Wojtyłas nicht-hilfreiche Helfer

Warum manche polnischen Politiker, Priester und Publizisten ihr Engagement für Johannes Paul II. kritisch prüfen sollten


Quelle
Johannes Paul II. unter Verdacht: “Offenlegung” statt “Kopf in den Sand stecken” | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Wahrheit statt Polemik
Spezialisten sollen Dokumente aus Kommunismus-Ära prüfen
Vier polnische Priester im Nebel | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Missbrauch von Minderjährigen. Die Antwort der Kirche (vatican.va)
Papst: Minderjährige müssen sich in der Kirche sicher fühlen – Vatican News

16.03.2023 – Stefan Meetschen

Polen kommt nicht zur Ruhe. Auch eine Woche nach den publizistischen Enthüllungen zum Thema sexueller Missbrauch durch Priester der Diözese Krakau während der Amtszeit von Karol Wojtyła als Bischof hält das, wie es nun wirkt, lädierte Image des “größten Polen der Geschichte” Politiker, Priester und Publizisten auf Trab – nicht unbedingt zum Vorteil des Mannes, der 1978 zum Papst gewählt wurde und ein beispielloses Pontifikat hinlegte, das mit dem Fall des Kommunismus, den “Weltjugendtagen” und den “Gebetstreffen von Assisi” zahlreiche spektakuläre Gipfelpunkte hatte. Man kann sich fragen, ob diejenigen, die Wojtyła nun am lautesten und aggressivsten verteidigen, ihm damit wirklich den größten Dienst erweisen.

Kulturkampf statt Aufklärung

Etwa die nationalkonservative Regierungspartei-Partei PiS, die sich selbst trotz mancher Skandale als Hüterin von Recht und Ordnung im Land versteht. Schon unmittelbar nach den Enthüllungen stellte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in kämpferisch-trotziger Manier als Hintergrundbild bei seinem Social Media Auftritt ein Foto mit dem berühmten Appell des 2014 heiliggesprochenen Papstes, “Fürchtet Euch nicht!”, ein. Dabei blieb es nicht. Es folgte eine national-apologetische Fernsehansprache des Premiers, und schließlich zog die Regierung eine Resolution im polnischen Parlament (Sejm) durch, welche es verbieten soll, den “guten Namen” Johannes Pauls II. zu besudeln. Höhepunkt der parteipolitischen Instrumentalisierung im Wahljahr: PiS-Abgeordnete legten mit Fotos von Wojtyła in ihren Armen eine Art nationale Gedenkminute für den 2014 heiliggesprochenen Ausnahmepriester und Philosophen ein.

Ganz auf Linie mit derartigen Aktionen war das Verhalten des derzeitigen Krakauer Metropoliten Marek Jędraszewski, der in aktuellen Predigten auf diejenigen einschlug, welche für die Enthüllungen verantwortlich sein könnten. Von einem Kampf “gegen Polen” und einem “zweiten Attentat auf das Leben” des Papstes sprach der 73-Jährige, der einst als Emmanuel Levinas-Experte ein Meister der dialogischen Feinanalyse war. Das scheint lang her zu sein. Dabei besäße wohl ausgerechnet Jędraszewski die Schlüssel, um den Angriffs-Furor auf Wojtyła zu beruhigen – die Schlüssel zum Archiv der Erzdiözese Krakau nämlich: Sind die Vorwürfe der Enthüllungs-Journalisten, die sich auch auf Dokumente des kommunistischen Geheimdienstes stützen, in manchen Punkten tatsächlich haltlos – die kirchlichen Dokumente in Krakau könnten dies vermutlich belegen, wenn man unabhängigen und renommierten Experten Einsicht gewähren würde. Immerhin: langsam tut sich etwas. Am Dienstag dieser Woche wandten sich die polnischen Bischöfe am Ende ihrer Vollversammlung in Warschau mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit: man sei denen dankbar, die sich von Anfang an dafür eingesetzt hätten, “den guten Namen des Heiligen Papstes zu verteidigen”.

Spezialisten sollen Dokumente aus Kommunismus-Ära prüfen

Zur Frage der Verbrechen, die von einigen Geistlichen in der Vergangenheit an Minderjährigen begangen wurden, werde die Praxis des Umgangs mit diesen Problemen “Gegenstand der Arbeit von Spezialisten sein, wobei die Frage der Zuverlässigkeit von Dokumenten aus der kommunistischen Zeit zu berücksichtigen ist”. Aus Sorge um das Wohlergehen der Opfer beabsichtigen die Bischöfe, “ein solches Team zu bilden”, heißt es in dem Kommuniqué. Der Primas von Polen, Erzbischof Wojciech Polak, sagte während der Pressekonferenz zum Abschluss der Vollversammlung: “Das Team wird die Dokumente in den staatlichen und kirchlichen Archiven sorgfältig prüfen, um den Inhalt unter Berücksichtigung des Rechts und des Wissensstandes sowie des soziokulturellen Kontextes in seiner Gesamtheit darzustellen.” Ob es sich um externe, unabhängige Spezialisten handeln werde, dazu wurde nichts gesagt. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Team-Bildung aber gewiss. Mag sie auch spät erfolgen.

“Bekannter Mechanismus der Leugnung”

Vermutlich war der erhöhte mediale Druck einfach zu groß. Denn ob es unbedingt hilfreich war, dass ausgerechnet der langjährige Papst-Sekretär, Kardinal Stanisław Dziwisz, der vor zwei Jahren nach Ankündigung einer Bußwallfahrt die polnische Öffentlichkeit mit Badefotos überraschte, sich in der vergangenen Woche noch für seinen Herrn und Meister stark machte? Doch vielleicht hat dieses heillose Chaos, das im Groben zu dem passt, was der Warschauer Historiker Arkadiusz Stempin als den “bekannten Mechanismus der Leugnung” bezeichnet, auch etwas Gutes, weil es die polnische Kirche zwingt, zukünftig selbstkritischer und dialogorientierter zu sein, wie es sich nach der Vollversammlung nun abzeichnet. In diese Richtung gingen denn auch die Vorschläge von zwei Journalisten, denen man nicht vorwerfen kann, in den vergangenen Jahrzehnten unfair über Johannes Paul II. geschrieben zu haben, unmittelbar nach den Enthüllungen.

So schlug der Chefredakteur der renommierten katholischen Zeitschrift “Wieź” in Warschau, Zbigniew Nosowski, Folgendes vor – nämlich: “Die Antwort der Kirche auf die wiederholten Veröffentlichungen unabhängiger Journalisten sollte nicht in Verleugnung oder Rechtfertigungsversuchen bestehen, sondern: sich an die Brust zu schlagen; die kurialen Archive, auch die geheimen, zu öffnen; der Einsetzung einer unabhängigen Kommission zuzustimmen, die eine solide Analyse der menschlichen, theologischen und systemischen Bedingungen des Verfahrens der Deckung von Tätern durch Vorgesetzte vornimmt; die begangene Schuld zu beschreiben und einzugestehen; Konsequenzen gegen die Verantwortlichen für das größte Übel zu ziehen; das Aufspüren der vergessenen Täter; eine demütige Entschuldigung bei den Opfern; eine angemessene Wiedergutmachung; und eine gründliche Reform des kirchlichen Systems, einschließlich der Vervollständigung eines Präventions- und Erziehungssystems – damit die Gemeinschaft des Glaubens wirklich der sicherste Ort für Kinder und Jugendliche wird.”

Vieles davon ist in Polen dank Erzbischof Stanisław Gądecki sowie dem Jesuitenpater Adam Żak und der Psychotherapeutin Ewa Kusz, die vor neun Jahren ein Kinderschutzzentrum an der Ignatianum Akademie (“Centrum Ochrony Dziecka“) in Krakau gegründet haben, schon verwirklicht worden. Kusz wurde unlängst von Papst Franziskus als neues Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen berufen. Ein Dienst der wahren Freundschaft mit dem Evangelium und Johannes Paul II. in Einheit mit der Kirche und den Bischöfen vor Ort, wie sie für Katholiken unverzichtbar ist.

Papstpredigten im Propaganda-Stil

Auch ernst zu nehmen, sind die Ratschläge des bekannten Publizisten Tomasz Terlikowski (48), der es für wichtig hält, dass die Kirche aus ihren Fehlern beim Umgang mit Pädophilie in den eigenen Reihen lernt – etwa durch die Offenlegung von Dokumenten. Den Kopf in den Sand zu stecken, so Terlikowski, sei einer der Fehler der polnischen Kirche – gleich nachdem sie den Glauben auf die Figur von Johannes Paul II. aufgebaut habe, der im katholischen Glauben nicht wichtiger sei als Jesus Christus.

Wie sehr weiterhin aber auch manche polnischen Journalisten es vorziehen, den Kopf in den Sand zu stecken, sieht man daran, dass der Chefredakteur einer katholischen Zeitschrift jüngst ausgerechnet die liberale Journalistenlegende Adam Michnik angriff, weil er dessen Verteidigung der Person von Johannes Paul II. als eine Art postkommunistischen Trick empfindet; ein anderer katholischer Journalist hingegen hat einen “Marsch für Johannes Paul II.” am Todestag des Papstes (2. April) angekündigt. Den Vogel schießt aber der öffentlich-rechtliche Sender “TVP” ab: jeden Abend zu den Nachrichten im PiS-Propagandastil werden nun fünf Minuten einer Predigt von Johannes Paul II. ausgestrahlt – zum Schutze seiner Person und der Nation. So gut diese Impulse auch waren, es ist ein Griff ins falsche Archiv.

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