Papst Leo XIV. und die Theologie des Leibes

Die Theologie des Leibes gehört zu den tiefgreifendsten anthropologischen Lehren des kirchlichen Lehramts im 20. Jahrhundert. Wie verhält sich Leo XIV. zu ihr? Eine Spurensuche

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Theologie des Leibes
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17.05.2025

Corbin Gams

Die Theologie des Leibes, entfaltet von Johannes Paul II. in 133 Mittwochskatechesen (1979–1984), wurde durch Benedikt XVI. in seiner Enzyklika “Deus caritas est” theologisch vertieft und von Papst Franziskus in “Amoris laetitia” pastoral weitergeführt. Sie ist heute ein bleibender Bestandteil des kirchlichen Lehramts. Umso naheliegender ist es, nach dem Verhältnis von Papst Leo XIV. (Robert Francis Prevost) zu dieser Lehre zu fragen – jenem Papst, der am 8. Mai 2025, dem Fest der Gottesmutter von Pompeji, zum Nachfolger Petri gewählt wurde. Welche Elemente der Theologie des Leibes finden sich in seinem bisherigen Lehramt?

Ein Blick auf Predigten, Interviews und Äußerungen aus seiner Zeit als Augustiner-General (2001–2013), Bischof von Chiclayo (2014–2023), Kurienkardinal (2023–2025) und schließlich als Papst zeigt: Leo XIV. vertritt zentrale Anliegen der Theologie des Leibes – etwa den Schutz des Lebens, die Komplementarität von Mann und Frau, die Berufung zur Liebe in Ehe und Familie – doch ohne sie ausdrücklich beim Namen zu nennen.

Ehe, Familie und Lebensschutz im Fokus

Als Dozent in Trujillo (1989–1998) unterrichtete Robert Francis Prevost unter anderem Moraltheologie am Priesterseminar “San Carlos und San Marcelo”. Zwar fehlt ein direkter Nachweis für eine explizite Auseinandersetzung mit der damals noch jungen Theologie des Leibes, doch seine Lehrtätigkeit umfasste nachweislich auch Fragestellungen zu Ehe, Sexualethik und anthropologischer Grundlegung. Es ist daher plausibel anzunehmen, dass er als junger Theologe die anthropologischen und leibtheologischen Impulse Johannes Pauls II. aufnahm und in seine Lehre integrierte – auch wenn dies nicht ausdrücklich dokumentiert ist.

In seiner Zeit als Bischof von Chiclayo äußerte sich Prevost mehrfach zur Bedeutung von Ehe und Familie. Am 8. Juli 2019 sagte er in einem Interview mit der Regionalausgabe von Diario Correo: “Wir sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Familie als grundlegendes Element der Gesellschaft zu fördern, wie sie traditionell verstanden wurde und sie nicht zu zerstören: ein Mann und eine Frau, die sich lieben und sich einander verpflichtet haben.” Mit dieser klaren Aussage bezog er Stellung gegen politische und ideologische Tendenzen, die die traditionelle Familie infrage stellen.

Im Oktober 2020, mitten in der Corona-Pandemie, wandte er sich in einem Hirtenwort erneut an die Familien seiner Diözese: “Wir möchten das Gebet in der Familie fördern und den Herrn der Wunder um seinen Segen für jedes unserer Häuser bitten.” Dieser Aufruf greift eine theologische Einsicht auf, wie sie Johannes Paul II. in Familiaris consortio 21 entfaltet hat: dass die Familie eine “Hauskirche” ist – ein Ort gelebten Glaubens, der durch das gemeinsame Gebet gestärkt wird. Auch wenn Prevost die Begriffe “Hauskirche” oder “Heiligtum des Lebens” nicht ausdrücklich verwendet, entspricht sein pastorales Handeln dem Anliegen dieser Begriffe: die Familie als Ursprungs- und Schutzort des Lebens zu achten – als lebendige Zelle der Kirche.

Deutlich trat Prevost in seiner Zeit als Bischof von Chiclayo als Verteidiger des Lebens und der kirchlichen Anthropologie hervor. 2015 rief er über “Twitter” (heute “X”) öffentlich zur Teilnahme an der “Marcha por la Vida” – dem Marsch für das Leben – in Chiclayo auf. Seine Worte: “Lasst uns das menschliche Leben jederzeit verteidigen!” Diese klare Position blieb auch in den Folgejahren unverändert. Am vergangenen Sonntag begrüßte Papst Leo XIV. nach seinem ersten öffentlichen Regina Caeli explizit die Teilnehmer der italienischen Lebensschutz-Demonstration “Scegliamo la vita” (Wählen wir das Leben), die an diesem Tag in Rom stattfand. 2017 wandte er sich entschieden gegen einen staatlich geplanten Gender-Lehrplan an Schulen. Gegenüber peruanischen Medien erklärte er: “Die Förderung der Gender-Ideologie stiftet Verwirrung, denn sie will Geschlechter schaffen, die es nicht gibt.” Diese unmissverständliche Ablehnung der sogenannten Gender-Ideologie zeigt Prevosts Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre über die personale und leibliche Identität des Menschen – wie sie Johannes Paul II. in der Theologie des Leibes grundlegend entfaltet hat.

Bischofsamt und Dimension des Leibes

Es darf nicht übersehen werden: Die Theologie des Leibes hat nicht nur Sexualität und Partnerschaft im Blick, sondern zielt umfassend auf die Frage, wie der Mensch durch seinen Leib Zugang zu seiner tiefsten Berufung zur Liebe findet – in jeder Lebensform, sei es in der Ehe, im Zölibat, als Alleinstehender, im Dienst an anderen in leiblicher oder geistlicher Elternschaft. Johannes Paul II. zeigt, dass der Leib nicht nur moralisch geregelt werden muss, sondern eine Sprache spricht –die Sprache der Liebe, der Hingabe und der Wahrheit. Deshalb sind auch die Äußerungen Prevosts zum Wesen des bischöflichen Amtes aus dem Blickwinkel der Theologie des Leibes bedeutsam, auch wenn es auf den ersten Blick weit hergeholt scheinen mag. Als Präfekt des Bischofsdikasteriums äußerte sich Prevost 2024 dazu wie folgt: “Der Bischof soll kein kleiner Fürst auf seinem Thron sein, sondern demütig, nah bei den Menschen, mit ihnen gehen und mit ihnen leiden.” Diese Aussage, obwohl primär ekklesiologisch, verweist implizit auf eine theologische Anthropologie, wie sie auch die Theologie des Leibes lehrt: Der Mensch – auch in seiner Berufung als Hirt – ist zur Gemeinschaft und leiblichen Nähe berufen. Die Vorstellung eines Bischofs, der den Gläubigen auf Augenhöhe begegnet, ihnen zuhört, mit ihnen leidet, konkretisiert das Ideal der leibhaft gelebten Hingabe und Verantwortung – Grundthemen, wie sie Johannes Paul II. für jede Berufung im Leib Christi entfaltet hat.

Im Oktober 2012 – also Jahre vor seiner Berufung in die Römische Kurie – hielt Robert Prevost einen bemerkenswert klaren Redebeitrag bei der Bischofssynode zur Neuevangelisierung in Rom. Er analysierte die tiefgreifenden kulturellen Verschiebungen im Westen und sagte: “Die Massenmedien im Westen sind außerordentlich wirksam darin, in der Öffentlichkeit enorme Sympathie für Überzeugungen und Praktiken zu erzeugen, die dem Evangelium widersprechen – etwa Abtreibung, homosexuelle Lebensweise, Euthanasie.” Diese würden so einfühlsam und menschlich dargestellt, dass die kirchliche Position im Vergleich als ideologisch und gefühllos erscheine. Prevost warnte, alternative Familienmodelle – insbesondere gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern – würden medial derart positiv gezeichnet, dass die christliche Sicht auf Ehe und Sexualität verzerrt und delegitimiert werde. Seine Konsequenz: eine neue Evangelisierung, die unerschrocken und liebevoll “der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod” verpflichtet bleibt – und damit der Überzeugung folgt, dass der Leib nicht zufällig ist, sondern Träger einer Berufung zur Liebe und Offenbarung göttlicher Wahrheit, wie sie die Theologie des Leibes lehrt.

Glaubensverlust und familiärer Zerfall

In seiner ersten Predigt als Papst Leo XIV. am 9. Mai 2025 sprach er deutlich die geistlichen Wunden unserer Zeit an. Er sprach vom “Verlust des Glaubens”, der – so seine Worte – “oft dramatische Begleiterscheinungen” habe: “dass etwa der Sinn des Lebens verlorengeht, die Barmherzigkeit in Vergessenheit gerät, die Würde des Menschen in den dramatischsten Formen verletzt wird, die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet.“

Diese Passage macht deutlich: Papst Leo XIV. sieht in der Krise der Familie nicht nur ein gesellschaftliches oder moralisches Problem, sondern eine tiefgehende geistliche Herausforderung. Der Zusammenhang zwischen Glaubensverlust, Verletzung der Menschenwürde und familiärem Zerfall verweist auf ein zentrales Anliegen der Theologie des Leibes: die Berufung des Menschen zur Liebe im und durch den Leib. Wird dieser Ruf verdunkelt, verliert der Mensch nicht nur Orientierung, sondern auch seine Fähigkeit zur Selbsthingabe – und mit ihr seine Beziehungsfähigkeit. Genau an diesem Punkt verbindet sich Leo XIV. inhaltlich mit der anthropologischen Vision Johannes Pauls II., auch wenn er sie nicht namentlich nennt.

Papst Leo XIV. nennt die Theologie des Leibes nicht beim Namen – aber er denkt und handelt in ihrer Spur. Seine Aussagen zu Ehe, Familie, Sexualität und Lebensschutz greifen zentrale Einsichten Johannes Pauls II. auf: die Berufung des Menschen zur Liebe, die Würde des Leibes, die Komplementarität von Mann und Frau, die Heiligkeit des Lebens. Er übersetzt die Theologie des Leibes in seelsorgliche Klarheit und pastorale Haltung – konsequent, diskret, tief verwurzelt in der kirchlichen Anthropologie. Ob er sich künftig auch explizit auf Johannes Paul II. beziehen wird, bleibt offen. Doch sein bisheriger Weg zeigt: Die Theologie des Leibes wirkt weiter – still, glaubwürdig und lebendig. Vielleicht ist genau das der Stil des neuen Papstes. Wie Bischof Franz-Josef Overbeck es treffend formulierte: “Er gehört nicht zu den Leuten, die viel geschrieben haben. Er hat sich durch seinen Dienst positioniert.”

Corbin Gams ist Mitarbeiter der Initiative Christliche Familie (ICF).

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