Eine Sternstunde der Kirchengeschichte *UPDATE

Ein Fest in Rom für den “Papa buono” und den Giganten aus Polen

Barmherzigkeitssonntag
Sternstunden

– Franziskus: Als “Papst der Familie” soll der heilige Johannes Paul II. den Weg der Kirche während der beiden kommenden Bischofssynoden begleiten.

Von Stephan Baier und Guido Horst

Rom, Die Tagespost), 28. April 2014

Alles hat sie schon gesehen: quirlige Menschenmengen wie andächtige Leere. Auch zahlreiche Päpste, deren Wahl traditionell von ihrer Mittelloggia “urbi et orbi“, der Stadt wie dem Erdkreis, verkündet wird, sah sie kommen und gehen. Seit genau vier Jahrhunderten, seit ihrer Fertigstellung 1614, blickt die von Carlo Maderna gestaltete Fassade der Basilika des Apostelfürsten Petrus auf den Petersplatz herab.

An diesem Sonntag blickte sie – geschmückt mit den Wappen von Papst Franziskus in der Mitte und den Porträts von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. rechts und links – auf ein Heer von Gläubigen, auf zwei Päpste, die die Heiligsprechung von zwei vorangegangenen Päpsten feiern, auf 24 Staatsoberhäupter und noch mehr Regierungschefs, auf Kardinäle und Bischöfe, auf Gläubige aus dem ganzen Erdkreis, auf ein Meer von Fahnen der Länder und der katholischen Bewegungen.

Diese Sternstunde der Kirchengeschichte, in der Papst Franziskus seinen Vorvorgänger Johannes Paul II. und dessen Vorvorvorgänger Johannes XXIII. zu Heiligen der Kirche erklärte, wollten sich Millionen nicht entgehen lassen – rund eine Million wohnte dem Ereignis rund um den Petersplatz sowie auf zentralen Plätzen der Stadt via Übertragung unmittelbar bei. Eine kirchengeschichtliche Sternstunde auch, weil mit Benedikt XVI. nicht nur einer der bedeutendsten Zeitzeugen beider Pontifikate an dem Ereignis teilnahm, sondern der emeritierte Papst erstmals seinem Nachfolger konzelebrierte – zwar nicht neben ihm am Altar, aber in der ersten Reihe der konzelebrierenden Kardinäle.

Die Menschen, die den Petersplatz am frühen Sonntagvormittag fluteten, hatten grossteils die Nacht in den angrenzenden Strassen verbracht. Bereits um Mitternacht campierten polnische und lateinamerikanische Jugendliche bei den Tiberbrücken. Geistliche nahmen ihnen dort unter freiem Himmel die Beichte ab, während sich ein schier endloser, fröhlicher Menschenstrom Richtung Sankt Peter ergoss. Dutzende weisse und gelbe Luftballons trugen im sonntäglichen Morgengrauen ein riesiges rot-weisses Banner mit der Aufschrift “Deo gratias” in die Lüfte. Und auch sonst dominierte, trotz vieler Fähnchen in allen Farben, über den Köpfen der Menge die polnische Farbkombination. Erst als in vier Sprachen – darunter auf Polnisch – unmittelbar vor Messbeginn dazu aufgefordert wurde, Fahnen und Transparente zu senken, wich die morgendliche Volksfeststimmung der Messandacht. Vorangegangen waren eine Stunde lang Gebete und Meditationen von Texten der beiden neuen Heiligen. Vorzugsweise mit Bezug zur göttlichen Barmherzigkeit, denn sie stand im Mittelpunkt der Theologie Johannes Pauls II., der am Vorabend des Barmherzigkeitssonntags 2005 starb.

Applaus und vereinzelte “Benedetto”-Rufe brandeten auf, als Benedikt XVI. von Erzbischof Georg Gänswein auf seinen Platz neben den Kardinälen geleitet wurde. Dann noch einmal, als Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano den Papa emerito betont herzlich und lange begrüsste. Und ein drittes Mal, als Franziskus seinen Vorgänger umarmte. Papst Franziskus mied den Applaus für seine eigene Person, indem er mit den Patriarchen der unierten Ostkirchen und den Kardinälen während der Allerheiligenlitanei einzog. Die Begeisterungsstürme nach der dreimaligen Bitte des Präfekten der Heiligsprechungskongregation, Kardinal Angelo Amato, und der lateinischen Heiligsprechungsformel des Papstes galten wohl den beiden neuen Heiligen und sind der teils wehmütigen Erinnerung an sie geschuldet.

“Die Heiligkeit lebt in der Geschichte, und kein Heiliger ist den Beschränkungen und Einflüssen unserer Menschlichkeit entzogen. Mit der Seligsprechung eines ihrer Kinder möchte die Kirche nicht deren besondere historische Entscheidungen rühmen, sondern sie wegen ihrer Tugenden zur Nachahmung und Verehrung herausstellen, zum Lobe der göttlichen Gnade, die in ihnen erstrahlt.“ Diese Sätze sprach nicht Papst Franziskus anlässlich der Heiligsprechung seiner Vorgänger Johannes XXIII. und Johannes Paul II., sondern einer, der es – als Rekordhalter in Heiligsprechungen und nunmehr als anerkannter Heiliger – genau wissen musste, nämlich Johannes Paul II., anlässlich der Seligsprechung von Johannes XXIII. am 3. September 2000. Was zum Bleibenden und Verbindlichen des Wirkens von Johannes Paul II. für die Kirche zählt, machte aber Franziskus deutlich, als er den Grossen aus Polen als den “Papst der Familie” würdigte und ankündigte, der heilige Johannes Paul II. solle der himmlische Begleiter und Fürsprecher der anstehenden Synode zur Familie sein. Da ertönte nicht nur in den polnisch dominierten Sektoren des Petersplatzes Beifall.

Internationalität und Traditionstiefe der Kirche wurden unterstrichen einerseits durch die lateinische Liturgie, wobei das Evangelium auf Latein und auch auf Griechisch gesungen wurde; andererseits durch die Vielsprachigkeit der Fürbitten, die auch Arabisch und Chinesisch einschloss. Nicht aber die Muttersprache des Papa emerito, die im Vatikan keine spürbare Rolle mehr spielt. Dem früheren Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano fiel als Konzelebranten neben dem Papst die Aufgabe zu, die beiden neuen Heiligen erstmals im Kanon des Hochgebetes zu nennen, bevor Hundertschaften von Priestern und Diakonen den Massen auf dem Petersplatz und in der Via della Conciliazione die Kommunion spendeten.

Nach dem “Regina Coeli” und dem Schlusssegen legte der Papst das liturgische Gewand ab, um die Vertreter der Staaten und internationalen Organisationen zu begrüssen, darunter zahlreiche Könige und Präsidenten. Manche küssten zur Begrüssung den Fischerring, andere schüttelten dem Papst fast kollegial die Hand, einige wenige baten um seinen Segen. Franziskus drückte zunächst den Staatsoberhäuptern Italiens und Polens die Hand, Giorgio Napolitano und Bronislaw Komorowski; aus ihren Ländern stammen die beiden neuen Heiligen. Es folgten die Königspaare aus Spanien und Belgien sowie der Grossherzog von Luxemburg. Danach schlossen sich die angereisten Staatsoberhäupter und Regierungschefs an, darunter auch Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso als Vertreter der Europäischen Union. Als offizielle Vertreter Deutschlands nahmen für die Bundesregierung Arbeitsministerin Andrea Nahles und für den Deutschen Bundestag dessen Vizepräsident Johannes Singhammer an der Feier teil. Österreich war durch Vizekanzler Michael Spindelegger vertreten. Insgesamt 96 Staaten der Welt hatten offizielle Delegationen nach Rom geschickt.

Erst nach dieser Zeremonie fuhr der Papst sichtlich entspannt im offenen Jeep durch die Menschenmenge. Da glich der Petersplatz bereits einem Schlachtfeld. Manche Jugendlichen, die die Nacht damit verbracht hatten, ihren Standort zu ergattern, machten es sich inmitten des Getümmels in ihrem Schlafsack bequem, andere schliefen auf einer Iso-Matte, wieder andere packten mitgebrachte Speisen aus. Überall lagen leere Plastikflaschen, Essensreste, Regenjacken. Unter den Kolonnaden roch es nach vielem, aber weniger nach dem “Duft der Heiligkeit”, den Benedikt XVI. seinem Vorgänger bei der Seligsprechung 2011 attestiert hatte. Kein Wunder, denn auch noch so begeisterte und fromme Gläubige, die stundenlang warten müssen und weitere Stunden feiern dürfen, sind irdische Wesen. Und so gross das Angebot an Toilettenanlagen auch war – die Nachfrage war wohl grösser. Letzteres galt am Sonntagnachmittag auch für die Restaurants in unmittelbarer Vatikan-Nähe.

Ignazio Marino, der Bürgermeister Roms, der zunächst die Zahl von sieben Millionen zu erwartenden Gästen bei der Heiligsprechung ins Spiel gebracht hatte, diese später auf fünf und dann nochmals auf drei Millionen Pilger herunterschraubte, liess es sich am Abend nicht nehmen – immerhin stolz wie Oskar, denn der Papst hatte sich am Ende Zeremonie ausdrücklich bei ihm für die Organisationsleistung der Stadt Rom bedankt –, vor laufender Kamera von anderthalb Millionen Teilnehmern zu sprechen. Der Vatikan gab sich bescheidener und gab die Zahl von achthunderttausend Menschen an, die die Feier zwischen Petersdom und Engelsburg oder vor den Bildschirmen auf einigen Plätzen verfolgt hätten. Wie dem auch sei: Viele waren mit noch starken persönlichen Erinnerungen an Johannes Paul II. gekommen, was ihnen half, die Strapazen dieses Tages durchzustehen: eine durchwachte Nacht im Freien und ein über sechsstündiges Ausharren vor und während der Heiligsprechungsfeier. Doch am Nachmittag und Abend spielten sich vielerorts Szenen der Erschöpfung ab: Am Bahnhof Termini, wo Frauen wie Männer nur noch sitzend oder liegend auf ihre Zügen warten wollten, in den Reisebussen, in denen manche noch vor der Abfahrt in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf fielen, in Bars und Cafés, wo man nur noch Ruhe suchte. Da waren schon die besonders tapfer, die sich am Nachmittag, nun im strömenden Regen, in die Schlange auf dem Petersplatz einreihten, um im Inneren der Basilika an den Gräbern der beiden heiliggesprochenen Päpste vorbeizuziehen. Gegen acht Uhr schickte die italienische Polizei die Wartenden fort: die Basilika werde jetzt geschlossen – zum Ärger vieler, denn ursprünglich hatte es geheissen, dass der Petersdom bis 22 Uhr geöffnet bleibe.

Manche hatten besonders starke Erinnerung mit nach Rom gebracht. So etwa die Costaricanerin Floribeth Mora Diaz, die auf Fürbitte von Johannes Paul II. von einem Hirn-Aneurysma geheilt wurde. Sie brachte bei der Heiligsprechungsfeier eine Blutreliquie von Papst Wojtyla zum Altar. Einen Reliquienbehälter mit Hautpartikeln von Johannes XXIII. trugen vier Neffen des Roncalli-Papstes auf den Sagrato. Die beiden Reliquiare wurden unmittelbar nach der Heiligsprechungsformel von Papst Franziskus neben den Papstaltar gestellt. Auch die französische Ordensfrau Marie Simon-Piere Normand, deren medizinisch unerklärliche Heilung die Voraussetzung für die Seligsprechung Johannes Pauls II. im Mai 2011 war, wirkte bei der Messe mit, sie sprach eine der Fürbitten.

Rom hat ein Fest der Superlative gefeiert. Wann wird es je wieder eine solche Heiligsprechung geben? Wahrscheinlich niemals. Allein die “vier Päpste”, von denen nicht nur italienische Medien immer wieder sprachen: zwei lebende am Altar und zwei als Fürsprecher im Himmel, weithin sichtbar mit ihrem Konterfei an der Fassade des Petersdoms. Eine Konstellation, die es gemeinsam mit dieser Riesenmenge von Menschen, die dabei sein wollten, wohl kaum nochmals geben wird.

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