Der barmherzige Samariter in der Flüchtlingskrise

Impuls zum 15. Sonntag im Jahreskreis C — 10. Juli 2016

Quelle

Wie alle Gleichnisse Jesu ist das vom Barmherzigen Samariter bei den meisten Menschen, ob gläubig oder ungläubig, bekannt und beliebt.

Der Mann, der unter die Räuber fiel, findet Hilfe, allerdings erst beim “dritten Versuch”. Ein Priester und ein Levit sehen den Ausgeplünderten und Verwundeten am Wegrand liegen und – gehen vorüber. Erst der dritte Reisende, ausgerechnet ein Fremder (die Juden verachteten die Samariter), nimmt sich des Bedürftigen an.

Nicht erst im “Jahr der Barmherzigkeit”, auch nicht erst seit der hl. Faustyna im 20. Jahrhundert, schon in der Überlieferung des Alten Bundes ist Barmherzigkeit ein grosses Thema. Meistens als Barmherzigkeit Gottes gegenüber dem sündigen Menschen. In den Lesungen der vergangenen Woche hörten wir beim Propheten Hosea in ergreifender Weise von dieser Eigenschaft Gottes..

Durch die Propheten lässt Gott die Menschen aber daran erinnern, dass wir die Barmherzigkeit nicht nur entgegen nehmen, sondern auch selbst anderen erweisen sollen: “Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!” (vgl. Hos 6,6 und Mt 9,9)

In seinem irdischen Leben gibt uns Jesus eine Fülle von Beispielen gelebter Barmherzigkeit, denn wie bei allen seinen Forderungen verlangt er nicht nur Barmherzigkeit, sondern lebt sie selber vor. Es ist ja nichts anderes als das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Immer wieder schärft er uns ein, dass Gottesliebe schal wird, wenn sie nicht mit der Nächstenliebe einher geht.

Der Pharisäer, der wieder einmal Jesus auf die Probe stellen will, ist zunächst damit zufrieden, dass Jesus das “Sch’ma Israel”, welches von der unbedingten Liebe zu Gott und zum Nächsten spricht, als dasjenige bezeichnet, was dem Menschen den Weg zum ewigen Leben eröffnet. Aber er spürt, dass eine solche Einstellung nur ein schönes Wort bleibt, wenn es sich nicht in den Alltag umsetzt. Er fragt Jesus daher: “Wer ist denn mein Nächster?”

Es ist sicher ein echtes Ruhmesblatt in der ansonsten wechselvollen Geschichte der Christenheit, dass die tätige Nächstenliebe im Leben der Christen immer eine herausragende Rolle gespielt hat.

Im Mittelalter, in einer Zeit ohne Sozialleistungen des Staates, gab es eine grosse Zahl von karitativen Einrichtungen, Waisenhäuser, Siechenheimen, Kliniken und Versorgungs-Einrichtungen aller Art, die dem Bedürftigen eine oft mustergültige Versorgung, aber darüber hinaus auch eine von echter Nächstenliebe getragene emotionale Betreuung angedeihen liessen.

Die Menschen unserer heutigen Zeit und hierzulande, die durch den “Feuerbach” der Aufklärung und einer manchmal extremen Säkularisation hindurch gegangen sind, haben diesen Aspekt des christlichen Glaubens bewahrt, auch wenn sie in den meisten anderen Bereichen ihren christlichen Glauben abgestreift haben.

Aber im grossen Massstab, also auf die ganze Menschheit betrachtet, gilt das, trotz Globalisierung, nicht überall. In den Gesellschaften, die nicht vom Christentum geprägt sind, wie in fast allen Ländern Asiens, ist Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft durchaus keine Selbstverständlichkeit. Sicher einer der Gründe, warum das Werk einer Mutter Teresa von Kalkutta, in Indien ein so grosses Aufsehen erregt hat. Einem armen Menschen, der hilflos am Strassenrand liegt, hilft man normalerweise nicht. Da ist keine entsprechende Tradition, die in den ehemals christlichen Ländern immerhin noch so stark ist, dass man “natürlich helfen muss”, auch wenn man das nicht weiter begründen kann.

Seit einem guten Jahr werden die Menschen unseres ehemals christlichen Landes in Bezug auf die barmherzige Nächstenliebe stark strapaziert. Natürlich “muss man den Flüchtlingen helfen, vor allem, wenn man bedenkt, was sie alles erlebt haben”. Aber dann meldet sich der “gesunde Menschenverstand”, der sagt, dass man diese Menschen nicht in unbegrenzter Zahl aufnehmen kann.

Und überdies sagt der nüchterne Verstand, dass diese grosse Zahl von Nicht-Christen, die ihren Glauben in der Regel sehr ernst nehmen, für uns sogar eine Gefahr darstellen können. Da zeigt sich nämlich die Glaubensschwäche der Christen hierzulande. Viele meinen, dem Islam gehört die Zukunft, und wir sollten ihnen einfach alles schon jetzt gewaltlos übergeben, bevor sie es sich nehmen. In den Niederlanden wurden schon zahlreiche Kirchen in Moscheen umgewandelt. Die Medien beeilen sich oft, gewaltsame Übergriffe von Flüchtlingen, mit denen in ihrer Situation ja auch zu rechnen war, zu bagatellisieren oder gar zu verschweigen.

Eine grosse Hilfe ist es auch nicht, wenn man sagt, der gewaltige Zustrom dieser Flüchtlinge ist die Folge einer gezielten Destabilisierungspolitk von bestimmten Kreisen, die Europa schwächen wollen. Wer so etwas behauptet, wird auf der Stelle mit dem Wort “Verschwörungstheorie” mundtot gemacht, egal ob da “etwas dran” ist oder nicht.

Diejenigen in Deutschland, die sich durch all das nicht davon abhalten lassen, den Fremden zu helfen, sind zu bewundern. Und Gott wird es ihnen sicher lohnen, auch dann, wenn die Hilfsbereitschaft – wie bei dem barmherzigen Samariter – nicht unbedingt aus dem Glauben kommt.

Es zeigt sich aber immer mehr, dass tätige Nächstenliebe nur wirklich funktioniert, wenn sie mit nüchternem Verstand gepaart ist. Emotionen sollten nicht bestimmend sein. Auch nicht der Ärger darüber, dass gläubige Muslime für die Glaubensschwäche der Christen nur Verachtung übrig haben.

Statt uns zu ärgern, sollten wir uns darauf besinnen, dass das Gebot der Nächstenliebe nicht isoliert für sich bestehen kann. Es ist, nach dem Willen Gottes, untrennbar mit dem Gebot der Gottesliebe verbunden.

Bitten wir die Gottesmutter darum – wir nennen sie ja Mutter der Barmherzigkeit – dass die Menschen in unserem Land, die durch die Ereignisse oft sehr aufgewühlt sind, zur Fülle des christlichen Glaubens zurückfinden. Dass sie sich darüber klar werden, dass eine diffuse Hilfsbereitschaft, die sich nur auf das Gefühl gründet, meist nur zu einem “Gutmenschentum” führt und oft einer grösseren Belastung nicht stand hält.

Sobald die Fremden aber sehen, die Christen aus einer Haltung des Glaubens heraus helfen, werden sie Achtung vor uns haben und von törichten “Übernahmegelüsten” Abstand nehmen.

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.

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