich habe drei Himmelschlüssel”, schreibt sie. “Der grösste darunter ist aus rauem Eisen und von schwerem Gewicht: das ist mein Leiden! Der Zweite ist die Nadel …. Der Dritte ist der Federhalter …! Mit all diesen Schlüsseln will ich täglich fest arbeiten, um das Himmelstor eröffnen zu können. Und jeder Schlüssel soll mit drei Kreuzlein und Kränzlein verziert sein, mit: Gebet, Abtötung und Selbstverleugnung!”

Anna Schäffer schenkte nicht nur Liebe und Trost, sie empfing diese auch. Grosse Freude bereitete ihr die Zuneigung der Dorfkinder. Sie kamen oft zu ihr, stellten viele Fragen und umdrängten ihr Krankenbett. Sie wollten auch einmal ihr Sterbekreuzlein tragen, ihren Sarg mit Kerzen begleiten und versprachen ihr in kindlicher Weise, einmal ihr Grab mit Blumen zu schmücken, wenn sie gestorben ist. Vor allem im Sommer überschütteten geradezu die Kinder Annas Bett, wie sie selbst berichtet, mit Blumen. Am Abend des 5. Oktober 1925 wurde Anna Schäffer von Gott heimgerufen nach jahrzehntelangem Leiden, das sie – wie ihr Arzt bezeugt – mit unendlicher, geradezu bewundernswerter Geduld ertrug. Pfarrer Carl Rieger, welcher sie so viele Jahre geistlich begleitet hatte, war persönlich vom heiligmässigen Leben seines Pfarrkindes überzeugt, wie es aus einer kurzen Notiz in der Sterbematrikel Anna Schäffers noch heute ersichtlich ist. Er setzte über den amtlichen Eintrag des Todes mit Bleistift den Zusatz: “Sancta” – eine “Heilige”.

Am 8. Oktober 1925 wurde sie unter grosser Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Pfarrfriedhof zu Mindelstetten beerdigt.

Bei seiner Ansprache am Grabe betont Pfarrer Rieger: “Was soll ich an diesem Grabe sagen? Ich muss fragen, was darf ich an solcher Ruhestätte nicht sagen, da viele hören möchten, was nur mit kirchlicher Entscheidung die Zukunft zeigen kann.” Es war die Überzeugung vieler, dass sie am Grabe einer Heiligen stehen.

Professor Johann Baptist Auer (1910–1989) würdigte Anna Schäffers Persönlichkeit folgendermassen: “Wegen der Grösse dieses menschlichen Lebens im Lichte christlicher Weltbetrachtung, wegen der Tiefe dieses sühnenden Leidens und der Höhe dieses menschlichen Ganzopfers, wegen des Ernstes der heroischen Hingabe und des Glanzes der Gnade, der in diesem Leben aufscheint, wegen der Unausschöpflichkeit dieses christlichen Lebens und der geistig-seelischen Gesundheit, die gerade durch und in diesem ganz von Jesusliebe bestimmten Menschenleben sich offenbart, möge die heilige Kirche dieser ihrer würdigen Tochter die Ehre der Altäre zuerkennen.”

Und Papst Benedikt XVI. deutete das Mysterium des Leidens, wie Anna Schäffer es vorlebte, mit folgenden Worten: „[…] natürlich müssen wir alles tun, um das Leiden zu mildern und zu lindern. Aber wer behauptet, mehr bräuchten wir nicht, der ist töricht. Denn genau so wichtig ist und bleibt es, das Leiden zu lernen und darin sich zu finden. Denn Leid und Menschsein sind untrennbar. […]. Wer nicht mehr leiden kann, kann auch nicht mitleiden. Und wer nicht mehr mitleiden kann, kann nicht mehr mitlieben. Eine Welt, in der man nicht mehr sinken kann im Leid, wird eine kalte und grausame Welt.” Mit Anna Schäffer und der Betrachtung ihres Lebens stellt sich uns die Frage nach dem Sinn, mehr noch nach dem Wert des Leidens.

Anna erfasste auf ihre Weise die Worte aus dem Brief an die Kolosser: “Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt” (Kol 1, 24). Angesichts der Schmerzen, die sie in tiefer Verbundenheit mit Christus ertrug, können wir nur bewundernd zu ihr aufblicken. Durch Christus und seine Gnade im eucharistischen Sakrament wurde sie fähig, das Geheimnis des Kreuzes liebend anzunehmen. Jeder Heilige ist wie ein geöffnetes Portal, durch das Gottes Licht in die Dunkelheiten unserer Welt seine Strahlen sendet. Anna Schäffer ist ein solches Portal für alle vom Leid Geprüften. Sie zeigt, dass sogar das Los einer unheilbaren Krankheit im Vertrauen auf Christus getragen werden kann, der selbst ein Mitleidender geworden ist, um uns in Schmerz und Tod den Trost seiner Nähe zu schenken, und jeden einlädt, durch sein persönliches Kreuz an seinem Heilswerk teilzunehmen.

“Jesus Christus – die Sonne meines Lebens”, dieses Wort gilt nicht nur für Anna Schäffer, es gilt auch für uns. Es ist Jesus Christus, der eucharistische Herr, der alle unsere Wege begleitet, der uns das Licht und die Wärme seiner Nähe schenkt, der unser Leben wachsen, reifen und schön sein lässt. Er macht es hell durch seine verborgene Gegenwart unter uns im Sakrament und er macht es froh, selbst und gerade dann, wenn wir im Schatten des Kreuzes gehen. In der Eucharistie ist er, Gottes Sohn, ganz unser Freund und Bruder geworden, der uns die grosse christliche Wahrheit erschliesst, die über dem von Krankheit, Not und Armut gezeichneten Leben Anna Schäffers steht: dass der Mensch auch im Leid von Gott geliebt ist.

Der Verfasser ist Leiter der Abteilung für Selig- und Heiligsprechungsprozesse beim Bischöflichen Konsistorium Regensburg.

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