Armenier im Schatten des Krieges

Während die Welt auf den Gazastreifen blickt, spitzt sich die Lage für die armenischen Christen Jerusalems gefährlich zu

Quelle
Armenisches Viertel von Jerusalem – Wikipedia
Patriarchat von Jerusalem der Armenischen Apostolischen Kirche – Wikipedia
Nourhan Manougian – Wikipedia

18.02.2024

Valentin Schmid

Es ist düster in der armenischen Sankt-Jakobus-Kathedrale in Jerusalem. Zwar hängen lange Reihen goldener Öllampen von der Decke des dreischiffigen Kuppelbaus – doch auf den bunten Gemälden, Wandfliesen und Teppichen der Kirche kommt kaum Licht an. Umso eindrücklicher ist dafür die akustische Ebene. Genauer gesagt der mächtige, armenische Gesang von gut 20 Mönchen in schwarzen Gewändern und Kapuzen.

Und auch der Predigt von Pater Aghan Gogchyan fehlt es nicht an Pathos: “Jerusalem trägt in seinen antiken Mauern die Geschichten von Märtyrern und Heiligen, die das Evangelium im Angesicht von Verfolgung und Versuchung bezeugt haben. Sie können ihre Gesichter an den Wänden unserer Kathedrale sehen. Sie beten mit uns und wachen über uns.”

Die Zuhörer, denen der Pater hier etwas Kirchenkunde vermittelt, sind Gläubige verschiedener Konfessionen aus Jerusalem. Sie sind zu einer “Woche des Gebets für die christliche Einheit” zusammengekommen. Das Anliegen formuliert Gogchyan so: “Unsere Einheit als Christen ist der einzige Weg, wie wir den Kräften widerstehen können, die den Leib Christi aus diesem Land entfernen möchten.” Weiter spricht er von “religiöser Diskriminierung und politischer Aufruhr”. Doch was genau ist damit gemeint?

Wie der Tatort eines Krimis

Wenige Tage später auf dem Parkplatz des armenischen Altstadtviertels in Jerusalem. Ausgerechnet an diesem unscheinbaren Ort spielt sich seit einigen Monaten ein echter Krimi ab – Ausgang ungewiss. Alles begann im April vergangenen Jahres. Durch den Besuch eines israelischen Landvermessers wurden Bewohner des Viertels auf einen Pachtvertrag aufmerksam, den der armenische Patriarch Nourhan Manougian vor Jahren unterzeichnet hatte. Er umfasst den besagten Parkplatz sowie den Grund einiger benachbarter Gebäude. Insgesamt 11 500 Quadratmeter. Oder: 25 Prozent des Viertels, in dem heute etwa 2 000 Armenier leben. Der andere Vertragspartner ist Xana Capital, ein Hotelunternehmen des australischen Juden Danny Rothman.

Unter Armeniern kam die Befürchtung auf, dass das von Rothman geplante Luxushotel auf ihrem Grund und Boden nur der Anfang eines Prozesses sei. An dessen Ende könnte die komplette Verdrängung der Armenier stehen – zugunsten einer direkten Verbindung zwischen Westjerusalem und dem jüdischen Altstadtviertel. Rechtszweifel an der Gültigkeit des Vertrags wurden laut. Der Patriarch Manougian feuerte einen Priester, der diesen in seinem Namen unterschrieben haben soll.

Und der Investor Rothman? Am 26. Oktober, also im Schatten des beginnenden Gazakrieges, wollte er offenbar Fakten schaffen – und schickte einen Bulldozer. “Der hat diese Mauer eingerissen, die den Parkplatz vom Gelände des Seminars trennt.” Hagop Djernazian zeigt auf die Überreste einer brusthohen Steinmauer. Daneben ein meterhoher Schuttberg, eine armenische Fahne steckt darin. “Wir haben noch einen Zaun mit Stacheldraht errichtet, und bewachen das Gelände rund um die Uhr mit zehn bis 15 Leuten”, erklärt der 23-jährige Armenier. Rothman wiederum tauchte am 5. November auf dem Parkplatz auf. Mit 15 bewaffneten Israelis und zwei Kampfhunden. Ein weiteres Mal erhielten die Armenier am 28. Dezember unliebsamen Besuch. Diesmal von über 30 bewaffneten und vermummten Personen, die laut dem Patriarchat mehrere Armenier schwer verletzten.

Orthodoxe Christen werden in der Altstadt schon länger zum Ziel religiöser Anfeindungen. Wer etwa mit Kutte und Kreuz unterwegs ist, läuft Gefahr, beleidigt oder gar angespuckt zu werden. Dahinter steckt eine Gruppe orthodoxer Juden, denen Christen ein Dorn im Auge sind. Obwohl etwa die Armenier schon seit über 1 600 Jahren in der Heiligen Stadt leben.

Zwischen Allen Fronten

Neu auf dem Parkplatz ist ein geräumiger Pavillon mit Holzdach. Blaue Plastikplanen schützen an den Seitenwänden vor Wind und Kälte. Drinnen stehen fünf graue Sofas, ein Heizpilz, eine provisorische Küche. Seit drei Monaten harren hier Armenier im Schichtdienst aus, um ihr Land zu bewachen. Heute sind es sechs ältere Männer. Sie sitzen um einen kleinen Tisch und trinken übersüßten Tee. Die Stimmung ist etwas gereizt, wozu auch der Laptop von Hagop Djernazian beiträgt. Darauf läuft eine Übertragung vom internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das vorläufige Urteil zu Südafrikas Völkermord-Klage gegen Israel wird gleich verlesen – und die Meinungen im Pavillon sind geteilt.

“Wenn Israel ihnen Wasser, Strom und Essen blockiert, wie kann das dann kein Genozid sein?”, fragt einer. “Als unsere Landsleute letztes Jahr aus Bergkarabach vertrieben wurden, hat man das doch auch nicht so genannt”, entgegnet ein anderer. “Als Armenier sind wir klar gegen die Hamas“, ordnet Hagop Djernazian ein, der selbst internationale Beziehungen in Jerusalem studiert. “Aber man darf eben auch nicht vergessen, dass viele Araber uns Armenier aufgenommen haben, als wir 1915 vor dem Genozid im osmanischen Reich flohen. Wir stehen in diesem Krieg auf keiner Seite. Wir wünschen uns nur eine Waffenruhe. Und dass er sich nicht noch weiter ausbreitet.”

Schwer unter dem Krieg zu leiden

Auch Harout Sandrouni meint, dass sie als Armenier sich nicht in den Nahostkonflikt einmischen sollten. In einem kleinen Laden verkauft er kunstvolle Keramik – mit christlichen, jüdischen und muslimischen Motiven. Der 70-Jährige hat schon in Jerusalem gelebt, als die Stadt noch als palästinensisch galt. Aber auch während der jordanischen Besatzung und schließlich seit der Annexion durch Israel, 1980. “Wirtschaftlich ist letztere Phase die beste”, politisch sei er immer klargekommen.

Trotzdem hat Sandrouni schwer unter dem Krieg zu leiden. Durch das Ausbleiben von Touristen und Pilgern fehlt ihm die Kundschaft. Andere Armenier haben seit dem 7. Oktober sogar völlig ihre Arbeit verloren, erzählt er. Die Situation sei nicht leicht. Fest stehe nur eins: “Wir sind hier geboren, wir bleiben hier. Jerusalem ist unsere Heimat.” Und vielleicht hat Sandrouni dabei auch die Worte im Kopf, mit denen Pater Aghan Gogchyan kürzlich seine Predigt beendete: “Es ist mein Wunsch und mein Gebet, dass wir in dem Boden verwurzelt bleiben, auf dem schon die Apostel gingen. Genauso wie es die antiken Olivenbäume in unserem armenischen Viertel tun, die die Ebben und Fluten der Zivilisationen überdauern.”

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Valentin Schmid
Apostel
Christen
Hamas
Jesus Christus
Jude

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel