Papst trifft Roma

Papst trifft Roma: “Nein zur Gettoisierung von Menschen”

Quelle
Wortlaut: Papstrede an Roma in Košice
Dom der Hl. Elisabeth in Kosice

Eigentlich hat Košice, die zweitgrösste Stadt der Slowakei, viele malerische Seiten – etwa die gotische Elisabeth-Kathedrale, grösste Kirche im Land. Aber dem Papst aus Rom ging es an diesem Dienstagabend in Košice nicht um Sightseeing. Auf seinem Programm stand vielmehr unter anderem ein Besuch bei Roma im Problemstadtteil Lunik IX.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Die Plattenbau-Siedlung liegt am äussersten Rand der EU und bietet ein ausgesprochen desolates Bild: Wohnungen (fast) ohne Gas und Leitungswasser, herumfliegender Müll, Autowracks. In den späten achtziger Jahren siedelte das damalige kommunistische Regime hier zwangsweise Angehörige der Roma-Minderheit an. Zunächst waren auch Soldaten und Lehrer dort untergebracht. Doch die suchten bald ihr Heil in der Flucht. Ergebnis: ein Ghetto.

“In diesem Viertel aufzuwachsen ist schwierig”, sagt ein Ehepaar dem Papst bei seinem Termin in Lunik IX. “Zum Glück konnten wir einen Kredit aufnehmen und in einen anderen Teil von Košice ziehen. Dadurch können wir unseren Kindern heute ein glücklicheres, würdigeres und friedlicheres Leben bieten.”

Arbeitslosigkeit, Elend und Kriminalität zwischen Plattenbauten

Nicht alle hatten soviel Glück: Etwa 4.300 Roma müssen derzeit ihr Leben in der Trabantenstadt fristen. Die meisten von ihnen sind arbeitslos, schlagen sich mit kümmerlicher Sozialhilfe durch, auch Kleinkriminalität gedeiht in diesem tristen Umfeld. Seit 2008 hat sich immerhin die Ordensfamilie der Salesianer des Viertels angenommen; sie bemühen sich darum, dass die Kinder in die Schule gehen und die Älteren eine Beschäftigung finden.

“Viele Roma, die Jesus Christus kennen und annehmen, haben sich für ein neues Leben entschieden”, sagt Pater Peter Bešenyei, Roma-Seelsorger in Košice, in einer Rede beim Empfang des Papstes vor dem Pastoralzentrum der Salesianer.

Papst bat 2019 rumänische Roma um Vergebung

“Die katholische Kirche setzt sich sehr für die Roma ein, auch wenn dieses Engagement von staatlicher Seite vernachlässigt und nicht gewürdigt wird. Heiliger Vater, wir glauben, dass Ihre Anwesenheit an diesem Ort hier dazu beiträgt, dass wir trotz unserer Unterschiede eine grössere Einheit erreichen und den Weg zu einem friedlicheren Zusammenleben durch gegenseitige Wertschätzung, Versöhnung und Vergebung beschreiten können.”

Franziskus hat schon bei seiner Reise durch Rumänien im Juni 2019 Roma getroffen. Dabei bat er sie auch “im Namen der Kirche um Vergebung dafür, wenn wir euch im Laufe der Geschichte diskriminiert, misshandelt oder falsch angeschaut haben”. In Košice wiederholte er diese Vergebungsbitte nicht; stattdessen mahnte er, dass sich in der Kirche niemand “fehl am Platz oder beiseitegeschoben” fühlen dürfe.

“Die Kirche ist euer Haus“

“Das ist nicht nur eine Redensart, sondern ein Merkmal von Kirche-sein… Ja, die Kirche ist euer Haus. Deshalb – ich möchte es euch von Herzen sagen – seid willkommen, fühlt euch immer zuhause in der Kirche und habt keine Angst, darin zu wohnen. Keiner halte euch oder jemand anders von der Kirche fern!”

Zwar sei es auch unter Christen keineswegs einfach, sich über Vorurteile hinwegzusetzen und über andere nicht zu urteilen. Doch habe Jesus im Evangelium eindeutig dazu aufgefordert: “Richtet nicht!” (Mt 7,1).

“Wenn man die Eingeschlossenheit schürt, bricht früher oder später Wut aus”

“Das Evangelium darf nicht versüsst, nicht verwässert werden. ‘Richtet nicht’, sagt uns Christus… Wie oft sind die Urteile in Wirklichkeit Vorurteile, wie oft etikettieren wir! … Liebe Brüder und Schwestern, zu oft seid ihr schon Gegenstand von vorgefassten Meinungen und erbarmungslosen Urteilen, von diskriminierenden Stereotypen, von diffamierenden Worten und Gesten geworden. Damit sind wir alle ärmer geworden, ärmer an Menschlichkeit.”

Es gelte, “von den Vorurteilen zum Dialog überzugehen, von der Verschlossenheit zur Integration”. In dieser Hinsicht formulierte der Papst einen Appell an die slowakischen Politiker: “Gettoisierung von Menschen bringt keine Lösung. Wenn man die Eingeschlossenheit schürt, bricht früher oder später Wut aus. Der Weg für ein friedvolles Zusammenleben ist die Integration.”

Hinausgehen zu den Menschen am Rand

Dazu sei natürlich Geduld nötig – und ein besonderer Fokus auf Kinder und Jugendliche. Sie brauchten eine gute Schulbildung, die ihnen “Möglichkeiten” verschaffe, ohne sie allerdings von ihren “Ursprüngen” zu entfremden.

“Ich danke denen, die diese Arbeit der Integration weiterführen, die nicht nur viel Mühe mit sich bringt, sondern zuweilen sogar Undank und Unverständnis, manchmal sogar innerhalb der Kirche… Habt keine Angst, zu denen hinaus- und entgegenzugehen, die an den Rand gedrängt sind. Es wird euch bewusstwerden, dass ihr Jesus entgegengeht. Er wartet auf euch dort, wo es Zerbrechlichkeit gibt, nicht Komfort; wo es um Dienst geht, nicht um Macht; wo man seinen Körper hingibt, nicht wo man sich selbst bewundert. Dort ist er.”

Ein Blumenstrauss für Franziskus

“Franziskus – willkommen bei uns!” stand – in italienischer Sprache – auf einem handgeschriebenen Plakat, das an die Wand eines Plattenbaus geheftet war. Die Stimmung bei der Begegnung mit den Roma war von Anfang an ausgelassen, viele der Menschen aus dem Viertel tanzten zur Begrüssungsmusik. Eine Slowakin, die mit einem Roma verheiratet ist, überreichte dem Gast aus Rom einen Blumenstrauss in Vatikanfarben. Für eine knappe Stunde schienen die Sorgen, die sonst das Leben in Lunik IX dominieren, weit weg. 

vatican news 14. September 2021

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