Schicksalstage für den Libanon
Das Land der Zedern ist der Hauptverlierer der Eskalation in Nahost, schreibt der Projektkoordinator des Hilfswerks “Initiative Christlicher Orient”, Stefan Maier, in einem Gastbeitrag
Quelle
Wer ist die Initiative Christlicher Orient? – ICO – Initiative Christlicher Orient (christlicher-orient.at)
26.09.2024
Stefan Maier
Bereits seit geraumer Zeit, insbesondere seit dem schrecklichen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des Vorjahres, ist die Lage im israelisch-libanesischen Grenzgebiet prekär und geprägt von fast täglichem gegenseitigen Beschuss und Scharmützeln zwischen der israelischen Armee und der schiitischen Hisbollah im Libanon. Zehntausende Menschen auf beiden Seiten der Grenze waren deshalb bereits zur Flucht ins Landesinnere gezwungen worden und ganze Landstriche sind inzwischen fast menschenleer.
In den vergangenen Tagen ist die Lage jedoch nach einer ganz offensichtlich dem israelischen Geheimdienst zuzurechnenden Geheimoperation, in deren Rahmen die internen Kommunikationsmittel der Hisbollah als Waffen gegen die eigenen Benutzer eingesetzt wurden, und gezielten Tötungen hochrangiger Hisbollah-Kommandeure mitten in der Hauptstadt Beirut dramatisch eskaliert.
Mit Vergeltung der Hisbollah ist zu rechnen
Nach nahöstlicher Logik ist nun früher und später mit entsprechender Vergeltung durch die Hisbollah zu rechnen, falls die Israelis nicht schon vorher selbst in den Süden des Libanon eindringen, um die aktuelle Schwächephase des Gegners zu ihren Gunsten auszunützen und die Hisbollah auf deren eigenem Territorium zu bekämpfen. Da die Hisbollah militärisch ungleich stärker als die Hamas ist, ist nicht klar, ob es bei einem solchen Waffengang einen eindeutigen Sieger geben würde.
Der Hauptverlierer steht aber auf jeden Fall bereits fest: der bereits am Boden liegende Libanon, der schon seit 2019 die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte und eine veritable Bankenkrise durchlebt, ist auf dem besten Weg, ein “failed state”, ein gescheiterter Staat zu werden. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, es gibt eine galoppierende Inflation und hohe Arbeitslosigkeit. Ein neuerlicher ausgewachsener Krieg wäre wohl der letzte Sargnagel für die einstige “Schweiz des Orients”, die auch immer noch hunderttausende Flüchtlinge beherbergt, was unabsehbare negative regionale Konsequenzen hätte.
Der Autor ist Projektkoordinator des Hilfswerks „Initiative Christlicher Orient“ (ICO).
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.
Themen & Autoren
Schreibe einen Kommentar