He had a dream
Der Gedenktag für den legendären Bürgerrechtler Martin Luther King fällt mit der Angelobung Donald Trumps zusammen. Ein unpassender Zufall?
Quelle
Martin Luther King
Martin Luther King – I Have A Dream Speech – August 28, 1963
Sternstunde Religion – Martin Luther King – Mehr als ein Traum – Play SRF
20.01.2025
Benjamin Hasselhorn
Drei Feiertage in den Vereinigten Staaten sind dem Gedenken großer Persönlichkeiten gewidmet: Columbus-Day, Washingston’s Birthday und Martin Luther King Day. Ausgerechnet letzterer, der stets am dritten Montag im Januar begangen wird, fällt in diesem Jahr mit dem Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps zusammen. Die ersten beiden wären dem künftigen Präsidenten möglicherweise lieber gewesen. Denn der Gedenktag des schwarzen Bürgerrechtlers, der in den 1960er Jahren den gewaltfreien Protest gegen die Rassendiskriminierung anführte, und der Amtsantritt des Anführers der Anti-Wokeness-Bewegung bilden einen gewissen Kontrast.
Als Symbol der Wokeness-Bewegung eignet sich Martin Luther King allerdings nur bedingt. Auf den ersten Blick überraschend mag sein, dass es der republikanische US-Präsident Ronald Reagan war, der 1983 den dritten Montag im Januar als Martin Luther King Day zum Feiertag machte. Schon vierzehn Jahre nach Kings Ermordung war dieser bereits in den nationalen Mythenhaushalt der USA integriert worden, sein Streben nach Gleichberechtigung galt inzwischen allen politischen Lagern offiziell als vorbildhaft und erstrebenswert.
Ein Appell an den amerikanischen Traum
Dass Martin Luther King so schnell auch von seinen einstigen Gegnern vereinnahmt wurde, hing mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen bediente King durch die Verwendung religiöser und patriotischer Metaphern rhetorisch die Überzeugungen der amerikanischen “Zivilreligion”, also der Überzeugung, dass die USA ein besonderes Land mit einer quasireligiösen “Mission” seien. Zum anderen hielt er Reden, in denen er die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht angriff oder gar als Feinde deklarierte, sondern in denen er an die Mehrheitsgesellschaft als potenzielle Verbündete appellierte. Das gilt vor allem für seine berühmteste Rede, gehalten am 28. August 1963 vor dem Lincoln Memorial in Washington, D. C. Darin erklärte er: “Even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream. I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: ‘We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal.Even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream. I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: ‘We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal.‘” (dt.: “Trotz der Schwierigkeiten von heute und morgen habe ich einen Traum. Es ist ein Traum, der tief verwurzelt ist in amerikanischen Traum. Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben wird und der wahren Bedeutung ihres Credos gemäß leben wird: ‘Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen sind.'”
Amerika nicht zerstören, sondern reparieren
Jonathan Haidt und Greg Lukianoff führen den Erfolg Kings in ihrem Buch “The Coddling of the American Mind” (2018) auf diese zwei Faktoren zurück: King appellierte an den amerikanischen Traum und zeigte, dass seine politischen und sozialen Forderungen das klassische Amerika nicht zerstören, sondern im Gegenteil reparieren würden. Haidt und Lukianoff nennen das eine “common-humanity identity politics”, also eine Identitätspolitik der gemeinsamen Menschlichkeit, und stellen sie der ihrer Meinung nach in der Gegenwart vorherrschenden “common enemy identity politics” entgegen, einer Identitätspolitik des gemeinsamen Feindes. In Kings Fall hätte eine auf Feindschaft beruhende Identitätspolitik die USA in toto als von der Wurzel her rassistisch und diskriminierend angegriffen und eine Art symbolischer Neugründung verlangt.
Vieles spricht dafür, dass es die zahlreichen Spielarten dieser auf Feindschaft beruhenden Identitätspolitik sind, die Donald Trump nicht nur eine erste, sondern auch eine zweite Amtszeit beschert haben. Die Polarisierung nicht nur der amerikanischen Gesellschaft, sondern der westlichen Gesellschaften insgesamt, die Krise der freiheitlichen Demokratie, der Aufstieg der Populismen – all das hat eine Ursache in dem grassierenden “Wir-gegen-die”-Denken, in der quasimanichäischen Auffassung, dass die Menschen in gute und böse eingeteilt werden können und dass es die Aufgabe der guten Menschen sei, die bösen zu bekämpfen.
Die Reichen als Feind?
Manches spricht allerdings dafür, dass Martin Luther King in den letzten beiden Jahren seines Lebens von diesem Weg einer die Gemeinsamkeit betonenden Identitätspolitik abwich. Seit 1966 weitete er seine Aktivitäten auf den Kampf gegen soziale Ungleichheit aus, und es gibt durchaus Äußerungen von ihm, die klingen, als habe er “die Reichen” zu Feinden erklärt. Ausgerechnet in dieser Phase knüpfte King zudem symbolpolitisch an seinen Namenspatron an. Als Fünfjähriger hatte King den Namen des Wittenberger Reformators von seinem Vater erhalten. Dieser, wie sein Sohn später auch ein baptistischer Pastor, hatte in Deutschland die Lutherstätten besucht, und war davon so inspiriert, dass er seinen eigenen Namen und den seines Sohnes von Michael King zu Martin Luther King änderte.
Martin Luther King Jr. knüpfte explizit an das Wittenberger Vorbild an, als er am 10. Juli 1966 48 Thesen an die Chicagoer Rathaustür anklebte. Hatte Martin Luther am 31. Oktober 1517 die Praxis des kirchlichen Ablasshandels angeprangert, so forderte Martin Luther King 1966 umfassende Reformen, um nicht nur die rechtliche, sondern auch die soziale Diskriminierung ethnischer Minderheiten in den USA zu beenden. Der Bürgermeister von Chicago weigerte sich zunächst, die Thesen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, erst nach Wochen des Aufruhrs gab er nach und versprach, die Reformen umzusetzen.
Seit der US-Präsidentschaft Barack Obamas steht im Oval Office des Weißen Hauses eine Büste Martin Luther Kings. Donald Trump hat die Büste in seiner ersten Amtszeit nicht entfernt. Voraussichtlich wird er das auch in seiner zweiten Amtszeit nicht tun. Ob das Vermächtnis Kings für Trumps Politik irgendeine Rolle spielen wird, ist eine ganz andere Frage.
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