Im Oktober 1998 spricht der Papst Alojzije Stepinac selig

“Ich wäre nichtswürdig, fühlte ich nicht mit den Kroaten”

Zagreb, 11.07.1998 weltonline

Als Jugoslawien Anfang der vierziger Jahre in den Partisanenkrieg zwischen Kommunisten und faschistischer Ustascha verstrickt war, wurde Alojzije Stepinac zum Leitbild der Kroaten – seitdem gilt er als Nationalheiliger. Nun wurde der Kardinal als Märtyrer anerkannt; im Oktober spricht der Papst ihn im Wallfahrtsort Marija Bistrica nahe Zagreb selig. Die Serben allerdings attackieren Stepinac weiter: Erst in dieser Woche bezichtigte ihn die Zeitung “Politika” der “Mitwisserschaft an Menschenrechtsverbrechen”. Von Carl Gustaf Ströhm

Sein Grab im Zagreber Dom wurde schon unter kommunistischer Herrschaft zur Wallfahrtsstätte. Schon damals knieten dort unzählige Menschen, brannten Kerzen, war die Totenmaske stets von frischen Blumen umrahmt.

Das Martyrium des als Bauernsohn geborenen Kardinals Stepinac ist den Kroaten bis heute allgegenwärtig. In einem Schauprozess, der offensichtlich von stalinistischen Vorbildern inspiriert war, liess Marschall Tito, der kommunistische Diktator Jugoslawiens, Alojzije Stepinac 1946 zu langjähriger Haft verurteilen. Begründung: Der Geistliche habe das kommunistische Jugoslawien verraten, mit den “Faschisten” und “Okkupanten” kollaboriert und den kroatischen “Separatismus” gefördert. Stepinac sollte als Kriegsverbrecher gebrandmarkt werden – und mit ihm die ganze katholische Kirche. 1952, im Zeichen einer gewissen Annäherung des damals von den Sowjets bedrohten Tito-Jugoslawien, wurde Stepinac nach achtjähriger Gefängnishaft unter Polizeiaufsicht ins Pfarrhaus seines Geburtsortes Krasic “verbannt”. Dort lebte er unter Hausarrest, ausgestattet nur mit dem Notwendigsten. Die Miliz wachte darüber, dass ihn ausser den Dorfbewohnern kaum jemand besuchen konnte. Am 10. Februar 1960 starb Alojzije Stepinac. Die von kommunistischer, zum Teil auch grossserbischer Seite in die Welt gesetzte Behauptung, er habe die Politik des mit Hitler verbündeten Ustascha-Staates gebilligt und sich sogar aktiv an ihr beteiligt, hält der historischen Nachprüfung nicht stand. Bereits vor dem Zerfall des monarchistischen Jugoslawien half der Zagreber Erzbischof Tausenden von politischen Flüchtlingen, darunter zahlreichen polnischen Offizieren, die sich vor den Deutschen in Sicherheit gebracht hatten. Als der von Belgrad regierte jugoslawische Staat nach der deutschen und italienischen Invasion 1941 zerfiel, begrüsste Stepinac die Rückgewinnung kroatischer Unabhängigkeit – obwohl er sich über Hitler und den aus dem italienischen Exil heimkehrenden Ustascha-Führer Ante Pavelic keine Illusionen machte. Einem kroatischen Gesprächspartner vertraute er sich im Sommer 1942 mit den Worten an: “Ich befinde mich in einem Meer schrecklichster Leiden, denen Millionen menschlicher Wesen um mich ausgesetzt sind. Ich helfe und bestärke alle jene, denen ich helfen kann, seien es Serben, Juden, Slowenen oder Kroaten.” Persönlich hatte der Erzbischof in kirchlichen Institutionen und Klöstern zahlreiche Regimegegner und Gefährdete verborgen. Stepinac damals: “Jetzt hängt direkt von mir allein das Schicksal von 7000 Menschen ab, die meisten davon sind serbische Kinder ohne Eltern. Wenn ich von der hohen Position, auf der ich mich jetzt befinde, zurücktreten sollte, wäre das Schicksal dieser Geschöpfe Gottes besiegelt.” Es war der Frühsommer 1942, und Hitler siegte an allen Fronten, als Stepinac sagte: “Nichts fiele mir leichter, als die Machthaber in Kroatien und die Besatzungsmächte Deutschland und Italien auf das schärfste zu verurteilen. Ich habe keine Angst, mein Leben zu verlieren. Aber dann würden sie (Hitler und Pavelic; d. Red.) beim Vatikan Protest einlegen und der Heilige Stuhl wäre gezwungen, mich in ein Kloster zu schicken. Darf ich und kann ich 7000 Geschöpfe Gottes dem schrecklichen Schicksal überlassen, nur damit meine Stimme in der Welt gehört wird?” Stepinacs Predigten in der Zagreber Kathedrale, vor Hunderten und Tausenden von Gläubigen und in aller Öffentlichkeit zeichneten sich durch ungewöhnlichen Mut aus. So proklamierte er zu Pfingsten 1943, angesichts des um sich greifenden nationalsozialistischen Rassenwahns, “dass alle Menschen Kinder Gottes sind”. Wörtlich predigte der Erzbischof: “Es ist wahr, dass es auf Erden eine Vielfalt von Sprachen und Völkern gibt. Aber kein Mensch, der bei Verstande ist, kann leugnen, dass das Menschengeschlecht ein einziges, einheitliches Ganzes darstellt. Alle Menschen ohne Unterschied, mögen sie am Nordpol oder am Südpol leben, mögen sie weisser oder schwarzer Hautfarbe sein, mögen sie Arier oder Nichtarier sein, mögen sie Hochschulbildung haben oder als Analphabeten leben, sind gleichermassen beschaffen: Sie haben alle einen Körper und eine unsterbliche Seele. Nach den Worten des Apostels Paulus ist das Menschengeschlecht eine grosse Familie.” Schon anlässlich des Christkönigsfestes am 25. November des Jahres 1942 hatte der Erzbischof von der Kanzel in Zagreb gewettert: “Was aber sind vor Gott die Rassen oder Völker auf der Erde? Das erste, was wir behaupten, ist, dass alle Völker ohne Ausnahme vor Gott ein Nichts sind. Das zweite, was wir behaupten, ist, dass alle Völker und Rassen von Gott kommen. Es gibt in der Tat eine Rasse – aber das ist die Rasse Gottes. Ihre Geburtsurkunde findet sich in der Schöpfungsgeschichte. Und das dritte, was wir behaupten, ist: Jedes Volk und jede Rasse haben das Recht auf menschenwürdiges Leben. Alle haben dieses Recht ohne Unterschied, ob sie der Zigeunerrasse angeboren, ob sie Schwarze oder angesehene Europäer sind, ob es sich um verhasste Juden oder stolze Arier handelt. Wenn Gott ihnen dieses Recht gegeben hat, welche irdische Macht kann ihnen das absprechen?” Am Ende der Predigt sprach Stepinac einen Schlüsselsatz aus, der für das Verständnis seiner Person und seines Lebenswerks entscheidend ist: “Deshalb hat die katholische Kirche immer verurteilt – und verurteilt auch heute noch – jegliche Ungerechtigkeit und Gewalt, die im Namen von klassenkämpferischen, rassischen oder nationalen Theorien verübt wird.” Es könne nicht zulässig sein, die Intelligenz von der Erdoberfläche zu vertilgen, nur weil dies vielleicht der Arbeiterklasse nützlich sein könnte, wie das der Bolschewismus gelehrt und praktiziert habe: “Es ist nicht zulässig, die Zigeuner oder Juden auszurotten, weil man sie für eine minderwertige Rasse hält.” Weder der kroatische Diktator Pavelic noch die politischen Instanzen Deutschlands trauten sich, etwas gegen Stepinac zu unternehmen. Auch die Kommunisten, die im Mai 1945 – am 7. Mai, einen Tag vor Kriegsende – mit Titos Partisanenarmee in Zagreb einzogen, nahmen den Antikommunisten Stepinac zwar vorübergehend fest, liessen ihn dann aber zunächst wieder frei. Im September 1945 kam es sogar zu einer Begegnung zwischen Tito und dem katholischen Erzbischof. Als Tito den Oberhirten aufforderte, am “Aufbau des Sozialismus” teilzunehmen, hielt ihm dieser furchtlos entgegen, die Kommunisten sollten zunächst mit Verfolgungen, massenhaften Verhaftungen und Morden aufhören – und sie sollten dem kroatischen Volk mehr Freiheit geben. Das Angebot der Kommunisten, eine “kroatische Nationalkirche” losgelöst von Rom und dem Vatikan zu gründen, lehnte Stepinac ab. Damit war sein Schicksal besiegelt: Er wurde vor ein “Volksgericht” gestellt und stellte dort fest: “Die Volksbefreiungsbewegung hat 260 Geistliche ermordet.” Vor dem Gericht, dessen Ankläger heute als alter Mann in Zagreb lebt und seine Rente bezieht, bekannte sich der Angeklagte Stepinac auch zur kroatischen Staatsidee, und zwar ebenso unerschrocken wie er vorher gegen Rassismus und nationalsozialistische Massenvernichtung aufgetreten war. “Das kroatische Volk hat sich plebiszitär für den kroatischen Staat ausgesprochen”, sagte er, “und ich wäre nichtswürdig, wenn ich nicht mit dem kroatischen Volk fühlen würde, das im ehemaligen Jugoslawien ein Sklave war. Was ich über das Recht des kroatischen Volkes auf Freiheit und Unabhängigkeit gesagt habe, stimmt durchweg mit den Grundprinzipien der Alliierten und der Atlantik-Charta überein.” Alojzije Stepinac, so sieht es Milovan Djilas, der viel später von Tito abgefallene, ehemalige Chefideologe und Partisanenführer, war “ein integraler Mensch, ein fester Charakter, den niemand zerbrechen konnte”. Ein anderer hoher KP-Funktionär meinte seinerzeit bedauernd: “Wenn Stepinac nur in einer Sache nachgegeben hätte, wäre er heute frei. Sein kroatischer Nationalismus hätte uns nicht gestört. Wenn er die von Rom unabhängige kroatische Kirche proklamiert hätte, hätten wir ihn in den Himmel gehoben.” Laut einem Bericht der katholischen Zeitung “Glas Koncila” von 1996 ergab eine Autopsie der sterblichen Überreste durch die kroatischen Behörden im Jahr 1993, daß Alojzije Stepinacs Leichnam ohne Herz beigesetzt worden war. Daraus schlossen kroatische Kirchenkreise, dass der Kardinal vergiftet wurde und die Behörden anschliessend die Spuren vernichten wollten. Diese These vertrat auch der Postulator im Seligsprechungsprozess.

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