Vom aggiornamento zur Zersetzung UPDATE

“Fahrt hinaus in die Tiefe, im flachen läuft ihr nur auf Sand”

Die Zweideutigkeit des “aggiornamento”
Gaudet Mater Ecclesia
Eröffnungsrede des II. Vatikanischen Konzils, Papst Johannes XXIII.
Der Streit um das Konzil
Der positive Blick auf die Welt
Die Konturen des Glaubens verschwinden”

“Aggiornamento“ – ein Begriff, welcher als Kampfparole gegen Kirche, Tradition und Lehramt instrumentalisiert wurde, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes bezeichnet.

Ein Gastkommentar von Michael Gurtner

Salzburg, kath.net, 12. Oktober 2012

Das zweite Vaticanum ist im Grunde genommen ein recht armes Konzil – ihm werden nämlich viele Dinge unterstellt, welche es nun wirklich weder gesagt noch gewollt hat und es musste viel für die anhaltende Rebellenphase einer nun langsam aussterbenden Generation herhalten.

Ein Begriff, welcher in dieser Hinsicht viel zu leiden und erdulden hatte, war jener des “aggiornamento” – ein Begriff, welcher zumindest im Umfeld des Konzils vorkam (etwa in der Eröffnungsrede am 11. Oktober 1962) und welcher als Kampfparole gegen Kirche, Tradition und Lehramt instrumentalisiert wurde, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes bezeichnet.

“Aggiornamento” hat im Deutschen eigentlich keine wirkliche adäquate Entsprechung. Es handelt sich hierbei um einen recht vielschichtigen Begriff, welcher nur unzureichend mit “verheutigen” wiedergegeben werden kann, weil das Deutsche “verheutigen” anderes Assoziationen hervorruft als das italienische “aggiornare”. So wird in Italien etwa auch ein Computer “aggiornato”, wenn man beispielsweise eine neue Version eines Programmes installiert, in welchem kleinere Schönheitsfehler behoben wurden.

Italiener, welche beispielsweise ihre einst erlernten Deutschkenntnisse auffrischen oder vertiefen wollen, besuchen entsprechende Kurse, um selbige zu “aggiornare”, und auch ein Ärztekongress dient einem entsprechenden “aggiornamento”.
“Aggiornare” kann auch “vertagen” bedeuten – nicht dass dies die Intention des Konzils gewesen wäre, aber nur um die Bedeutungsfülle des Begriffes aufzuzeigen.

Es handelt sich jedenfalls um einen recht harmlosen Begriff, welcher in Italien weniger als Gegensatz zum Gestern verstanden wird, sondern als Wiederauffrischung und “Wiederbelebung” und eine eventuell damit verbundene Vertiefung und Anreicherung mit neuesten Erkenntnissen.

Ganz in dieser Schiene dachte auch der selige Papst Johannes XXIII, wie aus einer Betrachtung der entsprechenden Stelle in seiner Rede “Gaudet mater Ecclesia” hervorgeht: “Infatti, con opportuni aggiornamenti e con il saggio ordinamento di mutua collaborazione, la chiesa farà sì che gli uomini, le famiglie, i popoli volgano realmente l’animo alle cose celesti.”. Zu deutsch: “In der Tat, mittels geeigneter aggiornamenti und mittels weiser Koordination/Ordnung gegenseitiger Mitarbeit/Mithilfe wird die Kirche sicherstellen, dass die Menschen, die Familien und die Völker ihre Seele wirklich den himmlischen Dingen zuwenden”.

Von Strukturdebatte, innerem oder äusseren Umbau der Kirche oder sonstigen schwerwiegenden Änderungen ist also kein Wort zu lesen, ganz im Gegenteil, der selige Papst wollte das intensivieren und unverändert vertiefen, was die Lehre der Kirche war und bleibt, und was besonders in den beiden Vorgängerkonzilien (Konzil von Trient und erstes Vatikanum, welches auf Grund der politischen Umstände verfrüht unterbrochen werden musste) lehrmässig entfaltet und dargelegt wurde. Diese Arbeit, so meinte der Papst, sei soweit getan, nun müsse man daran gehen, nicht weiter die Lehre zu entwickeln, sondern aus dem Theologengut ein Volksgut machen, d.h. den Gläubigen das besser zugänglich machen, was vornehmlich im Kreis der Theologen diskutiert wurde.

Deshalb berief der Heilige Vater das Konzil bewusst und betont als Pastoralkonzil ein – das erste der Kirchengeschichte – und nicht als “klassisches” Konzil, auf welchem strittige Fragen einer Lösung zugeführt werden sollten.
An dieser Stelle wollen wir nicht in die Debatte eintreten, ob ein Konzil dazu wirklich ein geeignetes Mittel ist (immerhin hatten bereits seine beiden Vorgänger 1923 und 1948 die Idee ein Konzil einzuberufen, wovon sie aber nach einer Untersuchung der Opportunität schnell wieder absahen, da sie bzw. auch die eingesetzte Kardinalkommission erkannten, dass die zeitlichen Umstände absolut nicht dafür sprachen und der Ausgang eines Konzils als viel zu riskant eingestuft worden war).

Was wir allerdings besprechen müssen, ist ein Faktum, welches auch der unmittelbare Nachfolger des seligen Papst Johannes offen feststellte und unumwunden zugab: nach dem Konzil ist die erhoffte Vertiefung, die man auch versprochen hatte, ausgeblieben und in Zersetzung umgeschlagen. Das machte sich sehr rasch nach Konzilsende bemerkbar (auch Prof. Ratzinger hatte sich übrigens in sehr ähnlicher Weise nach dem Konzil dahingehend geäussert, etwa am Katholikentag in Bamberg 1968), und so stellte Papst Paul VI. während der Generalaudienz vom 25. April 1968 ernüchtert fest, dass es neben dem Guten, welches er auch sieht, ebenso zu viel Zerstörerischem gekommen ist und das Konzil ganz und gar nicht jene Wirkung hatte, welche man sich versprochen hatte: “Nach dem Konzil hat sich die Kirche eines grossartigen Erwachens erfreut und erfreut sich noch immer, welches uns zuerst anzuerkennen und zu vorzuziehen gefällt; aber die Kirche hat auch gelitten und leidet noch immer an einem Wirbelsturm von Ideen und Tatsachen, die sicher nicht dem guten Geist gemäss sind und die nicht jene gesunde Belebung verheissen, welche das Konzil versprochen und gefördert hat. Auch in gewissen katholischen Ambienten hat sich eine Idee mit Doppeleffekt breitgemacht: die Idee des Veränderns, welche bei einigen den Platz der Idee des “aggiornamento” eingenommen hat, welches von Papst Johannes verehrten Angedenkens verheissen hat, wobei man diesem so überaus treuen Hirte der Kirche gegen jede Offensichtlichkeit und Gerechtigkeit nicht innovativere Kriterien in Belangen der Lehre und der Disziplin der Kirche anhängt, sondern teilweise sogar zersetzende”.

Wir müssen im Abstand von nunmehr bald einem halben Jahrhundert uns aber auch der Frage stellen: was haben wir getan, um diesen Wirbelwind der Zersetzung aufzuhalten, der die Kirchen empirisch feststellbar leergefegt hat, der es nicht (nur) an Leuten fehlt, sondern, viel schlimmer noch, es ihr an Gläubigen mangelt?

Nicht genug dass man wort- und tatenlos geblieben ist wo es eines beherzten Eingreifens bedurft hätte, sondern es kam noch schlimmer: man zersetzte (und zersetzt bis heute!) fleissig das theologische Amts- und Sakramentenverständnis derer, die als erste zu einem beherzten Einschreiten gerufen wären: die Priester und diesen voran noch die Bischöfe! Es gilt als unerhört, seine Amtsautorität als Priester oder Bischof einzusetzen. De facto werden viele Priester von ihren Oberen daran gehindert, ihr Priesteramt in den verschiedenen Facetten auszuüben, wie es die Theologie eigentlich verlangen würde. Die Oberen selbst haben Angst davor, durch ein “politisch unkorrektes Wort” oder eine unliebsame Tat an den Pranger der Journalisten gestellt und mit den zerreissenden Geisseln der Medien geprügelt zu werden. Das Fazit ist, dass auf vielen Universitäten nicht mehr die katholische Lehre vertreten wird sondern ungehindert Häresien Fuss fassen konnten. Das Theologen-Memorandum blieb ebenso unsaktioniert wie die Pfarrerinitiative, die schweizer Pfarrei-Initiative oder ähnliche Aktionen.

Die Motivation zur Untätigkeit ist freilich unterschiedlich: während die einen insgeheim zustimmen, trauen sich die anderen nicht einzuschreiten weil sie Angst vor dem öffentlichen Druck haben. Bischöfe oder auch Pfarrer, welche heute einfach die katholische Lehre vertreten und durchsetzen wollen, müssen mit öffentlichen Attacken und Verleumdungen rechnen. Seitens der Oberen ist kein Rückhalt zu erwarten, da diese Angst haben, dass sich eine mediale Protestwelle auch auf diese selbst ausbreiten könnte. Das Resultat ist eine Lethargie, welche die Kirche lähmt und letztlich zu einer un-Glaubwürdigkeit führt. Die Folgen sehen wir in der gegenwärtigen Krise, welche sich seit Jahrzehnten abzeichnete und die Folge anhaltender Untätigkeit ist.

Genau in dieser Hinsicht äusserte sich vor mittlerweile vielen Jahren, im März 1989, der damalige Kardinal Ratzinger in einer Ansprache (bekannt geworden unter dem Titel “die Konturen des Glaubens verschwinden”) vor amerikanischen Bischöfen. Der Präfekt sagte damals wörtlich: “Tatsächlich muss man zugeben, dass sich die Bischöfe diesem Ordnungsbild weitgehend gefügt und ihre Lehrvollmacht den Theologen gegenüber kaum in Anspruch genommen haben. Dieser Vorgang hat aber zugleich ihre Predigttätigkeit entwertet, weil das Wort der Predigt damit ins bloss “Pastorale” abgedrängt wird und nicht mit der Autorität der Entscheidung auftritt. Dann aber ist es gerade auch nicht pastoral, denn Pastoral besteht darin, den Menschen vor die Entscheidung zu stellen, ihn mit der Autorität der Wahrheit zu konfrontieren. Die Predigt steht unter dem Mass des Psalmwortes: ‘Du hast mir die Wege des Lebens bekanntgemacht’ (Ps 16,10), zu dem der deutsche Philosoph Robert Spaemann vor einiger Zeit sarkastisch geschrieben hat: “Der längere Aufenthalt in einer katholischen Buchhandlung ermutigt nicht, mit dem Psalmisten zu beten: ‘Du hast mir die Wege des Lebens bekanntgemacht.’ Man hat dort inzwischen gelernt, dass Jesus keineswegs Wasser in Wein verwandelt hat, dafür allerdings Einblicke in die Kunst gewonnen, Wein in Wasser zu verwandeln. Diese neue Magie trägt den Namen ‘Aggiornamento'”.”

Wenn wir fünfzig Jahre nach Beginn des zweiten Vatikanischen Konzils einen eigenen Päpstlichen Rat zur Neuevangelisierung brauchen, eine Bischofssynode zum selben Thema, das Niveau in Predigt, Kirchenkultur, Lehre und Liturgie unterirdisch und der Sinn für das Heilige mancherorts fast flächendeckend verschwunden ist, dann muss man doch auch einmal vom Optimismus zum Realismus schwenken und fragen, ob man nicht etwas schiefgelaufen ist. Ob man statt der gewollten Vertiefung in Wirklichkeit nicht doch eine Banalisierung und Verflachung vorgenommen hat. Ob man nicht doch das kultische Moment der Kirche zerstörerisch vernachlässigt hat. Ob man die Tradition der Kirche und damit das vom Himmel her kommende nicht verlassen hat, ohne sich etwas Besseres geben zu können. Ja letztlich, ob man dem Auftrag des Herrn noch immer treu ist oder ob man ihn nicht auch bereits verlassen hat (vgl. ….). Ehrlichkeit bei einer solchen Gewissenserforschung ist unabdingbar. Schönreden hilft nicht, man wird vielleicht auch Dinge zugeben müssen welche dem Zeitgeist widersprechen und ihn gegen Dinge austauschen müssen, welche altmodisch, anachronistisch oder längst überholt gelten.

Auch der pekuniäre Bereich wird zu überdenken sein: es muss uns zu denken geben, dass “Progressisten” (sofern sie nicht kirchlich angestellt sind) und “Altgläubige”, um es etwas spitz-plakativ zu formulieren, ein einer kaum gesehenen Einhelligkeit ihren gemeinsamen Eindruck bekunden, der Kirche ginge es in erster Linie um das Geld und nicht um die Gläubigen, wenngleich letzteres mit höchst unterschiedlichen Inhalten gefüllt wird. Aber der Eindruck “Geld vor Gläubige” ist in den D/A/CH-Ländern immer stärker vertreten.

Ein wahres “aggiornamento” muss zu einer Vertiefung des einen, ewig gültigen katholischen Glaubens führen. Er ist nicht so sehr in Statistiken messbar, als vielmehr in dem was man als “Volksmentatlität” bezeichnen könnte. Wirkt der Glaube in die Gesellschaft? Ist er Basis unserer Gesetzgebung? Entspricht Erziehung unserer der kirchlichen Lehre? Leitet sich unser Menschenbild vom Gottesbild ab? Letztlich läuft es auf die Frage hinaus: wollen wir wirklich die Kirche mit einer Welt verweltlichen, welche sich zuerst von Gott losgesagt hat und somit “gottlos” geworden ist, oder wollen wir die Göttlichkeit der Kirche auch in die Welt bringen und sie so erst zu einer wirklich guten Welt machen, die nicht im absoluten Gegensatz zur Kirche steht.

Gewiss erscheinen die eben dargelegten Gedankenansätze etwas hart, und es gibt auch viel Gutes über das man handeln könnte und vielleicht auch mehr sollte. Aber wer zum Arzt geht dem nützt es nichts zu hören wie tadellos sein Herz und seine Nieren funktionieren, wenn an der Bauchspeicheldrüse der Krebs wuchert. “aggiornamento” kann also nichts anderes bedeuten als “fahrt hinaus in die Tiefe, im flachen läuft ihr nur auf Sand”.
Was die Kirche wollte war Vertiefung. Was kam, ist die Zersetzung.

Mag. theol. Michael Gurtner ist katholischer Theologe aus der Erzdiözese Salzburg

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