Das Kreuz: berührbares Zeichen der Liebe, Mass der Güte Gottes

Der päpstliche Hubschrauber konnte den auf 1.283 Meter Höhe gelegenen Ort nicht anfliegen 

Die tiefgehende Meditation Benedikts XVI. über Christsein, Priestertum und Sendung, die er für die Begegnung im Franziskus-Heiligtum von La Verna (Arezzo) vorbereitet hatte. Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 14. Mai 2012

Das Wetter machte einen Strich durch die Rechnung: ursprünglich sollte Papst Benedikt XVI. im Rahmen seiner 26. Reise innerhalb Italiens, die ihn am vergangenen Sonntag in die Toskana führte, das Franziskus-Heiligtum auf dem Berg La Verna 45 Kilometer nördlich von Arezzo im Casentino-Tal besuchen. Dort hatten ihn verschiedene Minoritengemeinschaften, die Klarissenschwestern der Toskana und die Ordensschwestern von Chiusi della Verna erwartet. Sie wurden enttäuscht. Aufgrund heftiger Windböen und Nebel musste der Besuch am Nachmittag nach langer Überlegung kurzfristig abgesagt werden. Der päpstliche Hubschrauber konnte den auf 1.283 Meter Höhe gelegenen Ort nicht anfliegen.

Für Benedikt XVI. hat La Verna eine besondere Bedeutung, an die er noch als Kardinal bei einem früheren Besuch im Jahr 1988 erinnert hatte: Der Ort inspirierte den Kirchenlehrer Bonaventura (1221-1274) und Lehrer Joseph Ratzingers zu seinem mystisch inspirierten Hauptwerk “Itinerarium mentis in Deum”. Der Papst hatte für seine Begegnung mit den Ordensleuten eine tiefgehende Meditation vorbereitet, in deren Mittelpunkt er in direkter Verbindung mit dem franziskanischen Pilgerort Christsein, Priestertum und Sendung stellte und über die Betrachtung des Kreuzes nachdachte.

Benedikt XVI. erinnerte daran, dass der heilige Franziskus an jenem Ort die Stigmate als Wunden der glorreichen Passion Christi empfangen habe. Sein Weg als Jünger habe ihn zu einer so tiefgehenden Einheit mit Christus geführt, dass er auch die äusseren Zeichen des höchsten Aktes der Liebe des Kreuzes geteilt habe.

Das glorreiche Kreuz Christi “fasst in sich die Leiden der Welt zusammen, doch es ist vor allem berührbares Zeichen der Liebe, Mass der Güte Gottes zum Menschen”. An diesem Pilgerort seien die Menschen dazu aufgerufen, die übernatürliche Dimension des Lebens neu zu gewinnen, “die Augen von dem zu erheben, was kontingent ist, um dazu zurückzukehren, sich voll dem Herrn anzuvertrauen, mit freiem Herzen und in vollkommener Freude, in Betrachtung des Gekreuzigten, damit er uns mit seiner Liebe verletze”.
Nur wenn man sich von der Liebe Gottes erleuchten lasse, “können der Mensch und die Natur ausgelöst werden, die Schönheit kann endlich den Glanz des Antlitzes Christi widerspiegeln, wie der Mond die Sonne widerspiegelt”, so Benedikt XVI. Das Blut Christi, das aus dem glorreichen Kreuz fliesse, “belebt die vertrockneten Gebeine des Adams, der in uns ist, damit ein jeder die Freude wiederfinde, sich auf den Weg der Heiligkeit zu machen, hinaufzusteigen, hin zu Gott”.

Die Betrachtung des Kreuzes sei Werk des Geistes, doch sie könne sich nicht in die Höhe befreien ohne die Unterstützung und Kraft der Liebe. Benedikt XVI. erinnerte daran, dass an jenem Ort Bonaventura da Bagnoreggio sein “Itinerarium mentis in Deum” geplant und den Weg gezeigt habe, den es zu beschreiten gelte, um zu den Gipfeln zu gelangen, auf denen Gott begegnet werden könne. Bonaventura lade zum Gebet ein. Seine Gedanken richteten sich an die Passion des Herrn, “da es das Kreuzesopfer ist, das unsere Sünde auslöscht, einen Mangel, der allein von der Liebe Gottes erfüllt werden kann”.

Um wirksam zu sein, bedürfe unser Beten der Tränen, das heisst der Liebe, die auf die Liebe Gottes antworte. Dann sei die “admiratio” notwendig, die Bonaventura in den Niedrigen der Evangelien sehe, die zum Staunen über das heilbringende Werk Christi fähig seien: “Gerade die Demut ist die Tür zu einer jeden Tugend”, so der Papst: “Denn nicht mit dem intellektuellen Stolz der in sich selbst verschlossenen Forschung kann Gott erreicht werden, sondern mit der Demut”.

Die Betrachtung des Gekreuzigten “ist von ausserordentlicher Wirksamkeit, da sie uns von der Ordnung der gedachten Dinge zur gelebten Erfahrung übergehen lässt; vom erhofften Heil zur seligen Heimat”, so Benedikt XVI.: “Das ist das Herz der Erfahrung der Verna, der Erfahrung, die hier der Poverello von Assisi machte. Auf diesem heiligen Berg lebt Franziskus in sich selbst die tiefe Einheit zwischen Nachfolge, ‚imitatio’ und ‚conformatio’ Christi. Und so sagt er auch uns, dass es nicht genügt, sich als Christen zu erklären, um Christen zu sein, und ebenso wenig zu versuchen, Werke des Guten zu vollbringen. Es ist notwendig, sich Jesus anzugleichen, verbunden mit einem langsamen, fortschreitenden Einsatz für die Verwandlung des eigenen Seins nach dem Bild des Herrn, damit durch göttliche Gnade ein jedes Glied seines Leibes, der die Kirche ist, die notwendige Ähnlichkeit mit dem Haupt, Christus, dem Herrn, aufweise”. Auch auf diesem Weg gehe man von der Selbsterkenntnis aus, “von der Demut, aufrichtig in sein Inneres zu blicken”.

Das Mittelalter habe unauslöschliche Zeichen in der Kirche von Arezzo hinterlassen. Der heilige Franziskus habe sich oft an diesen Orten aufgehalten, bis hin zum einzigartigen und grundlegenden Ereignis des Empfangs der Wundmale in La Verna. Benedikt XVI. erinnerte an die vielen Heiligen, die das Land hervorgebracht habe. Die Gottes- und Nächstenliebe fahre fort, das kostbare Werk der Franziskaner zu beseelen: “An diesem gesegneten Ort bitte ich den Herrn, Arbeiter in seinen Weinberg zu senden”. Vor allem an die jungen Menschen richtete der Papst den dringlichen Aufruf, grossherzig auf den Ruf Gottes zu antworten und sich mutig dem geweihten Leben und dem Priestertum zu schenken.

Abschliessend betonte Benedikt XVI., dass die Liebe zu Christus die Grundlage des Lebens des Hirten wie der geweihten Personen sei. Es sei dies eine Liebe, die vor dem Einsatz und der Mühe keine Angst habe: “Bringt diese Liebe zum Menschen unserer Zeit, der oft im eigenen Individualismus verschlossen ist; seid Zeichen der unendlichen Barmherzigkeit Gottes. Die priesterliche Frömmigkeit lehre die Priester, das zu leben, was sie feiern, das eigene Leben für den zu brechen, dem wir begegnen: im Teilen des Schmerzes, in der Aufmerksamkeit gegenüber den Problemen, in der Begleitung des Wegs des Glaubens.

Franziskaner  von La Verna

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