Die Ressource Menschlichkeit

Wieder hat die Flucht Hunderte das Leben gekostet

Von Markus Reder

Die Tagespost, 15. April 2015

Wieder hat die Flucht Hunderte das Leben gekostet. Und das Unfassbare dabei: Die Katastrophe vor der Küste Libyens ist weder die erste noch die letzte dieser Art. So sieht sie aus, die Globalisierung der Gleichgültigkeit, die Papst Franziskus beklagt.

Gestern hat Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) gesagt, Deutschland könne noch deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. “Diese Menschlichkeit müssen und können wir uns leisten.” Das trifft zu. Nur ist die Ressource Menschlichkeit in einer postchristlichen Gesellschaft offensichtlich begrenzt. Die Diskussionen um Tröglitz wie der Streit zwischen Bund und Ländern um das Geld für die Unterbringung von Asylbewerbern zeigen: Die Themen Flüchtlinge und Migration brauchen gesellschaftlich und politisch einen völlig neuen Stellenwert. Es reicht nicht, beim nächsten Anschlag wieder nach der starken Bürgergesellschaft zu rufen. Es genügt nicht, beim nächsten Schiffsunglück erneut an die Humanität Europas zu appellieren, bis wieder Hunderte ertrinken. Und es darf nicht sein, dass die Sorge um Flüchtlinge zum finanzpolitischen Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird.

Globalisierung der Menschlichkeit geschieht nicht von alleine. Ängste und Ressentiments existieren. Das ist beklagenswert, aber man muss damit umgehen. Appelle sind da zu wenig. Es fehlt der grosse politische Kraftakt, die Koordinaten der Gesellschaft von morgen bestimmen und diskutieren zu wollen. Flüchtlingspolitik als akute Nothilfe ist nur ein Aspekt. Die weiterreichende Frage lautet: Wie wollen wir morgen leben? Wie gerecht soll es zugehen? Inmitten der Ungerechtigkeiten und Verwerfungen zwischen Erster, Zweiter und Dritter Welt. Inmitten der Kriegs- und Katastrophengebiete des Nahen und Mittleren Ostens, die zu Flüchtlingsströmen führen. Inmitten des sich abzeichnenden demografischen Kollapses, den man mit Zuwanderung verhindern will, als sei das ein Selbstläufer und keine neue Form des Kolonialismus, der neue Ungerechtigkeiten in sich trägt. All diese Themen gehören weit oben auf die politische Agenda. Die Herausforderung ist grösser als die brennenden Fragen der Flüchtlingspolitik. Dass sich die Politik schon damit so schwer tut, erklärt, warum wir noch immer nicht weiter sind.

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