Die Folgen des Zweiten Weltkrieges

Die Ausstellung “1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang” zeigt aus der Sicht von zwölf europäischen Ländern die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen

Deutsches Historisches Museum

Von José Garcia

Die Tagespost, 27. April 2015

Des 70. Jahrestags des Kriegsendes in Europa wird zurzeit auf unterschiedliche Weise gedacht. Die gerade im Deutschen Historischen Museum eröffnete Ausstellung “1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg”, die bis zum 25. Oktober in Berlin zu sehen ist, verfolgt einen in ihrem Titel zum Ausdruck gebrachten besonderen Ansatz, die “Multiperspektivität“. Will heissen: Die Ausstellung fragt nach den Umbrüchen, nach der Wende, die das Kriegsende nicht für ein Land, sondern für eine Vielzahl Länder mit sich brachte. Erstmals zeige eine Ausstellung die vergleichende Perspektive, den europäischen Blick auf das Kriegsende, so der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum Alexander Koch beim Mediengespräch anlässlich der Ausstellungseröffnung.

Auf die ebenfalls im Ausstellungstitel enthaltenen unterschiedlichen Empfindungen nach der deutschen Kapitulation ging Maja Peers, Projektleiterin und Kuratorin der Ausstellung, ein: Für das deutsche Reich habe der 8. Mai 1945 die militärische Niederlage, den Zusammenbruch bedeutet. Für viele Deutsche – aber nicht nur für sie – sei das Kriegsende gleichbedeutend mit einem Scheitern gewesen, für die meisten Menschen in Europa aber eine Befreiung: Befreiung von einer unerbittlichen Besatzung, Befreiung aus Lagern, Befreiung von Unterdrückung und Angst. Wie sich der “Neuanfang“ – der keineswegs als “Stunde Null“ zu sehen sei – in dem Alltag der Menschen niederschlug, zeige “1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang“ anhand von Momentaufnahmen in Deutschland und elf weiteren europäischen Ländern: in den betroffenen Nachbarländern Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Niederlande, Luxemburg, Belgien und Frankreich, aber auch in Grossbritannien und der Sowjetunion als Siegermächte. Die Auswahl wird ergänzt durch Norwegen als Beispiel für die Überwindung der während des Krieges entstandenen Gegensätze zwischen Widerstand und Kollaboration. Dass etwa Italien und Griechenland oder auch Bulgarien, Jugoslawien oder Rumänien nicht berücksichtigt wurden, sei auf den beschränkten Platz (1 100 Quadratmeter) zurückzuführen, ergänzte Projektleiterin Maja Peers.

Neben den mehr aus 500 Exponaten von 155 Leihgebern aus 14 Ländern (aus der ehemaligen Sowjetunion: Russland, Litauen und Weissrussland) stehen im Mittelpunkt von “1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang“ die Biografien von drei Personen je Land, die zu den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der unmittelbaren Nachkriegszeit die Auswirkungen des grossen Leids, aber auch des persönlichen Handelns auf die Menschen verdeutlichen sollen. Mit-Kuratorin Babette Quinkert erläuterte im Mediengespräch, dass diese 36 Biografien ein breites Spektrum an Empfindungen – vom Jubel bis zur Erschöpfung und Trauer – verdeutlichen sollen. Diese sehr unterschiedlichen Menschen – jung und alt, Männer und Frauen, Bekannte (wie etwa der Sportler Emil Zatopek) und Unbekannte, Täter und Opfer – zeigen laut Quinkert die Herausforderungen, vor die sich die Menschen angesichts von Kriegstraumata, Verlusten, Unterdrückung, Leid, innerer Zerrissenheit und auch Täter- beziehungsweise Mittäterschaft gestellt sahen in einem Zeitraum, der sich von der Befreiung des jeweiligen Landes 1944–1945 bis etwa 1950 (in Österreich bis zur Erlangung der Souveränität 1955) erstreckt. Diese kurzen Biografien nehmen in der Ausstellung einen herausragenden Platz ein. Deshalb ist es kaum verständlich, dass sie in den sonst hervorragenden, 248 Seiten starken Katalog keinen Eingang gefunden haben.

Die Ausstellung beginnt mit einer Art Prolog im Eingangsraum der Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums: Eine Klanginstallation mit Radiomeldungen zum Kriegsende aus verschiedenen Ländern ergänzt eine Bildprojektion mit Grossfotos der Befreiung beziehungsweise des Kriegsendes. Bereits im Eingangsbereich zeigt sich der multiperspektivische Ansatz von “1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang“: Diese Bilder vermitteln unterschiedliche Empfindungen in den zwölf Ländern.

Der eigentliche Ausstellungsraum ist kreisförmig angelegt. Von der Mitte mit einem Überblick der Kriegsfolgen in eindrücklichen Zahlen aus können die jeweiligen Länderbereiche – von Norwegen und Dänemark über Grossbritannien, Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Belgien und Deutschland bis hin zu Österreich, der Tschechoslowakei, Polen und der Sowjetunion – betreten werden. Die Ausstellung gibt keinen Weg vor. Jeder Besucher kann und soll seinen eigenen Weg finden, auch deshalb, weil die Länderbereiche nicht voneinander getrennt sind, sondern ineinander übergehen.

Jeder einzelne Länderbereich unterteilt sich in drei Themenkomplexe, in denen anhand der Exponate politische und gesellschaftliche Aspekte, aber auch Fragen des Alltags präsentiert werden. Die Exponate werden durch die bereits erwähnten Biografien, drei pro Land, ergänzt. Auch hier gilt ein multiperspektivischer Ansatz: Sie zeigen sehr verschiedene Schicksale, von Tätern und Kollaborateuren über Überlebende von Kriegsverbrechen bis zu Widerstandsmitgliedern. Auf einer Tafel werden schliesslich Entstehung und Entwicklung des Kalten Krieges aufgezeigt. Ein gelungener Abschluss für eine Ausstellung, die zwar wegen der Auswahl fragmentarisch wirkt, die aber mit ihrer Ausstellungstechnik und insbesondere mit ihrer in verschiedener Hinsicht multiperspektivischen Sicht einen interessanten Überblick über die Lebenslage der Menschen nach dem Krieg bietet.

“1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg“. Deutsches Historisches Museum, Ausstellungshalle, Unter den Linden 2, 10117 Berlin, bis zum 25. Oktober, Eintritt bis 18 Jahre frei. Tagesticket 8,– EUR, ermässigt 4,– EUR. Katalog 248 Seiten mit 150 Abb., ISBN 978-3-86102-188-9, EUR 19,95

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