Apokalypse now? **UPDATE
Papst Franziskus empfiehlt den Roman “Der Herr der Welt” von Robert Hugh Benson
*Der Herr der Welt : Robert Hugh Benson (55)
**Apokalypse
Der Katechon ist tot. Sein Erbe lebt
Nicht “mit dem Leben spielen”: Papst Franziskus verurteilt Euthanasie und Abtreibung (catholicnewsagency.com)
Rom, Vatican Magazin, Titel-Thema 3/2015
Papst Franziskus empfiehlt den Roman “Der Herr der Welt” von Robert Hugh Benson. Als Lehrstück für einen praktischen Atheismus, der unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten ein einheitliches Denken aufzwingt.
Von Guido Horst
Irgendwie hatte ich gar nicht mehr daran gedacht. Vor ewigen Zeiten – man schrieb das zwanzigste Jahrhundert und Deutschland war noch zweigeteilt – begleitete mich ein dicker Stapel der fotokopierten Seiten eines seltsamen Buchs: “Der Herr der Welt” von Robert Hugh Benson. Meine Aufgabe als Jung-Redakteur war damals, das vergilbte Deutsch einer alten Ausgabe des Schmökers in eine modernere Fassung zu bringen. Das sind so Aufgaben, die Verlagsleiter früher den jungen Kollegen mit ins Gepäck gaben, wenn diese in den Urlaub fuhren. So lag also “Der Herr der Welt” auf einem Campingtisch unter der heissen Sonne Sardiniens und erhielt von mir ein sprachliches Lifting, mit dem er dann auch 1990 im Würzburger Verlag Johann Wilhelm Naumann erschienen ist. Der Auftrag war erledigt, die Sache schnell vergessen.
Bis Franziskus kam.
Kenn ich doch, schoss es mir ins Gehirn, als der Papst bei der Frühmesse am 18. November 2013 im Gästehaus Santa Marta den britischen Priester und Konvertiten Benson nicht nur nannte, sondern dessen apokalyptische Vision von einem “Herrn der Welt” am Ende aller Zeiten ausdrücklich zur Lektüre empfahl. Jorge Mario Bergoglio, der als ordentlicher Gefolgsmann der Gesellschaft Jesu keine Büchersammlung besitzt beziehungsweise nie eine besass, war wohl früher durch die eher eklektisch ausgestattete Bibliothek eines seiner argentinischen Kollegien oder Jesuiten-Häuser gestreift und hatte sich an der Endzeit-Romanze festgelesen, die mit den bezeichnenden Worten endet: “Und dann versank die Welt und all ihre Herrlichkeit”. Dachte ich. Bis Franziskus beim Rückflug von Manila nach Rom am vergangenen 19. Januar vor Journalisten wieder auf das Buch zu sprechen kam. Der Papst – der seit Beginn seiner römischen Zeit hin und wieder das eine oder andere Buch bewirbt – sprach über “ideologische Kolonisierungen” und meinte in diesem Zusammenhang: “Es gibt ein Buch – entschuldigen Sie, wenn ich etwas Reklame mache – ein Buch, dessen Stil zu Beginn vielleicht etwas schwerfällig ist, weil es 1907 in London geschrieben wurde… Damals hat der Autor das Drama der ideologischen Kolonisierung erkannt und es in diesem Buch beschrieben. Der Titel ist Lord of the World und der Autor Robert Hugh Benson; ich empfehle Ihnen, es zu lesen. Dann werden Sie gut verstehen, was ich mit ‘ideologischer Kolonisierung’ sagen will.” Für mich war nun die Zeit gekommen, das Buch wieder zu lesen, das ich einst selber redigiert, aber damals nicht richtig in mich aufgenommen hatte. Es war so heiss auf Sardinien.
Robert Hugh Benson war der jüngste Sohn des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, Edward White Benson, konvertierte 1904 zum katholischen Glauben und wurde in Rom zum Priester geweiht. Bis zu seinem Tod am 19. Oktober 1914 im Alter von nur 43 Jahren blieb dem schreibenden Kleriker nur kurze Zeit, um geistliche Schriften, Biografien und Romane zu verfassen. 1907 entstand sein Roman “The Lord oft the World”, eine Apokalypse, die ganz den Geist einer Epoche verströmt, in der die katholische Orthodoxie hinter jeder Säule einen Modernisten vermutete. 1864 hatte Pius IX. den “Syllabus errorum” gegen die modernistische Irrlehre erlassen, 1910 hat der heilige Papst Pius X. für Kleriker den Antimodernisten-Eid eingeführt. Das päpstliche Rom im Roman Bensons hatte sich irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert vom Staat Italien freigekauft und war ins neunzehnte Jahrhundert zurückgeglitten: Es fahren keine Strassenbahnen mehr, stattdessen rollen Kutschen durch die übelriechenden Strassen. Eine ordentliche Kanalisation ist nicht Sache der Päpste, dafür bewegen sie sich auf einem weissen Maultier durch die Stadt. Draussen in der Welt hat das Freimaurertum die geistige Vorherrschaft übernommen, Islam, Buddhismus und Hinduismus waren durch die Ansteckung mit einem vagen Pantheismus kraftlos geworden. Ein ganz um den Menschen kreisender Humanismus ist zur herrschenden Ideologie geworden und zelebriert seine Art von “Sakramenten”: Wenn irgendwo ein Flugschiff abstürzt, kommen Helfer mit kleinen Kästchen und spenden den Verwundeten die Euthanasie. Nur die katholische Kirche, mit ihrem Papst an der Spitze, hält dem allgemeinen Religionsverfall noch stand – muss allerdings eine wachsende Zahl von Abtrünnigen und Apostaten verkraften, nicht zuletzt unter dem Klerus und in der Hierarchie.
Es ist wohl kaum diese Vision einer abgekapselten Kirche, die Papst Franziskus an Bensons Endzeitspektakel reizt. Auch die Apokalypse selbst, der Weltuntergang am Ende des Romans, dürfte nicht das sein, was der Papst seinen Zuhörern als lesenswert empfiehlt. Bleich wie eine Hostie steht die Sonne über dem Berg Tabor, als die Mächte dieser Welt kommen, um den letzten Papst in seinem letzten Domizil in Palästina zu vernichten. Doch stattdessen kommt der Herr der Geschichte in seiner Macht und Herrlichkeit. Zuvor hatte die Hauptfigur des Romans, der zunächst in London wirkende Priester Percy Franklin, eine dramatische Entwicklung verfolgt: Auch die liberalen Juden hatten auf die Gottesidee verzichtet und sich dem “Menschheitsglauben” des Freimaurertums angeschlossen. Die Welt kehrt sich immer entschlossener von allem Religiösen ab, als plötzlich der politische Aufstieg eines gewissen Julian Felsenburgh beginnt, eines Amerikaners, von dem man weiss, dass er Freimaurer ist, aber als völlig Unbekannter aus “den trägen, abgestandenen Wassern des amerikanischen Sozialismus” entstiegen war und die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Während Felsenburgh, der sich wie Franklin durch ein junges Gesicht, aber weisse Haare auszeichnet, eine steile politische Karriere macht, macht der Priester eine kirchliche: Er gewinnt das Vertrauen des Papstes, wird Kardinal und zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der schrumpfenden Kirche. Zur gleichen Zeit verschwindet Felsenburgh im “Osten”, wo es ihm gelingt, die Völker Asiens und des Orients sowie Russland zu befrieden und unter der Flagge der neuen Menschheitsreligion zu einen. Nach dem unglaublichen Erfolg seiner Friedens-Mission im Osten wirft sich ihm auch der alte Kontinent zu Füssen, Felsenburg wird Präsident Europas, später der ganzen Welt.
Als Papst Franziskus bei der Morgenmesse im November 2013 auf den Roman “Der Herr der Welt” verwies, sagte er vor seinen Zuhörern in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta, dieses Buch setze sich gerade mit jenem Geist der Weltlichkeit auseinander, der zur Apostasie führe. Heute meine man, so die Warnung des Papstes, dass “wir alle wie alle sein müssen, dass wir normaler sein müssen, wie das alle tun, mit diesem pubertären Fortschrittsdenken”. Und dann, fügte Franziskus etwas geheimnisvoll an, “geht die Geschichte weiter: die Todesurteile, die Menschenopfer”. “Ihr aber”, fragte Franziskus, “denkt ihr, dass heute keine Menschenopfer dargebracht werden? Sie werden dargebracht, viele! Und es gibt Gesetze, die diese schützen.” Tod und Menschenopfer – im Roman Robert Hugh Bensons geschieht das so: Apostasie wandelt sich plötzlich in Gewalt, aus freundlichen Krankenschwestern mit weissen Häubchen, die voller Zärtlichkeit die Euthanasie spenden, werden Häscher der letzten Christen. Die Nachricht von einem vermeintlichen Katholiken-Komplott in London treibt dort den Mob auf die Strasse, “ganze Armeen von Männern, Scharen von kreischenden Frauen und fanatischen Jugendlichen”. Christen werden gekreuzigt, ihre Kinder auf Pfähle gesteckt, die Kirchen brennen – und am Ende ist London bereit, Felsenburgh als seinen Herrn und Gott zu empfangen.
Rom geht unter, zweihundert britische und deutsche Flugschiffe legen es in Schutt und Asche, der Papst ist tot, die Vernichtung geschieht mit äusserster Grausamkeit: Einzelne Flugschiffe “waren die Strassen und Schienen entlang geflogen, auf denen die erschreckte Bevölkerung versucht hatte, der Vernichtung zu entgehen. Es wurde geschätzt, dass man auf diese Art noch etwa dreissigtausend Menschen getötet hatte”. Percy Franklin war dem Inferno nur knapp entkommen. Mit ihm gab es nur noch drei Kardinäle der katholischen Kirche, die die Verfolgung überlebt hatten. Die beiden älteren wählen Franklin zum Papst, der nimmt den Namen Silvester an und zieht sich in die Einsamkeit Palästinas zwischen dem Berg Tabor und einem Städtchen namens Nazareth zurück. Der letzte Akt des Endzeit-Dramas kann beginnen.
Es ist nicht das Bild einer im neunzehnten Jahrhundert stehen gebliebenen Kirche, das Papst Franziskus an dem Roman Bensons besonders schätzt. Auch nicht der Weltuntergang, der die christliche Heilsgeschichte definitiv beschliesst. “Unsere Seele hat Zukunft. Die Menschheit hat keine”, heisst es bei Nicolás Gómez Dávila lapidar. Doch wann das Ende kommt, weiss keiner. Sollte – wie bei Bensons – die Befriedung des Globus und die Unterwerfung der Völker unter einen Welt-Präsidenten im Zeichen einer humanistischen Menschheitsreligion die nahende Apokalypse ankünden, dann wäre man angesichts der Spaltungen und unzähligen Konflikte, die heute die globale Politik durchtoben, noch Äonen von der Wiederkunft Christi entfernt. Und als Welt-Präsident macht Barack Obama derzeit eine eher alberne Figur.
Was Papst Franziskus bei Benson fasziniert, ist vielmehr das “einheitliche Denken”, das die ganze Menschheit erfasst – verbunden mit dem Hass auf alles Religiöse und vor allem Christliche. Vor den Journalisten auf dem Flug von Manila nach Rom erzählte der Papst von einer Begebenheit, mit der er seinen Hinweis auf das Buch vom “Herrn der Welt” erläutern wollte: “Vor zwanzig Jahren, 1995, hatte eine Bildungsministerin ein grosses Darlehen erbeten, um Schulen für die Armen zu bauen. Das Darlehen wurde bewilligt unter der Bedingung, dass es in den Schulen für die Kinder einer gewissen Altersstufe ein bestimmtes Buch geben müsse. Es war ein Schulbuch, ein unter didaktischem Aspekt gut vorbereitetes Buch, in dem die Gender-Theorie gelehrt wurde. Diese Frau brauchte das Geld des Darlehens, doch die Bedingung war diese.” Die Frau sei schlau gewesen, meinte Franziskus weiter, und habe schnell ein zweites Buch erstellen lassen, ohne Gender-Theorie, und habe dann beide weitergeben lassen, wohl nicht ohne den Hinweis, dass in den Schulen das zweite zu verwenden sei.
“Das ist die ideologische Kolonisierung”, meinte Franziskus weiter, “sie dringen in ein Volk ein mit einer Idee, die mit diesem Volk nichts zu tun hat – wohl mit Gruppen aus dem Volk, nicht aber mit dem Volk selbst – und kolonisieren das Volk mit einer Idee, welche eine Mentalität oder eine Struktur verändert oder verändern will.” Die Völker dürften aber ihre Freiheit nicht verlieren, so der Papst weiter. “Das Volk hat seine Kultur, seine Geschichte; jedes Volk hat seine Kultur. Wenn aber die kolonisierenden Mächte Bedingungen auferlegen, dann ist das ein Versuch, die Völker ihre Identität verlieren zu lassen und Uniformität zu schaffen.”
Diese Uniformität der Mentalitäten, die heute im Westen so um sich gegriffen hat, nennt Franziskus “einheitliches Denken”, ein Begriff, den er noch als Kardinal von Buenos Aires von Alberto Methol Ferré übernommen hat, einem Philosophen aus Montevideo, mit dem Jorge Mario Bergoglio befreundet war und der öfters von Uruguay nach Argentinien kam, um den Kardinal zu besuchen, bis er dann 2009 im Alter von achtzig Jahren starb. Wie bei Robert Hugh Benson ist dieses “einheitliche Denken” von einem hedonistischen Atheismus getragen, der am Ende totalitäre Züge trägt. 2007 erklärte Kardinal Bergoglio in einem Interview zu Methol Ferré und dem “einheitlichen Denken”: “Der hedonistische Atheismus mit seinen neo-gnostischen Zügen ist – nach dem Ende des messianischen Atheismus marxistischer Prägung – die beherrschende Kultur mit einer globalen Vision und Verbreitung geworden. Er macht den Geist der Zeit aus, in der wir heute leben, das neue Opium für das Volk. Das ‘einheitliche Denken’ hat, abgesehen davon, dass es sozial und politisch totalitär ist, gnostische Strukturen. Es ist nicht menschlich, es schlägt verschiedene Formen des absoluten Rationalismus vor, mit denen sich der hedonistische Hedonismus ausdrückt, den Methol Ferré beschrieben hat. Es dominiert ein zerstäubter Teismus, ein diffuser Teismus, ohne historische Inkarnation. Im besten aller Fälle die Schaffung eines freimaurerischen Ökumenismus.”
Das alles ist in Romanform nachzulesen in Bensons “Herrn der Welt”. Niedergeschrieben 1907. Hundert Jahre bevor sich Methol Ferré und sein Freund Bergoglio über die totalitäre Vereinheitlichung der Mentalitäten und Kulturen in der modernen Zivilisation von heute Gedanken machten.
Ja, über allem Übel, über Angst Schrecken und Verzweiflung, die da kommen mögen, wird Gott, der Gott allen Trostes, das Licht des göttlichen Friedens über der Welt aufstrahlen lassen. Ohne die Erlösung Christi wären wir ja alle verloren. Gelobt sei Jesus Christus-in Ewigkeit Amen.