Zölibat – Disziplinierung des Klerus oder Ausdruck der Ganzhingabe?

Was würde es dem Neuen Bund schaden, wenn die Priester ebenso wie im Alten Bund in einer ehrbaren Ehe leben würden?

Quelle
Mit der Moral am Ende

14.08.2023

Marianne Schlosser

Was würde es dem Neuen Bund schaden, wenn die Priester ebenso wie im Alten Bund in einer ehrbaren Ehe leben würden? Mag Christus jungfräulich gewesen sein, mag er die Jungfräulichkeit einigen wenigen geraten haben, die es fassen konnten. Woher, frage ich, kam das Gebot, so dass es nicht mehr nur beim Rat blieb? […] So häufig werden Gelübde übertreten – Verbrechen, Schandtaten, Sünden, Abscheulichkeiten, die zu nennen man sich schämt!“

Der zitierte Text stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ganz ähnliche Argumente begegnen einem zum Beispiel auch im 19. Jahrhundert wieder, wie auch heute. Zum einen wurden und werden sehr grundsätzliche anthropologische Einwände erhoben, etwa: Der Zölibat führe zur Verkümmerung der menschlichen Existenz und verschulde “Verbrechen und Schandtaten”. Letztlich läuft diese Behauptung darauf hinaus, die Fruchtbarkeit der Lebensweise Jesu und vieler Heiliger, sowie die Sinnhaftigkeit des Evangelischen Rates zu bestreiten. Zuweilen in Verbindung mit solchen Argumenten, zuweilen unabhängig davon, werden Einwände gegen die Praxis der lateinischen Kirche vorgebracht:
Der sogenannte “Pflicht-Zölibat” sei das Haupthindernis, mehr gut-qualifizierte Bewerber für das Priesteramt zu bekommen. Der Zölibat sei ein Charisma, das nicht mit dem Priestertum notwendig verbunden, und zugleich nicht häufig genug gegeben sei; daher dürfe die Kirche es nicht zur Voraussetzung machen.

Offenkundige Infragestellung der sakramentalen Ehe

Was die Auseinandersetzung heute jedoch noch beträchtlich verschärft, ist die offenkundige Infragestellung der sakramentalen Ehe selbst: Warum sollte denn diese – wovon man im letzten Jahrhundert noch ausging – für einen Priester die einzige Alternative zum zölibatären Leben bleiben? Es bewahrheitet sich augenfällig, was Romano Guardini in seiner “Ethik” ausführte: Wenn Ehe und Sexualität banalisiert werden, dann schwindet auch das Verständnis für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen.

In der Tat, eine notwendige Verbindung zwischen dem Amt und diesem Charisma besteht nicht, wohl aber – mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils (PO n.16) – eine “vielfältige Entsprechung” (multiformis convenientia).

Das zölibatäre Leben wurzelt in der Erlösungsordnung. Das heißt, es zieht seine eigentliche “Logik” aus dem Glauben an die Inkarnation, mehr noch: die leibhafte Auferstehung Christi als den Beginn des Neuen Äon (Mt 22, 30; Lk 20, 35). Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass das Unverständnis für das zölibatäre Leben letztlich eine Glaubenskrise anzeigt, wie Karl Rahner früh anmerkte (1968): “Wir leben in einer Zeit, in der die Wirklichkeit Gottes und des ewigen Lebens vom Menschen nur schwer realisiert zu werden vermag … einer Zeit, die durch Stichworte wie Entmythologisierung, Entsakralisierung und durch die Tendenz charakterisiert ist, das ganze Christentum auf eine bloße Zwischenmenschlichkeit zu reduzieren.”

Wer die Frohe Botschaft verkündet – und das gehört zu den wesentlichen Aufgaben des Priesters – muss von der Wirklichkeit der Liebe Gottes sprechen, von den Gütern, welche die Seligpreisungen verheißen (Mt 5). Diese sind mehr als Vertröstungen; genug Anziehungskraft aber haben sie nur aus dem Glauben an Christus.

Ein Leben in freiwilliger Ehelosigkeit – nicht aus natürlicher Veranlagung, sondern “um des Himmelreiches willen” – ist somit mehr als Worte: ein starkes Zeugnis dafür, dass Gott wirklich “Liebe ist”, dass wir maßlos geliebt sind von ihm, schon jetzt in dieser Welt voll Zwielicht und Schatten. Dass nur Gott die letzte Erfüllung der menschlichen Person ist, und dass er es deswegen wert ist, aus Liebe zu Ihm auf eine Ehe zu verzichten. Was sagt es über unsere Zeit, ein solch prophetisches Zeichen ins Belieben zu stellen? Würde die Glaubenskrise dadurch behoben?

Christusnachfolge: personal, nicht funktional

Im Neuen Testament gibt es nur einen Priester: den Herrn, Bräutigam und Haupt seiner Kirche, die sein priesterlicher Leib ist (1 Petr 2, 5-9). Das sakramentale Dienstamt des Neuen Bundes ist dementsprechend in der Christologie verwurzelt; es existiert nur in Abhängigkeit von dem einzigen Hohenpriester Christus, und lässt sich daher weder aus dem Priestertum des Alten Bundes herleiten noch aus anderen religionsgeschichtlichen Phänomenen zureichend erklären. Dasselbe darf man konsequenterweise auch für den priesterlichen Lebensstil annehmen, der nicht einfach als Übernahme gängiger Vorstellungen von “kultischer Reinheit” abgetan werden kann. Es ist die Lebensweise Jesu.

Wer das Sakrament der Priesterweihe empfängt, wird befähigt, den Herrn der Kirche zu “repräsentieren”, Christus als das bleibende Gegenüber zur Kirche in ihr sichtbar zu machen – in der Verkündigung, den Sakramenten, und im selbstlosen Dienst am Heil.

Wer zum Priester geweiht wird, übernimmt jedoch nach katholischem Verständnis nicht einfach einen Dienst oder eine Aufgabe, im Sinn einer für die Gemeinschaft notwendigen Funktion, sondern wird in die besondere Nachfolge Christi gerufen. Er ist nicht einfach ein “Medium” oder “Werkzeug”, sondern ein “Zeuge”, ein “Freund” (Joh 15, 15), in eine Wirk-Gemeinschaft mit Christus gerufen (1 Kor 3, 9). Seine Aufgabe ist es, das übernatürliche Leben zu fördern, die Gläubigen “aufzubauen zu einer heiligen Opfergabe” (Presbyterorum Ordinis). Er hat nichts zu geben als das, was Christus gibt.

Aber genau dieses Weitergeben fordert ihn als Person. Wie sollte da eine Angleichung auch der Lebensweise an die Lebensweise Jesu, die evangelischen Räte, nicht “entsprechend” sein? Was das “Priestertum des ersten Grades” betrifft, das Bischofsamt, so ist diese Konvenienz auch in den östlichen Kirchen nicht strittig. Wessen erste Sorge dem Reich Gottes gelten muss (Mt 6, 33), der wird vermeiden, sich allzu häuslich einzurichten. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments gehört zum apostolischen Dienst das Verlassen des bisherigen Lebens und der eigenen Pläne, ja auch eine Distanz zur natürlichen Familie. Diese Berufung stellt einen Anspruch an die gesamte Lebensgestaltung.

Gerade wenn und weil die Ehe keine periphere Angelegenheit ist, sondern als einzigartige, ausschließliche Gemeinschaft eines Mannes mit einer Frau die beiden Personen in allen Dimensionen prägt und beansprucht, lässt sich Ehelosigkeit als angemessen verstehen für einen Menschen, der ganz-personal für den Auftrag Christi in Dienst genommen ist: nämlich “für die Vielen” da zu sein, mit denen er nicht durch Bande natürlicher Sympathie verbunden ist.

Damit soll eine besondere Qualität und Tiefe der Beziehungen zu den Menschen wachsen: Wer sich der eigenen Einsamkeit mit und für Christus jeden Tag stellt, der versteht auch in der Tiefe, was jedem Menschen nottut. Daher kann die Bereitschaft eines Kandidaten zum zölibatären Leben durchaus Kriterium dafür sein, ob er verstanden hat, dass er nicht für sich selbst Priester wird beziehungsweise sein Berufsbild selbst definiert, sondern dass Christus durch ihn Seine Hirten-Sorge ausüben will.

Gabe Gottes, aber auch Gabe an Gott

“Sich Christus, unserem Hohenpriester, täglich enger zu verbinden”, wie es in der Weiheliturgie heißt, bedeutet nicht eine rein äußerliche Nachahmung. Es geht nicht um funktionale Ziele wie leichtere “Verfügbarkeit”, und schon gar nicht um ein bequemeres Single-Dasein. Zölibatäres Leben ist Ausdruck der inneren Zugehörigkeit zu Christus, der Bereitschaft, ihn tatsächlich im täglichen, persönlichen Leben mitreden zu lassen. Eine Gabe Gottes, eine besondere Berufung, ein Charisma – aber auch Gabe eines Menschen an Gott. Die Ehelosigkeit ist eine sehr konkrete, auch in der Dimension des Verzichtes spürbare Form der Übereignung an Gott, in der sicheren Hoffnung auf Gottes fruchtbares Wirken, “zum Heil der Menschen”. Ein Charisma ist etwas anderes als eine natürliche Begabung oder Anlage, auch nicht nur eine persönliche Neigung. Da das Charisma der Person als einem freien Subjekt anvertraut wird, kann und muss der Empfänger sich zu dieser Gabe verhalten. Man kann sie stärken und hüten, ja, auch von Gott erbitten; ebenso wie man sie vernachlässigen, schädigen oder absterben lassen kann.

Hier tragen besondere Verantwortung diejenigen Personen, welche die Aufgabe der Begleitung und Unterweisung haben, und die bei der Unterscheidung von Berufungen mitwirken sollen. Die Berufung empfangen zu haben, heißt nicht, aller Anfechtung enthoben zu sein. Das Leben nach den evangelischen Räten gleicht weniger einem gemächlichen Spaziergang, sondern eher einer nicht ungefährlichen Bergtour (Dom Dysmas de Lassus). Die geistliche Tradition des Ostens wie des Westens war hier sehr realistisch: Nicht nur ein “entfesselter Magen und Kehle”, sondern auch Eitelkeit und Interesse an Gerüchten höhlen das zölibatäre Leben aus. Wer seinen Zorn, Ungeduld, geistliche Trägheit oder Genusssucht nicht bekämpft, oder gar leichtsinnig-selbstgewiss Gefahren geringschätzt, der riskiert den Absturz (vgl. Johannes Cassian, Collatio 12). Das zölibatäre Leben bedarf flankierender Tugenden – warum hört und liest man davon so wenig?

Zugleich besagt “Charisma” nie eine nur-private geistliche Gabe, sondern im Gegenteil: eine besondere Befähigung für den Nutzen der kirchlichen Gemeinschaft. Gäbe nun die Kirche ihre öffentlich-bekundete Wertschätzung des zölibatären Lebens von Priestern auf und stellte den Lebensstil ins persönliche Belieben, so würde das ehelose Leben eines Diözesan-Priesters im Grunde zu seiner Privatangelegenheit, die mit seinem kirchlichen Dienst wenig zu tun hätte. Es ist schwer einsichtig, dass sich dadurch nicht auch die Auffassung vom Priestertum selbst verändern würde. Es sollte vielmehr zu denken geben, dass in der Geschichte der Kirche nachhaltige geistliche Erneuerung stets mit einem Aufblühen des zölibatären Lebens einherging.

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