Habermas antwortet – eine Erinnerung

Die Antwort des deutschen Philosophen auf die ‘Regensburger Enzyklika’ Benedikts XVI.

Fünf Jahre Regensburger-Enzyklika
Vatikan “Vorlesung von Benedikt XVI. für die römische Universität ‘La Sapienza'”
Vatikan – Ansprache von Benedikt XVI. an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der römischen Kurie beim Weihnachtsempfang
Jürgen Habermas

Zum 85. Geburtstag von Jürgen Habermas

Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 18. Juni 2014

Das Schweigen war gebrochen. Fast auf den Tag genau vier Monate hatte es gedauert, bis der wohl wichtigste lebende deutsche Philosoph seine Antwort auf die Regensburger Rede Benedikts XVI. zum Verhältnis von Glauben und Vernunft gegeben hatte. Jürgen Habermas tat dies in einem Aufsatz in der “Neuen Züricher Zeitung” vom 10. Februar 2007 mit dem Titel: “Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft”.

Wer sich damals nicht von künstlich und willentlich aufgebauten Polemiken ablenken lassen hat – Polemiken, die die Vorlesung des Papstes auf einen inhaltlich sekundären Aspekt reduzierten und meinten, in Benedikt XVI. den Vorreiter eines neuen Kreuzzuges sehen zu müssen, der auf hochmütige Art andere Religionen und Weltanschauungen abqualifiziert – wartete schon lange auf diese Fortsetzung eines idealen Dialogs. Wenige Stimmen liessen sich bisher auf das eigentliche Anliegen des Papstes ein: Er hatte sich an die Intellektuellen gewandt und sie dazu aufgefordert, zusammen mit ihm über die geschichtliche Entstehung und die systematischen Folgen eines neuzeitlichen Vernunftbegriffs nachzudenken, der ausgehend von der Hochburg seiner Herrschaft – den Gesellschaften des ehemals christlichen Abendlandes – seinen Siegeszug über die Welt angetreten hat, diese zu einem grossen Teil beherrscht und mit anderen Sichten der Verwirklichung des Menschseins in Konflikt gerät.

Dabei ist die islamische Religion ist dabei der an erster Stelle zu zitierende streitfähige Gegner, kehrt sie sich doch als „heisse“ Religion gegen eine „kalte“, verrechnende Vernunft, die sich von Gott verabschiedet hat und ihm in der Welt und der Gesellschaft keinen anderen Raum mehr zuweisen will als den der radikalen Innerlichkeit. Gott und Glauben sind für die westliche Welt etwas, das es auch geben kann, das auch wichtig sein kann – vielleicht nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das Göttliche als konstitutives Prinzip des Seins und dessen transzendentaler Erfassung zu erkennen – das fällt dem von Machtgier, Konsumismus und Gefühlsgefangenschaft geschlagenen Abendland schwer. Jürgen Habermas antwortet. Für ihn ist das Ergebnis der geschichtlichen Analyse der Entwicklung der modernen und postmodernen abendländischen Vernunft, die Benedikt XVI. unter den Begriff der „dreistufigen Enthellenisierung“ gesetzt hatte, „unerwartet modernitätskritisch“. Der Papst habe damit eine negative Antwort auf die Frage gegeben, „ob sich die christliche Theologie an den Herausforderungen der modernen, der nachmetaphysischen Vernunft abarbeiten muss.“ Für Habermas bleibt es unverständlich, dass sich der Papst „auf die von Augustin bis Thomas gestiftete Synthese aus griechischer Metaphysik und biblischem Glauben“ beruft. Somit bestreite Benedikt XVI., dass „es für die in der europäischen Neuzeit faktisch eingetretene Polarisierung von Glauben und Wissen gute Gründe gibt“. Benedikt XVI. fährt für Habermas trotz der Anerkennung der Leistung der Aufklärung und trotz der Leugnung einer Rückkehrbewegung hinter die Aufklärung damit fort, „sich gegen die Kraft der Argumente zu stemmen, an denen jene weltanschauliche Synthese (im augustinischen und thomasischen Sinn) zerbrochen ist“. Habermas hebt hervor, dass die Wendung zum Nominalismus nicht nur zu einem „protestantischen Willensgott“ jenseits der Harmonie von Glauben und Vernunft geführt habe, sondern auch zur Methode der modernen Naturwissenschaften. Gleiches gelte für die Kritik der Vernunft Immanuel Kants. Sie habe nicht nur die Kritik der Gottesbeweise zur Folge, sondern vor allem einen „Autonomiebegriff, der unser modernes Verständnis von Recht und Demokratie erst möglich gemacht hat“. Habermas hält es nicht für hilfreich, die von Benedikt XVI. diagnostizierten Phasen des Enthellenisierungsprozesses, die für den Philosophen „zum modernen Selbstverständnis der säkularen Vernunft beigetragen haben, aus der Genealogie der ‚gemeinsamen Vernunft’ von Gläubigen, Ungläubigen und Andersgläubigen auszublenden“. Kurzum: Der Philosoph hätte vom Theologen auf der Cathedra Petri nicht nur mehr gewollt, sondern anderes. Dieses andere könnte zweifach formuliert werden: Habermas hätte entweder gewollt, dass es Benedikt XVI. eindeutig gelingt, die metaphysische Vernunft mit der postmetaphysischen Vernunft der Nachmoderne auszusöhnen. Die seinen Zeilen zu entnehmende Enttäuschung lässt vermuten, dass er für ein derartiges Vorhaben keine Möglichkeit sieht. Implizit wirft Habermas Benedikt XVI. vor, dass er trotz allen Interesses für die Entwicklung der modernen Vernunft und trotz der Anerkennung ihrer objektiven Errungenschaften eine Art „Traum eines Geistersehers“ träumt – zwar kein eindeutiges „Zurück!“, aber doch ein „Fides quaerens intellectum“ im streng ausgustinischen und somit vorphilosophischen Sinn. Das heisst: Der schon und immer glaubende Glaube tritt mit einer Vernunft in einen Dialog, innerhalb dessen es a priori ausgeschlossen ist, dass die Vernunft Glaubenswahrheiten korrigieren kann oder den Glauben sogar begründen müsste. Mit anderen Worten: Das Denken der Vernunft und die logische Instrumentalisierung des Verstandes sind der seinsmässigen Wahrheit des universalen Logos immer nachgeordnet. Oder: Habermas hätte es gern gesehen, dass Benedikt XVI. dem glaubenden Denken eine „geschichtliche Erweiterung“ beibringt. Diese müsste für ihn dann wohl darin bestehen, dass es dem katholischen Philosophen und dem Theologen gelingt, die Schöpfung, den endlichen Menschen und die Allmacht des Schöpfers – ohne die Offenbarung als Geschichte Gottes mit dem Kosmos und dem Menschen idealistisch zu vermindern und die Gebote Gottes nur als Chiffren einer unfassbaren Weltweisheit zu verstehen – in einer positiven Aufarbeitung sowohl der theonomischen als auch der säkularen Vernunft zusammenzubringen. Das heisst: Die von Benedikt XVI. gewünschte neue „Harmonie von Vernunft und Glauben“ müsste in sich imstande sein, das katholische Verständnis des Seins und des Menschen in radikaler Weise (auch auf Kosten einer tiefen Einschränkung des Erbes der Tradition) neu zu formulieren und sich in die Positivität der säkularen Vernunft hineinzubegeben. Beide Ansprüche des Philosophen an den Papst sind extrem hoch und weit gefasst: Ist es doch gerade der Philosophie in den letzten sechzig Jahren nicht gelungen, nach dem verkündeten und real vollzogen Tod der Metaphysik auch nur einen einzigen neuen spekulativen Ansatzpunkt zu bieten. In seiner Weihnachtsansprache vor der römischen Kurie am 22. Dezember 2006 sprach Benedikt XVI. seine Begegnung im Jahr 2004 mit Jürgen Habermas im Rahmen einer Veranstaltung der Katholischen Akademie in Bayern an. Damals setzten sich der Präfekt der Glaubenskongregation und der grosse Philosoph mit dem Thema der „vorpolitischen moralischen Grundlagen eines freiheitlichen Staates“ auseinander. Benedikt XVI. erinnerte vor der Kurie an die Äusserung von Habermas, dass Denker notwendig seien, „die die im christlichen Glauben verschlüsselten Einsichten in die Sprache der säkularen Welt zu übersetzen vermöchten, um sie so auf neue Weise zur Wirkung zu bringen“. Für Benedikt XVI. besteht somit die vornehmliche Aufgabe des Philosophen in einer Übersetzung. In seinem Aufsatz beschäftigt sich auch Habermas mit der Notwendigkeit des Übersetzens. Glaube, Religion und Vernunft dürfen für ihn auf keinen „schwiemeligen Kompromiss zwischen Unvereinbarem“ aus sein. Die real existierende Alternative zwischen „anthropozentrischer Blickrichtung und dem Blick aus der Ferne des theo- oder kosmozentrischen Denkens“ muss für Habermas ernst genommen werden. Sie sind zu einem Dialog zu führen, der unter zwei Bedingungen steht: „Die religiöse Seite muss die Autorität der ‚natürlichen’ Vernunft, also die fehlbaren Ergebnisse der institutionalisierten Wissenschaften und die Grundsätze eines universalistischen Egalitarismus in Recht und Moral, anerkennen. Umgekehrt darf sich die säkulare Vernunft nicht zur Richterin über Glaubenswahrheiten aufwerfen, auch wenn sie im Ergebnis nur das, was sie in ihre eigenen, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig akzeptiert“. Für Habermas – und damit kommt er mit Benedikt XVI. überein – besteht das Motiv seiner Beschäftigung mit dem Thema „Glauben und Wissen“ im Wunsch, „die moderne Vernunft gegen den Defaitismus, der in ihr selber brütet, zu mobilisieren“. Dies möchte er in theoretischer und praktischer Hinsicht zustande bringen: Theoretisch muss das Denken für Habermas mit dem „wissenschaftsgläubigen Naturalismus“ aufräumen (und kann dies leisten). Praktisch braucht das Denken einen geschichtsphilosophischen Hintergrund, „weil die Tendenzen einer entgleisenden Modernisierung den Geboten ihrer Gerechtigkeitsmoral weniger entgegenkommen als entgegenarbeiten“. Mit beiden Forderungen steht Habermas in direktem Gespräch mit Benedikt XVI., auch wenn dieser, trotz der positiven und objektiven Anerkennung des wissenschaftlichen Fortschrittes, vor allem vor der Macht des Menschen, die er durch die Wissenschaften erlangt hat, warnt, insofern sie „immer mehr zu einer Gefahr wird, die ihn selbst und die Welt bedroht“ (22.12.2006): „Unser Erkennen wächst, aber zugleich gibt es eine Erblindung der Vernunft für ihre eigenen Gründe; für die Massstäbe, die ihr Richtung und Sinn geben“. Es ist fast unentscheidbar, wer hier spricht: Benedikt XVI. oder Jürgen Habermas. Beide stehen gemeinsam vor demselben Problem, vor derselben oft aussichtslos erscheinenden Wirklichkeit des „Defaitismus der postmodernen Vernunft“. Warum also scheint Habermas so unzufrieden zu sein? Er merkt, dass seine Geschichtsphilosophie im Letzten nicht mit dem weiten Atem der metaphysischen Geschichte des Seins und dem des Denkens Benedikts XVI. übereinkommen kann, weil dessen Anspruch für ihn „zu gross“ ist. Benedikt XVI. weiss genau, dass die ehemalige Synthese von Glauben und Vernunft, von Glauben und Wissen, von Glauben und Denken zerbrochen ist. Benedikt XVI. dürfte der letzte sein, der nach einer „heilen Welt“ schmachtet, die in irgendeiner Vergangenheit zu finden wäre. Eine Synthese ist „in der Welt“ ebenso zerbrochen wie „in der Kirche“, und keine oberflächlichen Bekenntnisse zu „Thomismen“ oder „Scholastiken“ kann da etwas ändern, im Gegenteil. In der Welt ist sie zerbrochen, weil der Mensch zum „homo faber“ der Technik und der wissenschaftlichen Weltbemächtigung geworden ist. In der Kirche ist sie zerbrochen, weil die Sirenen der Verinnerlichung der Glaubens ihr Lied der ungeschichtlichen Unmittelbarkeit süss und annehmend angestimmt hatten und immer noch weiter singen. Benedikt XVI. will anderes: Er will, dass auf die Gründe des Zerbrechens geschaut wird. Er will kein Zusammenkleben von Scherben, keine angebrochenen Vasen im Regal, sondern einen neuen Aufbruch im Denken, der notwendig ein neuer Aufbruch im Glauben wird, und umgekehrt. Mit anderen Worten: Der Papst forderte mehr ein, als die Philosophen bisher geben konnten. Benedikt XVI. will aus der mühseligen Trägheit erwecken. Er war auf der Suche nach Denkern, die dem Christentum und der Geschichte des Denkens, die Geschichte der Menschheit ist, gewachsen sind. Jürgen Habermas gehört zweifellos zu diesen Denkern, dies um so mehr und gerade weil er sich mit der Macht seines Geistes mit der Forderung nach der Wahrheit des universalen Logos kontrovers auseinandersetzt.

Jürgen Habermas feiert am heutigen 18. Juni seinen 85. Geburtstag. Ad multos annos!

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