Weder Thunberg noch Musk

J.D. Vance ist nicht der Arzt für das kranke Europa. Er will nur eine 5. Kolonne des Trumpismus in Bewegung setzen

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16.02.2025

Sebastian Sasse

Europa ist krank. Und natürlich sehnt sich ein Patient nach einem Arzt. J.D. Vance hat bei seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz den Europäern eine in Teilen richtige Diagnose gestellt. Natürlich gibt es Gefährdungen der Meinungsfreiheit, und in der Tat ist es skandalös, wie in Großbritannien friedliche Beter vor Abtreibungskliniken kriminalisiert werden. Nur das Rezept, das der amerikanische Vizepräsident seinen Zuhörern präsentierte, verspricht nichts weniger als Heilung.

Denn Vance ist nicht von der Sorge um Europa umgetrieben, er will strategische Beute machen. Er will eine 5. Kolonne des Trumpismus in Bewegung setzen, um auch auf dem europäischen Schlachtfeld jenen imperialen Kampf zu führen, den die neue US- Administration gewinnen will. Ja, es geht um ein Imperium. Allerdings setzt sich dieses Reich nicht mehr aus geopolitischen Einflusszonen zusammen, es geht um die Vorherrschaft im Reich der Weltöffentlichkeit.

Vance zitiert Johannes Paul II. – der wusste aber um die weltpolitische Bedeutung Europas

Nicht umsonst hat sich Trump die Tech-Milliardäre als Feldherren an seine Seite geholt, mit Elon Musk als Generalfeldmarschall an der Spitze. Dieser Krieg, in dem entschieden werden soll, wer die Deutungshoheit über die globale öffentliche Meinung hat, wird nicht nur von den USA geführt, auch Russland, vor allem aber China konkurrieren um den Sieg. Nur Europa spielt keine Rolle, ja ist zum Schlachtfeld geworden. Und da kann Vance natürlich Guerilla-Truppen gebrauchen. Dass sich selbsternannte Patrioten, dazu zählt nicht nur die AfD, bereitwillig in diesem Sinne kolonisieren lassen, lässt an deren Vaterlandsliebe zweifeln – oder aber an deren intellektuellen Fähigkeiten.

Katholiken sollten sich nicht täuschen lassen: Nur weil der Vizepräsident einmal kurz Johannes Paul II. erwähnt, heißt das nicht, dass dessen Agenda auch nur ansatzweise etwas mit den politischen Zielen von Vance zu tun hätte. Johannes Paul II. warnte völlig zurecht vor der Entartung Europas zur “Kultur des Todes”. Er wusste aber um die weltpolitische Bedeutung des echten Europas, er verpflichtete den Kontinent auf seinen abendländischen Auftrag. Der große Papst wollte Europa tatsächlich heilen. Sollte dieser Kontinent einmal zum Spielball jener materialistisch-libertären Weltanschauung werden, die jetzt zum ideologischen Motor des Trumpismus avanciert ist, sein Albtraum würde wahr.

Natürlich leidet Europa unter den Auswüchsen des Wokismus. Aber nur weil jemand die Wunde kennt und sie benennt, ist er noch kein Arzt. Vance instrumentalisiert vielmehr diese Leiden für seine Strategie. Die Leitideologie ist dabei ein Spiegelbild des wokistischen Feindes. Ein Schlüsselsatz von Vance lautete: “Wenn die amerikanische Demokratie zehn Jahre Greta Thunbergs Beschuldigungen überlebt hat, dann bin ich mir ganz sicher, dass ihr ein paar Monate Elon Musk überleben könnt.”

Erlösungsphantasien mit ersatzreligiösem Charakter

Was witzig klingen soll, ist in Wirklichkeit eine Selbstoffenbarung. Greta Thunberg ist ohne Zweifel eine Ikone des Wokismus, indem Vance ihr Elon Musk gegenüberstellt, wird klar, welche Bedeutung er “Mr. X” für das eigene ideologische Lager zuschreibt. Musk ist eben die Ikone des Trumpismus. Wokismus und Trumpismus weisen mit ihren – freilich entgegengesetzten – Erlösungsphantasien einen ersatzreligiösen Charakter auf. Woker Kulturmarxismus und Sozialdarwinismus im Sinne von Musk sind zwei Seiten einer Medaille, auf die nur ein Wort eingeprägt ist: Moderne.

Wer naturrechtlich denkt, kann sich bei Vances Grundgedanken nur grausen. Die Tyrannei der Mehrheit, die er beschwört, erinnert an die Französische Revolution und Rousseau. Dann kommt der Institutionenhass dazu. Wie kann man auf die Idee kommen, dass die vom disruptiven Furor erfasste Trump-Administration konservativ sein könnte? Von dem mangelnden Respekt vor dem Rechtsstaat – siehe Kapitol-Sturm – ganz zu schweigen.

Trotzdem: Europa ist in Gefahr und braucht Verbündete. Und angesichts von China und Russland ist auch eine meinungsimperialistische USA das kleinere Übel. Die Deutschen müssen verstehen, warum die Trumpisten denken, wie sie denken. Sie müssen nicht für sie schwärmen, sondern ihre Strategien durchschauen. Dabei muss gelten: Weder Thunberg noch Musk, Europa muss Europa sein. Und die vielen Christen, die jetzt über Vance jubeln, sollten bedenken: Was ärgern sie sich nicht, auch ganz zurecht, über den links-grün geprägten Funktionärsapparat der Kirchen. Erkennen Sie die Parallelen nicht?

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