Eine Predigt zum Eigenössischen Buss- und Bettag

Patriotismus! 

Gloria Patri

Von P. Bernward Deneke

Nach der hl. Messe des Eidgenössischen Buss- und Bettages sprechen wir jedes Jahr das Gebet für das Vaterland von Bischof Marius Besson, dem 1945 vor Kriegsende verstorbenen Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg. Das ist ein Gebet aus einer ganz anderen Zeit als der unsrigen. Es drückt Gedanken aus, die uns fremd vorkommen mögen. So z.B. die Bitte um Segen für ‘unsere geistlichen und weltlichen Behörden, unsere Schulen und unsere Armee’. Klingt das nicht ein wenig militaristisch? Überhaupt ist es für viele schwierig geworden, Patriotismus, also Heimat- und Vaterlandsliebe, mit der Religion zusammenzubringen. So wird eingewendet: Der Glaube, gerade der katholische – also allumfassende – Glaube, führt uns über die Grenzen von Volk und Nation hinaus; deshalb ist es völlig unpassend, sich wieder auf ein bestimmtes Gebiet einengen zu lassen.

Ausserdem sollten wir doch die schlimmen Folgen kennen, die der Nationalismus in der ferneren, näheren und nächsten Vergangenheit gezeitigt hat, ja die er auch in der Gegenwart noch zeitigt: Überheblichkeit und Verachtung, unversöhnlichen Hass, rücksichtsloses Kämpfen für die eigenen Interessen, Ströme von Blut… Und dennoch Patriotismus? Nichts aus der jüngeren und jüngsten Geschichte gelernt? Die vorläufige Antwort darauf: Ja, dennoch Patriotismus. Besser: Gerade deshalb Patriotismus! Wohlgemerkt Patriotismus, nicht Nationalismus; nicht völkischer Wahn, dumme und gewalttätige Selbstüberhebung – Gewalttätigkeit und Dummheit gehören ja bekanntlich zusammen. Denn der Nationalismus, der die Rechte und Werte anderer Völker missachtet, ist ja nur eine böse Karikatur des echten Patriotismus, der davon ebenso weit entfernt ist wie von dem kümmerlichen Internationalismus, der das eigene Vaterland aufgrund eines Gebräus von persönlicher Selbstüberhebung und nationalen Minderwertigkeitskomplexen verachtet.

Man kann sagen: Wer nur sein eigenes Vaterland liebt, ohne die Kostbarkeiten anderer Länder und ihrer Kultur anzuerkennen, der verfällt einem sturen, engherzigen, letztlich dummen Chauvinismus. Wer hingegen die eigene Heimat gering schätzt oder einfach auf der Seite liegen lässt und sich nur für anderes begeistert; wer kein Interesse an seinem Vaterland hat oder sich gar wünscht, dass es in einem farblosen internationalistischen Einheitsbrei versinke – ja der ist ein vaterlandsloser Geselle. Die Tugend der Vaterlandsliebe ist die Überwindung dieser beiden Fehlformen. ‘Tugend der Vaterlandsliebe’? Jawohl. Befragen wir die kirchliche Tradition zum Thema ‘Vaterland’, so werden wir darüber belehrt, dass solcher Patriotismus eine Forderung der Gerechtigkeit ist, ein Teil des 4. Gebotes Gottes. Aus dem grossen Chor von Heiligen, Theologen und Päpsten, die sich darüber geäussert haben, sei jetzt nur eine, aber eine für das katholische Denken sehr repräsentative Stimme, herausgegriffen:

Der heilige Thomas von Aquin, der gerade wegen seiner alles umspannenden Weite und seiner Ausgeglichenheit der Doctor communis, der ‘allgemeine Lehrer’ genannt wird, sagt im Zusammenhang mit dem 4. Gebot ‘Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt, dass hier drei Dinge zusammen genannt werden, nämlich Gott, die Eltern und das Vaterland’ Dazu schreibt er: ‘Gott nimmt die erste Stelle ein. An zweiter Stelle sind Grundlage unseres Seins und Geführtwerdens die Eltern und das Vaterland’ Darum ist der Mensch nach Gott am meisten der Schuldner seiner Eltern und seines Vaterlandes. Wie es daher zur Tugend der Religion gehört, Gott zu verehren, so zur Pietät, Eltern und Vaterland die gebührende Ehre zu geben. Diese Pietät bestehe in einer Liebe, die sich in Wort und Tat offenbart. Demnach wäre also Heimat- und Vaterlandsliebe tatsächlich nicht nur ein Charakterzug, über den man geteilter Meinung sein kann, sondern eine regelrechte Tugend, die zum guten Menschsein und zum Christsein gehört. Ja, wir wären also zum Patriotismus ähnlich verpflichtet wie zur Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit gegenüber den Eltern. Und ein gegenteiliges Verhalten, Hass und Verachtung gegenüber dem eigenen Volk, der eigenen Heimat, wären Sünde. Genau das behauptet Thomas von Aquin, und nicht nur er. Vielleicht leuchtet diese Lehre uns besser ein, wenn wir bedenken, was uns das Vaterland eigentlich ist. Nämlich: das Land und Volk, in das hinein wir geboren wurden, das uns ernährt und in vieler Hinsicht gestaltet hat; in das unser Leben körperlich und auch geistig eingebettet war und ist; das Land und Volk, dessen Kinder wir sind; das mit seiner Sprache und Kultur, seiner Sitte und seinen typischen Charaktereigenschaften, seiner Landschaft und Geschichte in uns eingegangen ist – mehr, als wir selbst das wohl ahnen. Die Heimat reicht daher auch emotional tief in unser Inneres. Denn das Gefühl der Heimatverbundenheit schenkt uns das Bewusstsein eines letztlich nicht zerstörbaren Hausrechtes. Wir haben einen seelischen Standort in einer Gemeinschaft von Menschen gleicher Sprache und – bei aller individuellen Verschiedenheit – ähnlicher Art. Erst in der Ferne, unter anders sprechenden und gearteten Menschen, geht es einem oft auf, was das bedeutet. Deshalb galt in früheren Zeiten die Verbannung als eine der härtesten Strafen. Für den christlichen Menschen ist das Vaterland darüber hinaus auch meistens eine religiöse Heimat. Selbst unter gläubigen Katholiken fühlen wir uns im Ausland spätestens nach einiger Zeit zumeist fremd: So faszinierend und horizonterweiternd eine ganz andere Religiosität und ihre Weise, sich in Gebet, Gesang und Gottesdienst zu äussern, auch sein mag: Zu Hause ist man dort eben doch nicht wirklich. Das muttersprachliche Gebet und Lied, das man schon als Kind in sich aufgenommen hat, bleibt am Ende immer der tiefste Ausdruck auch unserer begnadeten Seele. Ich erinnere mich hier an das alljährliche weihnachtliche Singen in unserer internationalen Hausgemeinschaft des Priesterseminars. Da wurden nacheinander französische, englische, amerikanische, spanische, polnische, russische Gesänge dargeboten. Sehr interessant und inspirierend! Aber heimisch war man eben doch erst in unseren alten Liedern, den Liedern unserer menschlichen und religiösen Heimat ‘Zu Bethlehem geboren’, ‘lch steh’ an Deiner Krippen hier’, ‘O du fröhliche’, ‘Stille Nacht’… Da mag nun einer sagen: Es ist halt ein Zufall, dass ich gerade in dieses Land und Volk hineingeboren wurde; es hätte auch ein anderes sein können… Sehr weise bemerkt! Aber was für den ungläubigen Menschen ein mehr oder weniger glücklicher Zufall, ein blindes Schicksal ist, das ist für den gläubigen Menschen eben: Vorsehung Gottes. Und somit die persönliche, weise und gütige Fügung und Führung des Herrn. Die kann uns nicht gleichgültig sein. Unser Glaube nimmt die realen, konkreten Dinge viel zu wichtig, als dass wir darüber einfach leichtfertig hinweggehen könnten und dürften. Das zeigt sich übrigens auch deutlich im Blick auf Jesus, den Mensch gewordenen Sohn Gottes. Der Vater wollte, dass Er einer bestimmten Zeit an bestimmtem Ort und in einem bestimmten Volk Mensch werde. Gewiss, durch die göttliche Erwählung ist dieses Volk nicht eines wie alle anderen. Aber seitdem die meisten der Kinder Israels ihren Messias nicht erkannten und sich die christliche Mission zu anderen Völkern begeben hat, um in ihnen das Gottesreich anbrechen zu lassen, stehen diese eben auch in einer Linie mit dem erwählten Volk des Alten Bundes und beerben es in gewisser Hinsicht. Und daher haben wir Recht, unsere Heimat insbesondere in ihren christlichen Traditionen zu lieben und zu fördern.

Wie dieser Patriotismus genau aussehen soll? Blicken wir auf die Gestalt unseres Erlösers und nehmen wir an Seiner Heimatverbundenheit und Liebe Mass. Ja, Er, der Sohn Gottes, war durch Seine Mutter die unsere Liturgie anruft ‘tu Gloria Jerusalem, tu laetitia Israel, tu honoriflcentia populi tui, Du Glorie Jerusalems, Du Freude Israels, Du Ehre Deines Volkes) ganz ein Kind Seines Volkes. Er ist in dessen Sprache und Denken aufgewachsen und hat sich in Seiner menschlichen Natur von den verschiedenen Einflüssen formen lassen. In dieser religiösen Prägung hat Er gelebt und gebetet. Sein Inneres wurde mit dem geschichtlichen Erbe Seines Volkes angefüllt. Wir sehen das in Seinen späteren Reden zu den Menschen: Hier tritt die Verbundenheit mit der Vergangenheit, mit Abraham, Isaak und Jakob, mit Moses und David, mit den Propheten ständig hervor. Jesus hat auch Sein Land durchwandert und ist den verschiedenartigsten Menschen Seines Volkes begegnet. So dürfen, ja sollen wir uns ebenfalls den guten Einflüssen unserer leiblichen und geistigen Heimat aussetzen und sie bewusst in uns aufnehmen. Es ist schon schade, wenn viele Bewohner dieses grossartigen Landes besser im Fernsehprogramm oder im Internet bewandert sind als in den Landschaften und Städten ihrer Heimat. Erwandern wir uns doch die Heimat, machen wir uns nicht nur auf der Landkarte mit ihren Schönheiten vertraut, sondern in lebhafter Begegnung und Berührung mit den Elementen! Es ist ebenfalls schade, wenn viele ihre eigene Sprache und Kultur nicht mehr lieben, sondern jedem noch so geistlosen ausländischen Import von vornherein den Vorzug geben. Es werden auch in den gläubigen und traditionsverbundenen Familien viel zu wenig die Gedichte und Balladen der eigenen Dichter gelesen, es wird viel zu wenig aus dem Schatz der heimatlichen Lieder gesungen. Warum können z.B. viele Schweizer nicht einmal mehr den Text ihrer Nationalhymne, des Schweizerpsalms, auswendig? Schade auch, wenn die Kenntnis der eigenen Geschichte auf ein armseliges Minimum reduziert ist. Erkunden wir doch vielmehr unsere Heimat auch in ihrer Vergangenheit! Ja, beschäftigen wir uns mit den grossen Persönlichkeiten und Ereignissen der Vorzeit! Bekanntlich ist es immer ein selbstzerstörerischer Vorgang, wenn die Kenntnis des Früheren nicht an die Späteren weitergegeben wird. Ein geschichtsloses Volk wird die Gegenwart niemals verstehen und meistern können. Es geht dem eigenen Untergang entgegen. Ein Beispiel dafür, wie ein Volk aus der in Erinnerung gehaltenen Geschichte heraus lebt, bietet nochmals das Gottesvolk des Alten Bundes. Beständig haben die Juden auf das Zurückliegende geblickt, nicht nostalgisch, sondern um darin die Grosstaten Gottes zu erkennen und zu preisen und sie ihren Nachkommen zu künden. Was wäre die Heilsgeschichte des Alten Testamentes, ja was wäre auch das Neue Testament, das Werk Jesu Christi und Seiner Apostel ohne diese lebendige Beziehung zur Geschichte des Gottesvolkes? Gewiss, die Geschichte ist Heilsgeschichte in einzigartiger Weise, da kann kein anderes Volk mithalten. Und doch ist auch das Erbe, zumal das christliche Erbe unserer Heimat bestaunenswert und herrlich. Wozu es nur einigen Gelehrten für ihre trockenen historischen Abhandlungen und einigen Kirchenfeinden für ihre beschmutzende Kritik überlassen? Das geht uns alle an. Erkunden wir unsere Heimat also in ihrer Geschichte. Das Gebet des Bischof Besson, das wir nach der heiligen Messe sprechen werden, hebt noch einen weiteren Zug an der Gestalt unseres Herrn und Erlösers hervor: (Wir bitten Dich darum durch Jesus Christus, Deinen Sohn, unseren Erlöser, der Seine irdische Heimat so sehr liebte, dass Er beim Gedanken an das ihr drohende Unheil Tränen vergoss.) Zur Tugend des echten Patriotismus gehört es wesentlich, dieses Mitfühlen und auch Mitleiden mit der Heimat. Wie könnte ein heimatverbundener Mensch es denn auch ertragen, zuzusehen, wie die Kultur und Würde, der Glaube und die Moral des Vaterlandes gerade systematisch zerstört werden? Der Einsatz und das Gebet für das Wohl und den Segen der Heimat ist ein echter Akt der Tugend der Pietät. Und das ist ja auch der ursprüngliche, eigentliche Sinn des heutigen Eidgenössischen Buss- und Bettages.

Es ist aber über diesen Tag hinaus eine Lebensaufgabe für uns als Menschen und Christen.

So lasst uns beten, arbeiten, kämpfen und leiden für unsere Heimat, unser Volk – damit es einmal möglichst vollzählig eingehe in die künftige, die ewige Heimat!

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