„Es herrschen Chaos und Tod”
Pater Ziad Hilal SJ berichtet aus dem umkämpften Aleppo
Quelle
Dr Muhammad Waseem Maaz
Ärzte ohne Grenzen
Jesuitenpater Ziad Hilal koordiniert seit Beginn des Syrienkriegs vor über fünf Jahren Hilfsaktionen für die dortige Bevölkerung – zunächst in Homs und demnächst von Aleppo aus.
Der gebürtige Syrer war vor wenigen Tagen in der nordsyrischen Stadt, um die erneut schwere Gefechte toben. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.
Berichten zufolge sind die Kämpfe zwischen Rebellen- und Regierungstruppen so erbittert wie lange nicht. Russische Kampfeinheiten fliegen Lufteinsätze. Wie ist die Situation in Aleppo?
Es herrschen Chaos und Tod. Die ganze Nacht sind Bombeneinschläge und Gefechtslärm zu hören. Täglich gibt es neue Opfer, niemand zählt sie mehr. Es wird immer schlimmer. Aleppo ist eine dunkle Stadt. Das gilt auch wortwörtlich, denn Strom gibt es nur für ein oder zwei Stunden – und das nicht einmal jeden Tag.
Ausserdem ist die Stadt gespalten: in Anhänger der Regierung und der Opposition. Niemand kann von einer Seite auf die andere wechseln. Der Riss geht durch einzelne Stadtviertel, ja durch Häuserblocks. Das heisst auch: Das öffentliche Leben ist komplett zusammengebrochen. Viele Leute können nicht mehr zur Arbeit, es ist zu gefährlich. Sie haben ihre Lebensgrundlage verloren.
Wie ist die Situation der Christen? Es sollen ja nur noch 40 000 von ihnen in der Stadt leben.
Es sind nur noch die Ärmsten da. Ich traf eine katholische Familie. Der Vater ist gestorben. Die Mutter arbeitet – aber es reicht nicht. Also müssen die Kinder im Alter von sieben, zehn und vierzehn Jahren auch etwas dazu verdienen. Sie helfen in einem Lokal mit. Der Betreiber sagte mir: „Jetzt ist Sommer. Aber die Kinder können und wollen sich keine Minute Freizeit gönnen, weil die Familie sonst nicht überleben kann.“ Das hat mich schockiert.
Gibt es in all diesem Dunkel auch positive Signale?
Einerseits ist die Lage unendlich traurig. Andererseits gibt es dort einen grossen Zusammenhalt – gerade in den christlichen Gemeinden. Kirchen und christliche Vereinigungen stellen so viel Hilfe und Unterstützung auf die Beine. Das macht auch mir für meine Arbeit Mut.
Zusammen mit Kirche in Not bieten wir den Menschen so viele Hilfsleistungen wie möglich an, damit sie trotz allem Elend eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat haben. Denn wenn sie weggehen, setzt sich ihr Leidensweg meist fort.
Was tut die Kirche für die verbliebene Bevölkerung?
Es gibt zum Beispiel eine grosse Suppenküche, die Kirche in Not unterstützt. Täglich werden dort 7500 Menschen mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Das Team besteht aus Christen und Muslimen. Das ist ganz praktische Versöhnungsarbeit.
Und eines möchte ich deutlich sagen: Es gibt in Syrien keine Probleme zwischen Christen und Muslimen. Die Menschen haben seit Jahrhunderten friedlich zusammengelebt, sie wollen es auch in Zukunft tun. Alle eint die Angst vor dem Terror der Islamisten.
Noch ein Beispiel für die Hilfsarbeit in Aleppo: Die Schwestern der „Missionarinnen Mariens“ bieten Kurse für Frauen an. Sie lehren sie, wie man Handtaschen herstellt. Diese werden dann verkauft – sogar ins Ausland. So können sich die Frauen etwas für ihren Lebensunterhalt dazu verdienen. Es sind die ganz alltäglichen Dinge, die sehr helfen.
Der Krieg hält an. Gibt es in der Bevölkerung noch Hoffnung auf Frieden?
Nicht nur Aleppo, ganz Syrien ist gespalten in Anhänger der Regierung und der Opposition. Mit Waffen kann man auf diese Probleme keine Antwort finden.
Die Lösung kann auch nicht aus dem Ausland kommen. Wir müssen zu einem Dialog innerhalb Syriens finden. Wir müssen die Kriegsparteien endlich wieder an einen Tisch bringen.
Zu dieser Erkenntnis bin ich in meinem jahrelangen Einsatz gelangt und dafür arbeite ich. Es ist genauso, wie es Papst Franziskus kürzlich gesagt hat: „Ich ermutige alle, die Gleichgültigkeit zu überwinden und zu verkünden, dass Frieden in Syrien möglich ist.“
Frieden in Syrien, Frieden zwischen den Syrern ist möglich. Das ist mein Gebet und das ist die einzige Hoffnung für die Menschen vor Ort.
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