12. Sept. 2006–2011: 5 Jahre “Regensburger Enzyklika”

Benedikt XVI. und Jürgen Habermas im Gespräch

Die ‚polyphone Korrelationalität’ von Vernunft und Glauben: Benedikt XVI. und Jürgen Habermas im Gespräch. Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) 12. September 2006

Während seiner zweiten Apostolischen Reise nach Deutschland hält Papst Benedikt XVI. seine nunmehr berühmt gewordene “lectio magistralis” an der Universität Regensburg zum Thema: “Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen”. Die Reaktionen auf diese Ansprache des Papstes in der islamischen Welt sowie die damit verbundenen Probleme im Bereich der journalistischen Kommunikation gehören zur Geschichte dieses Pontifikats. Umso interessanter ist es, einen Rückblick auf eine “andere Reaktion” zu halten, die im Zeichen eines der Grundthemen der Lehre Benedikts XVI. stand und das eigentliche Anliegen des Papstes traf und heute noch trifft. Denn auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas hatte auf die Worte Benedikts XVI. in Regensburg reagiert.

Die Begegnung zwischen Joseph ist nunmehr schon Teil der Geschichte der grossen Ereignisse des intellektuellen Lebens Deutschlands. An jenem Abend diskutierten die beiden über die vorpolitischen moralischen Grundlagen eines freiheitlichen Staates. Habermas äusserte dabei ausdrücklich eine Position, die sich in seinem Denken seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts immer deutlicher ausgeprägt hat: Der säkulare Staat kommt in einen Argumentationsverzug hinsichtlich seiner Grundlagen, wollte er sie allein aus einem positivistisch orientierten Säkularismus heraus behaupten, an dessen Basis ein selbstgenügsames Konsensprinzip steht. “Eine liberale politische Kultur kann sogar von den säkularisierten Bürgern erwarten”, so Habermas damals, “dass sie sich an Anstrengungen beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen”. Aus diesem Grund sei es dann gerade Pflicht des säkularisierten Bürgers, “weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotenzial absprechen, noch den gläubigen Bürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen”. Somit verwunderte es nicht, dass sich nach der Regensburger Rede Benedikts XVI. über das Verhältnis von Glauben und Vernunft der Blick auch auf Habermas richtete. Und da geschah das Merkwürdige: Um eine Stellungnahme gebeten erwiderte Habermas nur, er sei “entsetzt”. Und die Frage kam auf: Warum? Der Philosoph antwortete in einem Aufsatz in der “Neuen Züricher Zeitung” vom 10. Februar 2007 mit dem Titel: “Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft”. Auch die Vorsehung schien sich dann noch einzuschalten. Denn am 12. Februar 2007 hielt der Papst eine Ansprache zum Problem des Naturrechts. Benedikt XVI. griff somit ein Thema auf, das Kardinal Ratzinger im Jahr 2004 in seiner Auseinandersetzung mit Habermas nicht weiterführend behandelt hatte. Damals hatte er gesagt, dass das Naturrecht insbesondere in der katholischen Kirche die Argumentationsfigur geblieben sei, “mit der sie in den Gesprächen mit der säkularen Gesellschaft und mit anderen Glaubensgemeinschaften an die gemeinsame Vernunft appelliert und die Grundlagen für eine Verständigung über die ethischen Prinzipien des Rechts in einer säkularen pluralistischen Gesellschaft sucht”. Aber dieses Instrument sei, so antwortete Kardinal Ratzinger auf eine kritische Nachfrage des Philosophen Robert Spaemann, als objektivierender Schlüsselbegriff, mit dem man den Wahrheitsanspruch der Christentums auszudrücken pflegte, de facto “stumpf” geworden.

Folgerichtig mahnte der Papst dann am 12. Februar 2007 an, dass die Wahrheit des Naturrechtes wieder zu entdecken sei. Wie Benedikt XVI. im Verlauf seines Pontifikats dann mehrmals sagen sollte, ist das Naturrecht die Quelle, “aus der zusammen mit Grundrechten auch sittliche Gebote entspringen, deren Einhaltung verpflichtend ist”. In das Sein des Menschen ist, so der Papst, eine ethische Botschaft eingeschrieben, die nicht rechtspositivistisch eliminiert werden kann. Das Naturrecht ist das “einzig gültige Bollwerk gegen die Willkür der Macht oder die Täuschungen der ideologischen Manipulation”.

Benedikt XVI. und Jürgen Habermas setzten also fast zeitgleich aus der Distanz einen idealen Dialog fort, der im Jahr 2004 begonnen hatte. Habermas antwortete auf die Regensburger Rede – und umso mehr verwundert heute sein “Entsetzen” im September 2006. Der Theologe auf dem Stuhl Petri und der Philosoph scheinen nämlich von einer analogen Analyse der Zeit auszugehen. Das von Machtgier, Konsumismus und Gefühlsbefangenheit geschlagene Abendland riskiert es, sich in sich selbst zu verschliessen, wenn es sich nicht der Herausforderung des Verhältnisses von transzendentem Glauben und immanenter “Arbeit am Begriff” stellt. Habermas sieht hierbei keinen “schwiemeligen Kompromiss” zwischen Unvereinbarem. Die moderne Vernunft darf sich nicht “um die Alternative zwischen anthropozentrischer Blickrichtung und dem Blick aus der Ferne des theo- oder kosmozentrischen Denkens herumdrücken”.

Benedikt XVI. forderte in Regensburg eine “Erweiterung des Vernunftbegriffs”. Es geht dem Papst nicht um eine Rücknahme oder eine negative Kritik der Möglichkeiten, die die Wissenschaften dem Menschen erschlossen haben, “sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen, und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinander finden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen”. Bereits im Jahr 2004 hatte Kardinal Ratzinger die Hörbereitschaft der Vernunft gegenüber den grossen religiösen Überlieferungen der Menschheit angemahnt. Dabei sprach er von einer notwendigen “polyphonen Korrelationalität” und Komplementarität von Vernunft und Glaube, “die zu gegenseitiger Reinigung und Heilung berufen sind und die sich gegenseitig brauchen und das gegenseitig anerkennen müssen”.

Für Habermas besteht das Motiv seiner Beschäftigung mit dem Thema “Glaube und Wissen” im Wunsch, “die moderne Vernunft gegen den Defaitismus, der in ihr selber brütet, zu mobilisieren”. Dies möchte er in theoretischer und praktischer Hinsicht zustande bringen: Theoretisch muss das Denken für Habermas mit dem “wissenschaftsgläubigen Naturalismus” aufräumen (und kann dies leisten). Praktisch braucht das Denken einen geschichtsphilosophischen Hintergrund, “weil die Tendenzen einer entgleisenden Modernisierung den Geboten ihrer Gerechtigkeitsmoral weniger entgegenkommen als entgegenarbeiten”.

So erklärte auch Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie am 22. Dezember 2006 in Bezug auf seine Ansprache in Regensburg: “Unser Erkennen wächst, aber zugleich gibt es eine Erblindung der Vernunft für ihre eigenen Gründe; für die Massstäbe, die ihr Richtung und Sinn geben”. Es ist fast unentscheidbar, wer hier spricht: der Papst oder Jürgen Habermas. Beide stehen gemeinsam vor demselben Problem, vor derselben oft aussichtslos erscheinenden Wirklichkeit der Zersetzung der postmodernen Vernunft.

Was war also der Anlass für Habermas’ Entsetzen im September 2006? Es bleibt ziemlich unverständlich. Wahrscheinlich hätte Habermas nicht nur mehr gewollt, sondern anderes. Zum einen hätte er sich erwartet, dass Benedikt XVI. das gelingt, was er selbst für unmöglich hält: eine systematische Aussöhnung der metaphysischen Vernunft mit der postmetaphysischen Vernunft der Nachmoderne.

Zum anderen hätte er es wohl gern gesehen, dass Benedikt XVI. dem glaubenden Denken eine “geschichtliche Erweiterung” beibringt. Die vom Papst gewünschte neue Harmonie von Vernunft und Glauben müsste in sich imstande sein, das katholische Verständnis des Seins und des Menschen in radikaler Weise (auch auf Kosten einer tiefen Einschränkung des Erbes der Tradition) neu zu formulieren und sich in die Positivität der säkularen Vernunft hineinzubegeben. Denn Habermas stellt einen “Riss zwischen Weltwissen und Offenbarungswissen” fest, der nicht mehr zu kitten sei. Der Riss führt für ihn zum Verlust des Selbstverständnisses der modernen Vernunft: Diese “wird sich selbst nur verstehen lernen, wenn sie ihre Stellung zum zeitgenössischen, reflexiv gewordenen religiösen Bewusstsein klärt, indem sie den gemeinsamen Ursprung der beiden komplementären Gestalten des Geistes aus jenem Schub der Achsenzeit begreift”.

Benedikt XVI. jedoch will mehr. Dieses Mehr ist das Ergebnis einer anderen Sicht der Geschichte. Der Papst will nicht, wie Habermas ihm vorwirft, in eine Situation “vor dem Riss” zurück. Der Papst fordert die Denker dazu auf, angesichts der objektiven Schwierigkeiten der säkularisierten Vernunft diese mit einem Glauben kommunizieren zu lassen, der in eine grössere Vernünftigkeit eingeschrieben ist.

Der Papst ist auf der Suche nach Denkern, die dem Christentum und der Geschichte des Denkens, die die Geschichte der Menschheit ist, gewachsen sind; Denker “die die im christlichen Glauben verschlüsselten Einsichten in die Sprache der säkularen Welt zu übersetzen vermöchten, um sie so auf neue Weise zur Wirkung zu bringen”.

Quelle
2004: Kardinal Ratzinger/ Jürgen Habermas
NZZ:
Regensburger-Enzyklika: 1 Jahr danach
Ansprache.2006: Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen
Offener.Brief an Papst Benedikt XVI.
Ein.gemeinsames.Wort
Weihnachtsansprache des Papstes an die Kurie

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