Werkzeug der Neuevangelisierung UPDATE

 In Norcia, dem Geburtsort des Hl. Benedikt und seiner Schwester Scholastika

The monks of Norcia: Webseite der Benediktiner von Norcia mit Blog
Perfectae caritatis: Dekret über die zeitgemässe Erneuerung des Ordenslebens: Vatikan
Norcia

Die Tagespost, 20.07.2011

Die Benediktiner von Norcia wollen wie ihr Ordensvater durch Gebet und Arbeit zur christlichen Zivilisation beitragen. Von Barbara Wenz 

Am Geburtsort des heiligen Mönchsvaters Benedikt und seiner Schwester Scholastika lebt die monastische Tradition

Norcia, das antike Nursia, liegt an den Hängen der sagenumwobenen Sibillinischen Berge im äussersten Südwestzipfel Umbriens und ist schon seit dem Mittelalter italienweit für seine exzellenten Wurst- und Trüffelspezialitäten bekannt. Doch das bezaubernde Städtchen ist nicht nur für Gourmets ein beliebtes Pilgerziel. Sein Wehrmauerring aus dem 14. Jahrhundert hütet eine für die katholische Kirche wie für die Geschichte des christlichen Abendlandes bedeutsame Stätte: Das Geburtshaus des heiligen Benedikt von Nursia und seiner Zwillingsschwester, der heiligen Scholastika.

Die Überreste dieses Hauses mit der um 1 200 darüber erbauten Basilika finden sich am zentralen Platz der Stadt, der Piazza San Benedetto. Jahrhundertelang haben Benediktinermönche dieses Heiligtum betreut, bis sie im Jahre 1810 während der Napoleonischen Herrschaft vertrieben wurden. Erst seit dem Jahr 2000 wird das Heiligtum wieder von einer benediktinischen Gemeinschaft betreut – sie ist jung, glaubensstark und auf dem besten Wege, das Ideal der Benediktsregel in unserer heutigen Zeit des breiten Glaubensabfalls und der spirituellen Identitätskrise eines nur äusserlich geeinten Europa neu zu beleben.

Cassian Folsom aus Massachusetts sähe auch in einem karierten Holzfällerhemd auf Grizzly-Jagd überzeugend aus. Doch in Wirklichkeit ist er Prior der Benediktiner von Norcia und dazu Liturgiefachmann und Dozent an der renommierten Hochschule Sant’ Anselmo in Rom.

Father Cassian ist ein angenehmer Gesprächspartner – klar, entschieden und besonnen. Manchmal scheint es, als wundere er sich selbst am allermeisten über die Anziehungskraft, welche die von ihm 1998 in Rom gegründete Gemeinschaft auf junge Männer aus allen Ecken und Enden der Welt entwickelt hat. Zuerst waren wir zu dritt, erzählt er, und unser Konvent war nicht viel mehr als ein Appartment mit einer tragbaren Hauskapelle. Wir wollten zurück zum Geist des Ursprungs, wie es das Zweite Vaticanum mit dem Dekret Perfectae Caritatis für die religiösen Gemeinschaften empfohlen hat. Es gibt einen Punkt, erklärt der Obere, an dem kannst du nicht mehr reformieren. Dann hast du nur noch eine Möglichkeit: Du musst zurück zu den Wurzeln.

“Was der heilige Benedikt zu seiner Zeit geleistet hat, das müssen wir in der unsrigen tun”, könnte der Leitspruch dieser Gemeinschaft lauten. In einer Zeit des vollständigen Zusammenbruchs, in den Wirren der Völkerwanderung, als im fünften Jahrhundert das römische Imperium unterging, gründete Benedikt Klöster und lehrte seine Mitbrüder die vollkommene Hinwendung zu Gott durch die zwei Hauptprinzipien Gebet und Arbeit. Aus dem benediktinischen Ora et labora entwickelte sich der Beginn der christlichen Zivilisation Europas, die heute vor dem fast vollständigen Glaubensverlust zu stehen scheint und deren Kinder ihre Herkunft verleugnen. Das bescheidene Werkzeug Gottes für die notwendige Neuevangelisierung Europas möchten die Benediktiner von Norcia sein. Mittlerweile leben hier bereits 19 Mönche – davon vier geweihte Priester und zwei Novizen.

Obwohl die Gemeinschaft keine Nachwuchssorgen zu kennen scheint, ist Father Cassian sich klar darüber, dass vier Priester noch zu wenig sind: “Die Pilger, die zum Geburtshaus des heiligen Benedikt kommen, müssten noch weitergehender seelsorgerisch betreut werden, wir sollten mehr Möglichkeiten zur Beichte anbieten können – die Menschen kommen hierher und haben ein tiefes Bedürfnis danach.” Pilgern, welche die heilige Messe mitfeiern, sticht zunächst ins Auge, dass diese Gemeinschaft erstaunlich jung ist. Auf ungefähr 28 Jahre schätzt der Prior das Durchschnittsalter in seiner Gemeinschaft. “Die jungen Männer sind hier, weil unsere Lebensform äusserst rigide und sehr herausfordernd ist.” Dass es in der heutigen Zeit einen Berufungsmangel gebe, verneint er mit aller Vehemenz: “Die Berufungen sind da! Weil Gott ständig ruft!”

Weiter fällt dem Besucher die Internationalität in der Gruppe auf: nordamerikanische Amerikaner, Indonesier, ein Filipino und einige Europäer, vor allem Italiener, sind vertreten. Das sorgt nicht nur für Abwechslung auf dem Küchenplan, es ist auch eine geistliche Herausforderung. Das Zusammenleben stärkt die Tugenden der Geduld und der gegenseitigen liebevollen Annahme in der Schule der Barmherzigkeit. Sie ist insbesondere auch eine Frucht der vollständigen Hingabe an Gott – auch das fällt bei einem Besuch im Heiligtum auf. Wer die Mönche bei der Vesper, bei der Komplet oder der Konventsmesse in der ausserordentlichen Form erlebt, der wird – und sei er vorher noch so zerstreut gewesen – mit hineingetragen in die enorme Intensität, die durch die Schlichtheit der Gewänder und die sorgfältig, fast meditativ ausgeführten Gesten wie Verbeugungen und Bekreuzigungen noch verstärkt wird. Hinzu kommt der besondere Zauber des gregorianischen Gesangs, dem sich kaum ein Mensch entziehen kann, sofern er nicht körperlich oder seelisch ertaubt ist. Immer wieder kann man das beobachten, denn die Stufen des Portals der Kirche am zentralen Platz von Norcia sind zugleich ein beliebter Treffpunkt. Die aufgeregteste Touristenschar, die ausgelassensten Jugendlichen, die sich in das Kirchenschiff flüchten, weil es anfängt zu regnen, nehmen andächtig und wie umgewandelt in den Bänken Platz und lauschen verzaubert, wenn gerade wieder eine der Horen in der Krypta gesungen und live ins Kirchenschiff übertragen wird. Das schafft nur, wer tatsächlich das Gebet zu seinem Puls, seinem Herzschlag und seinem Atem gemacht hat.

Aber auch labora, Arbeit, ist genug da. Ob nun intellektuell, körperlich oder seelsorgerisch. Die Benediktiner von Norcia haben stets viele Gäste, die gilt es zu versorgen und zu bekochen. Neben theologischen und sprachlichen Studien also ganz profane Haushaltsführung. Besonders häufig sind Seminaristen aus Rom zu Gast, jeden Sommer findet einen Monat lang die sogenannte “vocational experience” statt – junge Männer dürfen “Kloster auf Zeit” in Norcia leben, um herauszufinden, ob sie eine Berufung haben. In diesem Jahr sind das elf Teilnehmer, doppelt so viele wie im letzten Jahr. Dabei mangelt es längst an Platz im Konvent beim Santuario an der Piazza San Benedetto.

Ein San Benedetto fuori le mura ist zwar geplant, mit Platz für 25 Mönchszellen und somit auch mehr Platz für Gäste, aber die Wiederaufbauarbeiten des einsam gelegenen Anwesens, das nur noch eine Ruine ist, stehen zurzeit still. Das Geld fehlt, sagt Father Cassian, wir sind auf Spenden angewiesen, aber wir haben Wirtschaftskrise, alles stagniert, auch wir spüren das. Es schmerzt ihn sichtlich, denn er, der auch einmal die Woche in Rom an der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo doziert, sehnt sich nach klösterlicher Ruhe. Verständlich, wenn man einen Tagesablauf hat, der bereits um 3.30 Uhr beginnt.

Seit 2009, also zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Motu proprio Summorum pontificum, feiern die Benediktiner von Norcia den römischen Ritus in utroque usu. Beide Formen hätten ihre eigenen Vorzüge, erläutert der Liturgiker: Die ordentliche Form etwa betone das rationale Verständnis, die Teilnahme, spreche sozusagen in Prosa, während die ausserordentliche Form, – obwohl ebenfalls intellektuell äusserst anziehend –, das Ritual betone und dabei sehr poetisch sei. Der Mensch brauche aber beides: die Prosa wie die Poesie.

Darum hat die Gemeinschaft von Norcia ebenfalls im Jahre 2009 vom Heiligen Stuhl ausdrücklich das Apostolat erhalten, beide Formen des römischen Ritus zu pflegen. Obwohl der usus antiquior die Form ist, in der die Konventsmesse gefeiert wird, kommen die Priester der Gemeinschaft ihrer Aufgabe, auch den novus ordo zu pflegen, dadurch nach, dass sie an Sonn- und Feiertagen in die winzigen Bergdörfer rund um Norcia hinaufsteigen, um dort Gemeindemesse in der ordentlichen Form zu feiern.

Viele junge Menschen seien auf der Suche nach Authentizität und Verbindlichkeit, so Father Cassian, sie fühlten sich von der ausserordentlichen Form angezogen, weil sie kontemplativ sei und deshalb auch gut zu einem mönchischen Leben passe. Einer davon ist Bruder Anthony, 26, aus Texas. Er wird in sechs Jahren, so Gott will, zum Priester geweiht werden. Schon seit seiner Collegezeit fühlte sich Anthony vom monastischen Leben angezogen, er las Bücher, versuchte einige Male auch Klosterleben auf Zeit in den Vereinigten Staaten und interessierte sich ursprünglich für einen Eintritt in ein Trappistenkloster, denn er fühlte sich von Anfang stark von einem Leben der Askese und Ganzhingabe angezogen. Doch, der junge Mönch ist ganz ehrlich, dort war ihm der Altersdurchschnitt zu hoch. Am Ende übergab er alles dem Herrn, er solle ihn dort hinführen, wo er ihn haben wolle. Als er 2005 bei einem Schulausflug nach Rom Father Cassian kennenlernte und die community in Norcia, erschien ihm das wie eine Erhörung seiner Bitte. Bis dahin hatte sich Bruder Anthony niemals vorstellen können, sein Leben ausserhalb der Vereinigten Staaten zu verbringen.

Heute kann er einmal im Jahr seine Familie besuchen. Gefragt, ob er sein Leben im Konvent als einen stillen, ruhigen Fluss empfinde, oder eher als ein echtes Abenteuer, antwortet er lebhaft: “Es ist ein Abenteuer, das Abenteuer der Gottsuche! Mit meinem Eintritt hier hat ja alles erst begonnen. Bei dieser Reise gibt es immer eine weitere Stufe zu nehmen, den nächsten Berg zu ersteigen; ich bin auf dem Weg zu Gott und nie zu Ende damit.” Sein Mitbruder Kyle, 25, ebenfalls aus Texas, hat über Freunde den Weg nach Norcia gefunden. An Ostern 2009 ist Kyle in die katholische Kirche eingetreten, im Sommer des Jahres darauf hat er an der “vocational experience” teilgenommen.

Obwohl ihre Lebensgeschichten grundverschieden sind, sind sich die beiden jungen Benediktiner in einigen Punkten sehr ähnlich – über ihre eigene Person zu sprechen, fällt ihnen nicht so leicht, wie über ihre Begeisterung und ihren Eifer für “quaerere Deum”, die Gottessuche, der sie sich mit ganzem Herzen verschrieben haben.

 

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