Impuls zum Barmherzigkeitssonntag 2017

Impuls zum Barmherzigkeitssonntag 2017, Lesejahr A — 23. April 2017

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21. April 2017, Peter von Steinitz

Barmherzigkeit und ihr Missbrauch

Es war wahrhaftig eine gute Idee des hl. Johannes Paul II., als er kurz vor seinem Tod den so genannten Barmherzigkeitssonntag einführte, der am Sonntag nach Ostern in der ganzen Kirche begangen wird. Für unsere unbarmherzige Welt in der Tat bitter notwendig. Diese liturgische Feier soll an das Wort Jesu erinnern: “Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!” (Lk 6,36)

Barmherzigkeit (im Lateinischen misericordia: darin steckt das Wort miser = elend und cor =  Herz) ist gewissermassen eine der Haupteigenschaften Gottes – auch die Muslime sprechen von “Gott, dem Allerbarmer” – und schon im Alten Testament zeigt der allmächtige Gott, wie sehr er die Menschen liebt, die ihn so oft enttäuschen, und wie er immer wieder Barmherzigkeit zu üben bereit ist. In ergreifender Weise spricht Gott durch den Propheten Hosea davon, wie seine Barmherzigkeit gewissermassen im Streit liegt mit seiner Gerechtigkeit, und wie die Barmherzigkeit trotz aller Undankbarkeit der Menschen obsiegt:

“Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten. Je mehr ich sie rief, desto mehr liefen sie von mir weg. Sie opferten den Baalen und brachten den Götterbildern Rauchopfer dar. Ich war es, der Efraim gehen lehrte, ich nahm ihn auf meine Arme. Sie aber haben nicht erkannt, dass ich sie heilen wollte. Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe. Ich war für sie wie die (Eltern), die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen. Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich behandeln wie Zebojim? Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten. Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte …“ (Hos 11,1-4.7-9)

So aktuell wie der Barmherzigkeitssonntag, so aktuell ist auch das, was Gott durch den Propheten Hosea uns Menschen zum Vorwurf machen kann. Auch heute bringen wir den Götterbildern Rauchopfer dar. Für die Götzen Geld, Sex und Gewalt ist uns kein Opfer zu gross. Und wir opfern auch den Baalen. In der alten Zeit warfen die Menschen ihre Kinder in den Feuerofen des Baal und des Moloch. Heute werden sie – allerdings in viel grösserer Zahl – in den Abtreibungskliniken getötet, von Menschen in sauberen Kitteln, sauber und ganz aseptisch. Eine unglaubliche Zahl von Kindern, jeden Tag etwa 10 Klassenzimmer, sagte einmal Kardinal Meisner.

Wie konnte es eigentlich dazu kommen? In der Aufbruchszeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs, und nachdem die menschenverachtende Herrschaft der Nazis zu Ende gegangen war, hatte man in Deutschland in der Öffentlichkeit ein vergleichsweise hohes moralisches Niveau. Abtreibung oder gar Euthanasie waren undenkbar – das machten ja die Nazis.

Aber hier zeigte sich bald die Macht des Geldes. Und die immer stärker werdende Macht der Medien. Mit diesen Dingen, Abtreibung, PID und natürlich Pornographie, lässt sich unendlich viel Geld verdienen. Es ging also zunächst darum, die moralische Hemmschwelle zu beseitigen. Wie machte man das? Wie hat man die Auffassungen der Bürger verändert? Man appellierte nicht an die Vernunft, denn es ist unvernünftig, Kinder im Mutterschoss zu töten. Es wurde das Gefühl angesprochen, das sich ja, wenn es sehr stark gereizt wird, über den Verstand und den Willen hinwegsetzt. Die Methode war infam: man sprach das Mitgefühl der Menschen an. Es wurden einzelne Fälle vorgeführt (im Fernsehen und in den Printmedien), aus denen hervorging, dass es für eine junge Frau, die ungewollt Mutter wurde, sehr schwer, ja unzumutbar war, das Kind auszutragen. Anfangs sprach man noch von Schwangerschaftsunterbrechung, so als ob man die Schwangerschaft wieder aufnehmen könnte, wenn die Probleme überwunden sind. Viele brave Zeitgenossen liessen sich tatsächlich von falschem Mitleid rühren (“das arme Mädchen, seine ganze Zukunft ist verbaut!“) und stimmten zu. Was umso leichter war, als man ja den barbarischen Vorgang der Kindestötung nicht sah (im Fernsehen wurde der Film “Der stumme Schrei“, der eine Abtreibung zeigt, aus dem Programm entfernt).

Inzwischen sind mehr als fünfzig Jahre verstrichen. Die Saat ist aufgegangen. “Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.“ (Friedrich Schiller, Die Piccolomini, V, 1). Es war denn doch noch ein langer Weg von der anfänglich zurückhaltend und mit Einschränkungen zugelassenen Abtreibung bis zur heutigen, auch von vielen Christen akzeptierten Einstellung, die Frau habe ein Recht auf Abtreibung.

Ähnlich wie am Anfang des Lebens sollte es den Menschen an ihrem Lebensende ergehen. Zunächst wurde ganz vorsichtig argumentiert, wieder mit extremen Einzelfällen (schmerzvolle unheilbare Krankheit, keine Lebensqualität etc.). Das Gefühl des Mitleids wurde heftig angesprochen. Auch gutwillige Leute meinten nach entsprechenden Fernseh-Dokumentationen, dass es unbarmherzig sei, jemanden so leiden zu lassen (in der Wellness-Zivilisation hat Leid keinen Platz, es muss entfernt werden, wenn es sein muss, der Leidende selbst, denn er beeinträchtigt ja auch das Wohlbefinden der Gesunden).

War die Gesetzgebung erst einmal durch, ging die Entwicklung rasch weiter. Man blieb nicht bei extremen Einzelfällen. Inzwischen ist es in Holland und Belgien ganz leicht, ein Team zur Selbsttötung zu bestellen. Der nächste Schritt folgte auf dem Fuss: alten Menschen wird nahegelegt, auch ohne schwerwiegenden Grund der Selbsttötung zuzustimmen, und in vielen Fällen geht es dann auch ohne diese Zustimmung (wohlgemerkt kein Horrorszenarium, sondern Wirklichkeit).

Wenn man die Menschen soweit hat, braucht man das Mitleid nicht mehr zu bemühen.

Aber was für ein Triumph für den Widersacher Gottes, dass es ihm gelingt, ausgerechnet eine der edelsten Herzensregungen, nämlich die Barmherzigkeit, für seine Zwecke zu missbrauchen. Indem er dafür sorgt, dass aufgrund eines pervertierten Mitleids massenhaft menschliches Leben vernichtet wird, trifft er mitten hinein ins Herz Gottes, aus dem alles Leben stammt. Das menschliche Herz Gottes, das uns trotz allem oder vielleicht gerade deswegen in unserer Zeit seine Barmherzigkeit noch deutlicher zeigt als je zuvor.

In der westlichen Welt empören wir uns wegen der Übergriffe islamistischer Gruppen, die Christen in einigen Ländern das Leben kosten. Was uns aber gar nicht einleuchtet und nie thematisiert wird, ist, dass sich die gläubigen Muslime dort über die moralische Dekadenz in unseren “entwickelten“, angeblich christlichen Ländern entsetzen. Das Wort “Recht auf Abtreibung“ empfinden sie als schockierend. Sie lassen ihre Kinder am Leben. Euthanasie ist für sie das Ende einer Zivilisation.

Wenden wir uns dennoch, oder besser gerade deswegen, an das menschliche Herz Gottes, das seine Barmherzigkeit heute in überreichem Masse anbietet:

“Künde der Welt meine grosse, unergründliche Barmherzigkeit! Bereite die Welt vor auf meine zweite Ankunft! Bevor ich als Richter komme, öffne ich noch ganz weit die Tore meiner Barmherzigkeit“, sagte der Herr in einem inneren Wort der heiligen Faustyna Kowalska (Krakau 1935).

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.  Der Fe-Medienverlag hat einige ZENIT-Beiträge vom Autor als Buch mit dem Titel „Der Stein, den die Bauleute verwarfen“ herausgebracht.

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