Kreuz-Streit zur Europawahl

Muss man Martin Schulz am Ende sogar dankbar sein?

Markus RederDie Tagespost, 19. Mai 2014, von Markus Reder

Muss man Martin Schulz am Ende sogar dankbar sein? Mit seiner Forderung, religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, hat der Spitzenkandidat der Sozialisten auf der Zielgeraden des Europawahlkampfs für Empörung unter Christen und in der Union gesorgt. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichnete Schulz am Montag als “Gefahr für die religiöse Toleranz” und warf ihm vor, christliche Symbole zu stigmatisieren. Sein CDU-Kollege Peter Tauber kritisierte Schulz ebenfalls heftig und betonte: “Das Christentum ist nie eine konservative, sondern immer eine fortschrittliche Bewegung gewesen.”

Vielleicht ist Martin Schulz selbst ein wenig überrascht über den Sturm der Entrüstung, den er mit seiner Bemerkung beim TV-Duell der Spitzenkandidaten zur Europawahl (DT vom 17. Mai) ausgelöst hat. Denn das, was Schulz da vortrug, ist im Grunde weder neu, noch sonderlich überraschend. Zumindest nicht für jene, die den SPD-Europapolitiker schon länger kennen. Genau so ticken Schulz und seine ideologischen Weggefährten. Und das nicht erst seit Neuestem.

Es geht in Europa eben nicht nur um die Frage, wie krumm Gurken sein dürfen, wer über die Glühbirne im Wohnzimmer bestimmt, und ab wann die Brüsseler Bürokratie ein Europa der Bürger frisst. Es geht auch nicht nur um Bankenrettung und Lehren aus der Schulden- und Finanzkrise. Das sind sicher wichtige Themen, die noch auf Jahre die politische Agenda mitbestimmen. Europa ist auch nicht nur das grösste und beste Friedensprojekt, ein Kontinent der Freiheit, geboren aus der Asche von Krieg, Gewaltherrschaft und Terror. Europa ist – zumindest war das die Vision der Gründerväter – eine Wertegemeinschaft, gegründet auf dem Fundament seines christlichen Erbes. Eben dieses Erbe wird heute im Namen einer totalitären Toleranz und eines diktatorischen Relativismus bekämpft.

Der tiefe Konflikt, der die europäische Politik durchzieht und letztlich alle Politikfelder, ganz gleich ob Sozial-, Bio- oder Familienpolitik, betrifft, ist die Auseinandersetzung um das Welt- und Menschenbild, das der Politik zugrunde liegt. Heute tobt mitten in Europa eine geistige Auseinandersetzung, ein Kampf um den Menschen und um das kulturelle Erbe Europas.

Der Kreuz-Streit, den Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, heraufbeschworen hat, ist in besonderer Weise ein Symbol für diese Auseinandersetzung. Es liegt an den Wählern, Europa nicht aggressiven Laizisten oder Populisten von Links wie von Rechts zu überlassen, sondern solche Abgeordnete ins Parlament zu schicken, die sich der geistig-kulturellen Identität Europas bewusst sind und mit ihren Entscheidungen dafür Sorge tragen, dass Europa weder zur bürokratischen Bestie noch zum werteverschlingenden Moloch wird.

Man muss Martin Schulz für seine unsägliche Forderung, mit der er die Axt an die Wurzeln des Baums Europa legt, gewiss nicht dankbar sein. Dass damit in diesem Europawahlkampf überdeutlich wurde, wo die tieferen Konfliktlinien verlaufen, kann allerdings nur hilfreich sein. Christen verteidigen das Kreuz als Symbol ihres Glaubens, weil ihnen Menschenwürde, Freiheit und tatsächliche Toleranz in Europa heilig sind. Sie haben auch ein Kreuz zu machen. Am nächsten Sonntag in der Wahlkabine.

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