Die Kirche war stets Raum der Wahrheit

Warum geniesst ein so kleines Land so viel Aufmerksamkeit beim Nachfolger Petri?

Würzburg/Zagreb, Die Tagespost, 03.06.2011

Papst Benedikt XVI. besucht am Wochenende Kroatien – Ein Gespräch mit Weihbischof Ivan Šaško von Zagreb. Von Stephan Baier
Kroatien erlebt an diesem Wochenende den vierten Papstbesuch seit 1991.

Warum geniesst ein so kleines Land so viel Aufmerksamkeit beim Nachfolger Petri?

Statistisch gesehen ist es bemerkenswert, dass dies bereits der vierte Papstbesuch in Kroatien seit dem zwanzigjährigen Bestehen der Unabhängigkeit Kroatiens ist. Dies freut uns und weckt Dankbarkeit. Tiefere Kenntnisse historischer und kultureller Umstände verdeutlichen, wie tief die gegenseitige Vertrautheit zwischen den Päpsten und den kroatischen Gläubigen ist. Sie reicht bis ins 7. Jahrhundert zurück, als erste Begegnungen mit den kroatischen Herrschern entstanden, und solche Begegnungen sind nicht sporadisch und zufällig geblieben, sondern entwickelten sich zu einer Regelmässigkeit, die mit ihren Früchten tiefe Verwurzelungen zeigen, welche in kulturellen Schichten bis heute ersichtlich sind.

 Die Antwort auf Ihre Frage liegt auch in der schmerzvollen Geschichte im Rahmen der kommunistischen Diktatur, auf die unmittelbar der Krieg auf dem kroatischen Boden folgte, verbunden mit Verlusten und Leiden der Menschen, was auf die serbische Besatzung Kroatiens zurückzuführen ist. Johannes Paul II. war eine wahre Hochburg in der Bekämpfung der Ungerechtigkeit und ein Förderer der Wahrheit. So war sein erster Besuch eine aussergewöhnliche Begegnung in den Kriegszuständen, als der Papst Sarajevo besuchen wollte, dies aber nicht möglich war. Der zweite Besuch war verbunden mit der Seligsprechung von Kardinal Alojzije Stepinac, aber auch mit dem Zeugnis des Martyriums auf kroatischen Boden von den Anfängen des Christentums bis zur Gegenwart. Im Jahre 2003 besuchte der Papst in seiner 100. Auslandsreise jene Diözesen, die er in den ersten Besuchen nicht sah: Rijeka, Dubrovnik, ?akovo, Zadar. Dieses Mal ist die Familie im Vordergrund unter dem Motto “Gemeinsam in Christus”. Benedikt XVI. kennt die Kirche in Kroatien sehr gut, er kennt unser Volk und seine Geschichte. Der Papst ist sich bewusst, wie wichtig sein Besuch für die kroatischen Gläubigen im europäischen Kontext ist, da wir versuchen, christliche Werte im politischen Prozess der Vereinigung Europas zu wahren. Er weiss, wie tief unsere Kultur im europäischen Erbe verankert ist, er weiss auch, dass Kroatien seit jeher zur europäischen Familie gehört, aus welcher es zur Zeit des Kommunismus ideologisch herausgerissen wurde.

In Kroatien gibt es noch starke volkskirchliche Strukturen. Ist dies derzeit im Wandel?

Von aussen betrachtet besteht eine Schicht, die eindeutig katholisch ist. Wurzeln sind ersichtlich, dennoch ist uns bewusst, dass es Leben braucht, also Zeitgemässheit der Werte, sodass diese Wurzeln ihre Kraft entfalten können. Was die Anzahl der Kirchenmitglieder, die Teilnahme an den liturgischen Feierlichkeiten, das Leben der Pfarrgemeinden betrifft, hat sich in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert. Als Kirche versuchen wir auf Basis der erneuerten Traditionen eine neue Lebendigkeit zu erwirken. Wir Kroaten haben in schweren Zeiten eine Stütze im Glauben und in der Kirche erkannt. Wir wissen, dass von verschiedenen Seiten und mit verschiedenartigen Motiven versucht wird, den Ruf der Kirche ins Wanken zu bringen. Der Einfluss der Kirche auf das politische und gesellschaftliche Leben durchläuft ein langes Erbe, welches seine Zeugen und Märtyrer hat. Dies kann kein Produkt irgendwelcher Kirchenpolitik sein, sondern demütiges Anerkennen des Geschenks des Opfers und des Engagements für Wahrheit, Werte und Menschen. Nur so bleibt die Kirche frei im Reden und Wirken.

Droht Kroatien in den nächsten Jahren eine verschärfte Säkularisierung?

Ich glaube, dass in diese Zeit der Begriff Post-Säkularisierung passt. Wir sind aber mit einigen neuen religiösen Phänomenen konfrontiert, einer post-modernistischen Fragmentierung dessen, was als “homo religiosus” bezeichnet wird. Wir in Kroatien wurden mit einem aggressiven Atheismus konfrontiert, der offiziell, politisch und institutionell war und als wissenschaftlich-praktischer Atheismus auftrat. Auf der Ebene des Lebens existierte eine unüberbrückbare Kluft, aus der sich eine Doppelmoral entwickelte. Ernsthafte Fragen über Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Religiosität erlebten im wirklichen Leben eine Demütigung. Der Spaltungsprozess des religiösen vom konkreten Leben kann eine kulturelle Form darstellen, die sich am stärksten im Konsumismus manifestiert. Die Neu-Evangelisierung muss sich dauerhaft die Frage der Verbindung der Frohen Botschaft mit dem konkreten Leben stellen.

Thematisch steht die Familie im Mittelpunkt dieses Papstbesuchs. Wie steht es um die Familien in Kroatien?

Was das demographische Bild betrifft, sind die Daten niederschmetternd. Der Krieg in den 90er Jahren hat erschwerte Lebensbedingungen geschaffen; es gab Tote und Vertriebene, womit negative Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Demographie entstanden. Der Schlüssel liegt in der Beziehung zum Leben, in den Werten, die eine Gemeinschaft und Gesellschaft verkörpert. Der Papstbesuch wird eine Feier des Geschenks des Lebens sein, aber es geht auch um die Bewusstseinsstärkung, um die Identität katholischer Familien – gegen den Trend, Familien mit mehreren Kindern eine Geringschätzung zu zeigen. Wir bemühen uns, die Pastoral so auszurichten, dass mehr Aufmerksamkeit der Familie mit all ihren komplexen Beziehungen geschenkt wird. Wir haben entschieden, dass jedes fünfte Kind in der Familie vom Bischof getauft wird. Damit wollen wir ein Zeichen setzen, dass die Familie der Kern der Kirche ist. Wir sind uns ganz im Klaren, dass demographische Schwierigkeiten bestehen und begrüssen jede Anstrengung in der Gesellschaft, die das Gute befürwortet, aber wir sind kritisch denjenigen gegenüber, die nicht vom Geheimnis des Lebens ausgehen, sondern ideologische Postulate haben, die weit entfernt sind von der Kultur des Lebens.

Äussern sich der Papst und die Bischöfe zum bevorstehenden EU-Beitritt Kroatiens?

Die kroatische Bischofskonferenz hat sich zum EU-Beitritt Kroatiens geäussert. Johannes Paul II. verstand, wie wichtig es ist, die europäische Ganzheit zu beobachten, die in jüngster Zeit gewalttätig vom Kommunismus zerstört wurde. Er wusste, wie tief Kroatien an Europa gebunden ist und dazugehört, und unterstützte unsere Sehnsucht, ein Teil der europäischen Familie zu werden. Die Zugehörigkeit Kroatiens zu Europa unbestreitbar. Benedikt XVI. hat seinen Wunsch geäussert, dass Kroatien ein Teil der Europäischen Union wird und betonte, welche Werte in diesem Beitrittsprozess verfolgt werden sollen. Zu den wichtigsten zählt die Wahrheit des Menschen, sein Recht auf Leben und die Anerkennung der geistlichen Dimension des Menschen, die Glaubensfreiheit und die Normen der Naturgesetze, die eigene Geschichte und Kultur. Als Bischöfe äussern wir uns nie direkt zu politischen Fragen, sondern geben Richtlinien. Die Kirche in Kroatien war auch zur Zeit des Kommunismus ein Raum Europas, der Kultur und des Geistes, der Wahrheit und Demokratie. Damit hat sie zur Freiheit Kroatiens beigetragen und gegen ein ungerechtes Regime gekämpft. Wenn wir vom politischen Europa reden, sollte man sich erinnern, dass Kroatien nach Erlangung der Unabhängigkeit erwartete, dass Europa den Angriff auf unser Volk nicht zulassen werde. Die Kirche setzt sich für die Wahrheit ein, und diese Wahrheit soll auch die kommunistische Zeit erfassen, da einige Schwierigkeiten nicht auf die neuere Geschichte zurückzuführen sind, sondern aus viel älteren Zeitabschnitten stammen, wo die Wahrheit verleugnet wurde.

Während des Kriegs schien die Einheit der Kroaten viel stärker. Worin sehen Sie die gesellschaftlichen Herausforderungen heute?

Es stimmt, dass Einheit und Solidarität in den Kriegsjahren in der kroatischen Gesellschaft starke Werte waren. Es ist unglaublich, auf welche Art und Weise Kroatien diese menschliche Tragödie überlebt hat. Wir sind stolz, dass wir als Gläubige, aber auch als Kirche in jenen schweren Zeiten taten, was wir konnten. Wir haben uns nichts vorzuwerfen! Heute, sei es absichtlich oder nicht, schwindet die Erinnerung an diese Zeit. Das stellt eine neue Herausforderung dar. Wir haben im Motto des Papstbesuchs das Miteinander bekräftigt, weil wir fühlen, dass dieses Miteinander ins Wanken geraten ist, aber der Grund der Gemeinsamkeit muss für uns Gläubige immer Christus sein. Wenn man das ausser Acht lässt, wenn an der Basis gerüttelt wird, kann man leicht Beute verschiedener Manipulationen werden. Papst Benedikt XVI. ist ein Hirte, der die Schwierigkeiten der modernen Gesellschaft und der Kirche in ihr erkennt, ein Prophet in der zeitgenössischen Kultur Europas. Wenn der Mensch keine Beachtung findet, kommt es zu Abweichungen von der Moral. Die heutige Wirtschaftskrise zeigt, dass die moralische Krise ihren Tiefpunkt erreicht hat. Wir haben es mit einer anthropologischen Krise zu tun.

Übersetzung aus dem Kroatischen

von Mijo Drlja

Pastoralbesuch in Kroatien
Kroatien zweifelt an Europa
Kardinal-Stepinac

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