“Die Seele ist etwas, das KI nicht kennt”

Warum Seelsorger mit Künstlicher Intelligenz nicht weiterkommen: Ein Gespräch mit dem Moraltheologen Peter Schallenberg

Quelle
Künstliche Intelligenz: Die herzlose Technik | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Neue KI-gestützte Studie der KHKT: Kirche muss sich stärker auf gelebte Tugenden konzentrieren (catholicnewsagency.com)

03.10.2024

Esther von Krosigk

Herr Professor Schallenberg, Chatbots und Roboter simulieren Jesus, Buddha, Mohammed sowie etliche biblische Figuren. Sie werden weltweit von Abermillionen Menschen genutzt – und vielfach von solchen, die über wenig Glaubenswissen verfügen und wenig differenzieren können. Es hat den Anschein, als sollte via KI-Technik ein neuer Zugang zu Gott geschaffen werden. Was halten Sie davon?

Wenn ich das höre, halte ich das, gelinde gesagt, für “spooky”, ja, für Schwachsinn. Uns wird als Christen, als Katholiken gelehrt, dass Gott mit uns durch unsere unsterbliche Seele, durch die Schöpfungsgnade und weiterhin durch die sakramentale Gnade, durch die Taufe und die anderen Sakramente in Verbindung tritt. Und dadurch sind wir in der Lage, auf ihn zu antworten. Befähigt durch die Sakramente und durch das Gebet kommen wir mit ihm in Kontakt. Das ist meine Antwort auf die Frage, auf welche Weise man sich an Gott wenden kann. Künstliche Intelligenz ist limitiert und kann immer nur ein Hilfsmittel der strikt instrumentellen Art sein: Um beispielsweise Gebete zu memorieren oder Gebete abzurufen oder um sie sich vorsprechen zu lassen. Ich kann mir auch Laudes oder Vesper vorspielen lassen, aber das ist nur eine instrumentelle Hilfe oder Assistenz. Jedoch kein Ersatz für das, was ich in meiner Seele spüre. Und wo Gott auf mich wirkt.

Ein großes Problem ist aber doch die Technikgläubigkeit der heutigen Menschen. Sie werden der Maschine vor sich und deren ad hoc ausgespuckten “Weisheiten” eher vertrauen als dem unsichtbaren Gott…

Möglich, aber dann sollte man zunächst klarstellen, wer die Maschine programmiert und mit Inhalten gefüttert hat. Nehmen Sie einmal als Beispiel, was es heißt, von Gott getröstet zu werden. Es bedeutet nicht, dass ich nur irgendwelche Trostworte höre, sondern dass ich in ihm jemanden habe, der mir voraus ist, der mich besser kennt, als ich mich selbst kenne, der weiß, wohin ich unterwegs bin. Das ist vergleichbar mit einer Mutter, die ihr Kind tröstet. Als Mutter sieht sie weit mehr als das Kind und sagt nicht einfach “wie schrecklich” zu dem, was geschehen ist. Das allein ist ja noch kein Trost. Wirklich zu trösten meint: Sich aus einer größeren Perspektive zu vergewissern, dass das, was du im Augenblick mitmachst und erleidest, einen Sinn hat, den ich entweder sehe, kenne oder ahne. Trost kommt aus einer mir vorgeordneten Perspektive. Sonst ist es nur das gemeinsame Klagen über Schreckliches. 

“Trost kommt aus einer mir vorgeordneten Perspektive. Sonst ist es nur das gemeinsame Klagen über Schreckliches”

Für viele scheint es faszinierend zu sein, in dem maschinellen Gott einen “Berater” oder “Coach” fürs Leben zu haben, denn er hat auch auf aktuelle Fragen eine Antwort parat. Wird so der Glaube der Zukunft aussehen?

Früher hat man Stühle und Tische gerückt und bei Voll- oder Neumond irgendwelche Riten vollzogen. Die Ränder des pseudoreligiösen Spektrums sind breit. Ein solches Tun gab es immer schon, nur dass sich heutzutage vieles in den Bereich der Technik verlagert. Aber ich würde nicht sagen, dass es eine neue Gefährdung ist. Als Christen sind wir der Überzeugung, dass Gott unserem Bemühen zuvorkommt. Dass er den Anfang setzt, und darüber werden wir belehrt durch die Kirche. In diesem Rahmen bewegen wir uns und alles andere sind selbst gemachte Gottheiten. Die KI kann ich zum Gott erklären, aber letzten Endes bin wieder ich es, der mir begegnet und nicht Gott.

Aber ist es vorstellbar, dass Menschen bei einem rund um die Uhr verfügbaren KI-Jesus nicht mehr zur heiligen Messe gehen? Immer wieder hört man das Argument: “Ich brauche die Kirche nicht, um zu glauben” – und jetzt gibt es auch noch einen Jesus, den man per Smartphone überall empfangen kann.

Ich würde es etwas anders ausdrücken und sagen: Diese Maschinen erweitern das, was in der heiligen Messe nach dem Vaterunser kommt: “…und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde.” Vor der Sünde kommt das große Feld der Verwirrung. Das wird sicher durch diese Art von Technik noch vergrößert und ausgebreitet.

Nur beten die User dieser Technik das Vaterunser in der Kirche nicht mehr mit – Die sind teilweise technikhörig und benutzen die KI völlig blauäugig.

Kürzlich las ich im Alten Testament nochmal im Buch Levitikus von der ausdrücklichen Warnung vor Zauberern und Hexen. Da gibt es die Geschichte von Saul, der verbotenerweise zu der Hexe von Endor geht. Das Phänomen, dass sich Leute so haarscharf, aber eben doch zielgerecht an Gott vorbeischießen in irgendeine menschlich-technische Wirklichkeit, welche man dann für Gott erklärt – das gab es bereits vor 3.000 Jahren.
Gegen so etwas muss man angehen und davor muss gewarnt werden. Und es sollte stets wiederholt werden: Was bedeutet es aus Sicht des Christentums, mit Gott in Kontakt zu kommen, zu beten, was bedeutet es, Trost und Vergebung von Gott zu bekommen?

Wie kann man davor warnen? Vom Luzerner KI-Experiment “Deus in machina” weiß der zuständige Bischof angeblich nichts.

Wahrscheinlich geht es nicht anders als durch aufklärende Artikel in den Medien.

Wo ist die Nutzung von KI im theologischen Kontext sinnvoll und wo sollte sie aufhören? Wäre ein KI-Jesus als spiritueller Co-Seelsorger nicht doch eine Bereicherung?

Nur sehr, sehr begrenzt. Und wenn, dann nur als rein instrumentelle Hilfe oder Assistenz. Die Predigt soll ja eine authentische Auslegung sein mit einem Glaubenszeugnis verbunden. Der eigentliche Sinn der Predigt ist nicht das Vorlesen künstlich erzeugter Texte, sondern die Mitteilung eigenen Nachdenkens und kirchlicher Lehre! Im Bereich der Seelsorge – so würde ich ganz zugespitzt antworten – ist mit KI so gut wie nichts anzufangen. Die Seele ist etwas, das KI nicht kennt und nicht nachempfinden kann. Im Bereich von KI-unterstützter Beichte sieht man sehr schnell, wo die Grenzen von Künstlicher Intelligenz und der ganzen Technik sind. Die Anwesenheit eines Menschen ist, glaube ich, gar nicht zu ersetzen. Im Bereich der Seelsorge halte ich KI für sehr entbehrlich.

“Der eigentliche Sinn der Predigt ist nicht das Vorlesen künstlich erzeugter Texte, sondern die Mitteilung eigenen Nachdenkens und kirchlicher Lehre!”

Bietet die KI im Bereich Religion bislang ungläubigen Menschen, die solche Chatbots aus Neugierde ausprobieren, nicht doch die Möglichkeit, einen Zugang zur Bibel zu finden und ihr Interesse für den Glauben zu beleben?

Ja, das würde ich nicht ausschließen. Menschen können dadurch auf die Idee kommen, sich näher mit der Bibel und den Geboten der Kirche zu befassen. Aber von der Person des lebendigen Gottes, von der Person Jesu Christi, fasziniert zu sein durch KI, das ist ähnlich wie in einer KI-basierten Partnerbörse nach dem einen Menschen zu suchen, in den man sich verlieben kann.

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